Das Foto zeigt vier Bilder einer ernst schauenden Frau, die verschiedene Gesten zeigt

Die Lebensretterin

Folge 2: Frau Döhmen kämpft

Das Foto zeigt eine Zeichnung einer LungeAIDS, Krebs und selbst ALS kennen seit der Ice-Bucket-Challenge viele Menschen. Doch von Mukoviszidose haben die wenigsten eine wahre Vorstellung. Hiltrud Döhmen-Benning ist Ärztin in Aachen gewesen und hat sich jahrelang für die Krankheit engagiert. Hier ist ihre Geschichte:

Es war im Jahr 1967. „Ich habe in einer Kinderklinik in Krefeld meinen ersten Nachtdienst gehabt und dann wurde ein Mukoviszidose-Notfall eingeliefert“, erinnert sie sich. Mukoviszidose war damals eine Krankheit, die bekannt war unter dem Namen „salzige Kinder“-Krankheit, da die Patienten einen unfassbar salzigen Schweiß ausstießen. Die Lebenserwartung dieser Kinder lag bei unter 10 Jahren. Döhmen-Benning war geschockt: „Das sechsjährige Kind erstickte hilflos an verschleimten Lungen.“ Ein Schlüsselereignis im Leben der Ärztin. Denn sie begann den Kampf gegen eine kaum erforschte Krankheit. Im Laufe der Jahre wurde ihre Kinderarztpraxis in Laurensberg zur Anlaufstelle für immer mehr Betroffene. „Viele kamen sogar aus Düsseldorf oder Belgien zu mir, um ihre Kinder behandeln zu lassen“, sagt sie. Ihr Ruf verbreitete sich schnell.

Mukoviszidose – auch Cystische Fibrose genannt – ist eine erbliche Stoffwechselerkrankung, bei der zäher Schleim eine Reihe lebenswichtiger Organe verstopft. Das liegt daran, das der Salz- und Wassertransport durch einen Gendefekt nicht mehr richtig geregelt wird. Vor allem die Lunge, die Bauchspeicheldrüse, die Leber und der Darm können betroffen sein. Im Verlauf der Erkrankung können die Organe immer schlechter arbeiten; bis sie schließlich gar nicht mehr funktionieren. Allein in Deutschland leben etwa 8.000 Menschen mit Mukoviszidose. Etwa einer von 20 Menschen trägt eine Anlage für Mukoviszidose, ohne davon zu wissen. Inzischen können Betroffene über 45 Jahre alt werden. Eine Heilung ist bis heute allerdings nicht möglich.

„Es ist wirklich eine miese Krankheit“, sagt Döhmen-Benning. Umso mehr ärgert sie die über die heutige „Wohlstandsmedizin“. In den letzten Jahrzehnten habe sich insbesondere unter Eltern eine überzogene Fürsorge entwickelt. Und auch viele Ärzte machen es sich heute leicht, findet Döhmen-Benning. „Ich war damals alleinerziehende Mutter von Zwillingen, hatte eine eigene Praxis, übernahm zusätzlich die Mukoviszidose-Notfälle, machte Nachdienste und habe über Jahre hinweg eine Familie morgens, mittags und abends zur Therapie ihrer Tochter besucht“, sagt sie. Nicht um anzugeben, nein, Döhmen-Benning sagt das einfach nur, um vor Augen zu führen, was man alles schaffen kann – wenn man will. Sie weiß wie man kämpft.

1939 in Schlesien geboren, floh sie 1945 vor der russischen Armee. „Der Thüringer Wald“, beginnt Döhmen-Benning, „den mussten wird durchqueren.“ Ihr Bruder habe die ganze Zeit verlangt, dass das Radio bitte ausgestellt werden möge – „er meinte mich damit“, sagt Döhmen-Benning. „Ich habe schrecklich geweint, weil ich solche Angst hatte“, sagt sie. Ihre Hündin Silva stupst im Vorbeigehen an ihre Hand und rollt sich im Schatten unter dem Tisch zusammen. Döhmen-Benning hat mit der Flucht und dem Feind von damals abgeschlossen. Den Kampf gegen Mukoviszidose führt die 77-Jährige jedoch emsig.
„Man muss sich das mal vorstellen: Es ist für viele Erkrankte so, als ob sie nur durch einen Strohhalm atmen können“, sagt Döhmen-Benning. In vielen Krankenhäusern könnte die Krankengymnastik am Wochenende mangels Stellenbesetzung kaum stattfinden. „Die Patienten sitzen bis oben zu im Schleim“, sagt sie. Dass sich das ändert, auch dafür hat Döhmen-Benning gekämpft. Mit der Gründung einer Mukoviszidose-Selbsthilfegruppe haben sie und betroffenen Eltern zahlreiche Unterstützungsaktionen ins Leben gerufen. Aus der Gruppe ging schließlich der Verein Mukoviszidose e.V. Aachen hervor, der dieses Jahr Gruppe 35-jähriges Bestehen feiert und über 500 Mitglieder in der gesamten Region hat.
Kooperation mit anderen sei der Schlüssel. Deshalb arbeitete Döhmen-Benning auch mit dem Luisenhospital zusammen. Sie bemängelte so lange die Zustände, bis eine Ambulanz für Mukoviszidose-Kinder eingerichtet wurde. Und als die Patienten älter wurden, setzte sie sich für eine Erwachsenenstation ein. Inzwischen gilt Aachen als eine der führenden Zentren für Mukoviszidose-Patienten deutschlandweit.
„Die Krankheit ist wie ein Chamäleon“, sagt Döhmen-Benning. Eines sei jedoch bei allen Patienten gleich: „Sie wollen alle ein ganz normales Leben führen.“ Dieses neben der Physiotherapie, dem ständigen Inhalieren und dem strickten Ernährungsplan zu schaffen, sei zwar nicht einfach, aber Döhmen-Benning bewundert ihre ehemaligen Patienten immer wieder: „Sie leben einfach wesentlich bewusster als die meisten.“
Hiltrud Döhmen-Benning erhielt 2011 für ihr Engagement eine Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande. Ihr Engagement für Menschen mit Mukoviszidose scheint unendlich. Derzeit handelt sie mit dem Luisenhospital eine psychologische Beratungsstelle für die Mukoviszidose-Ambulanz aus. „Ich habe es fast geschafft“, sagt sie und lächelt. Das war der letzte Punkt auf ihrer wichtigen To-Do-Liste. Was dann kommt?: „Na ja, sagen wir mal so, bestimmt etwas, für das es sich zu kämpfen lohnt.“

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