Das Foto zeigt eine ländliche Gegend und zwei Herren die sich unterhalten

Wer will schon auf dem Dorf leben?

Wer will schon auf dem Dorf leben?

Dort gibt meistens keine Supermärkte mehr, selten Schulen. Wo soll man abends gemütlich etwas trinken gehen? Wo bleibt das kulturelle Leben ohne Kino, Theater oder Museum? Und sowieso: Auf dem Dorf gibt’s ja eh nur Kaninchenzüchtervereine und die Freiwillige Feuerwehr. Zugegeben, diese Ansicht ist etwas überspitzt, kommt aber den Vorurteilen vieler junger Leute und Städter doch recht nahe, wenn es um das Leben auf dem Dorf geht. Entweder wird das „Dorfleben“ als heile Märchenwelt dargestellt, die nur aus Babytiere-Streicheln und Übernachtungen im Heu besteht. Oder aber das Dorfleben wird mit einem sozialen und kulturellen Tod gleichgesetzt.

Diese Vorurteile gibt es nicht ganz ohne Grund. Tatsächlich gibt es ja vielerorts Probleme, die zum regelrechten Dorfsterben führen. Einigen Orten fehlt es deshalb mittlerweile schlichtweg an Einwohnern: Die jungen Leute ziehen zum Studieren oder für eine Ausbildung weg, kehren danach aber selten wieder in ihren Heimatort zurück.

Aber so ist es natürlich nicht überall. Und vor allem müssen Dörfer sich dieser Entwicklung nicht kampflos ergeben. Das gemeinsame Ziel lautet „Unser Dorf hat Zukunft“. Und genau so heißt auch ein bundesweiter Wettbewerb, der in diesem Jahr auf Kreisebene stattfand: Eine Jury bereist verschiedene Orte, und fühlt ihnen auf den Zahn: Die Dorfgemeinschaft hat dann die Gelegenheit zu zeigen, wie gut man sich für die Zukunft gewappnet hat. Der Sieger kann den Landeswettbewerb oder sogar den Bundeswettbewerb erreichen. Aber was muss ein Dorf denn tun, um Zukunft zu haben? Dazu später mehr.

Für stadt.land.text durfte ich einen Insider-Einblick in den Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ erhaschen. Dafür habe ich die diesjährige Jury an drei Tagen ihrer Reise durch die Städteregion begleitet. 24 Dörfer haben sie sich insgesamt angeschaut und bewertet – 6 davon durfte ich auch sehen. Mehr war leider zeitlich nicht möglich.

Früh morgens tuckerten wir also mit dem kleinen Kommissions-Bus in Richtung Land. Bei jeder Ankunft war ich erneut gespannt darauf, was und wer uns erwartete: Mal waren es einige Dorfbewohner und Mitglieder verschiedener Vereine, die Spalier standen. Mal waren es wenige Aktive, die uns herumführten. Manche waren sehr routiniert, weil sie schon häufiger am Wettbewerb teilgenommen hatten. Anderen merkte man sichtlich die Nervosität an. Was die meisten Orte vereinte: Fast überall hatten die Dorfgemeinschaften sämtliche Schul- und Kindergartenkinder eingesammelt: Und dann wurde gesungen, gesungen, gesungen. Ob in der Kirche ein Stolberger Lied, ob in der Kita oder in einem kleinen Innenhof – man setzte ganz offenbar auf den Kindchen-Bonus, um die Herzen der Jury zu erweichen.

Und tatsächlich muss man sich als Dorf ja auch überlegen, was man zeigt und wie man es zeigt. Denn die Zeit ist knapp: Nur 2 Stunden bleibt die Jury. Und die sollten gut genutzt werden. Schon im Voraus haben die Mitarbeiter des Fachbereichs Regionalentwicklung Andrea Drossard und Peter Wackers Kontakt zu den Teilnehmer-Dörfern aufgenommen und ihnen einen detaillierten Fragebogen ans Herz gelegt. Das heißt, jedes Dorf wusste, welche Bereiche der Jury besonders wichtig sind. Diese Bereich sind: Konzeption&Umsetzung, Wirtschaft, Soziales&Kultur, Dorf in der Landschaft, Grüngestaltung, Baugestaltung und die Zusatzkategorie Landwirtschaft. Für jede Kategorie ist ein Jury-Mitglied als Experte in der Kommission. Diese Experten sind zum Teil Mitarbeiter der Städteregion, aber auch Professoren und Dozenten der Aachener Hochschulen. Einige kennen den Wettbewerb sogar noch so, wie er früher war.

Denn diese Kategorien gab es nicht immer. Früher hieß der Wettbewerb auch noch anders: “Unser Dorf soll schöner werden”. Damals spielte die Entwicklung eines Ortes keine Rolle. Wichtig war die nur Optik. Platt ausgedrückt: Die Aufgabe der Jury war es, die Pracht der Blumenkübel und den Häuserfassaden-Glanz zu bewerten. Sicherlich wollen die Orte auch heute noch optisch etwas her machen. Allerdings schaut die Jury vor allem hinter die Fassaden und nimmt das Dorfgeschehen und die Entwicklung genauer unter die Lupe. Denn der Wettbewerb hat eine gehörige Verjüngungskur durchgemacht und stellt sich den neuen Herausforderungen.

Heute interessiert die Jury also zum Beispiel, wie mit alten Leuten oder Kindern umgegangen wird, welche Bildungsangebote es gibt, wie Menschen mit Migrationshintergrund integriert werden. Es geht außerdem darum, ob es noch Supermärkte gibt, und ob lokale Firmen unterstützt werden. Sie achten auch darauf, ob die ursprüngliche Baugestaltung in Neubaugebieten fortgeführt wird, oder dass man statt alle Vorgärten mit Kiesel oder Beton zu versiegeln, stattdessen pflegeleichte und ortstypische Pflanzen auswählt. Dann geht es auch um ein Identitätsgefühl der Bürger zu ihrem Ort: Wie steht es zum Beispiel um Vereine? Sind sie ein gutes Integrationsmittel, wird Brauchtum erhalten und gepflegt? Wird etwas für den Tourismus getan und gibt es eigentlich noch Landwirte im Dorf, sind sie akzeptiert und gibt es vielleicht sogar Kooperationen mit Schulen oder Kindergärten?

Als ich diesen Fragenkatalog gelesen hab, war ich ziemlich begeistert, worauf bei dem Wettbewerb geachtet wird. Ich finde es super, dass es nicht nur um ein Themenfeld wie die Wirtschaft geht. Stattdessen hat man offenbar erkannt, dass einige Bereiche gemeinsam funktionieren müssen, um ein Dorf zukunftssicher zu machen. Wie gut das so in der Städteregion passiert, habe ich mir also in sechs Dörfern angeschaut: Im Südkreis habe ich Breinig, Höfen und Rohren besucht, im Nordkreis Büsbach, Donnerberg und Linden-Neusen. Schnell wurde mir klar, dass jedes Dorf sehr unterschiedlich ist und mit ganz anderen Ausgangssituationen umzugehen hat: manche haben eine Einwohnerzahl von 6000 andere nur 300. Manche sind Straßendörfer und daher sehr lang gezogen, andere haben einen historisch gewachsenen Ortskern, dafür aber weit entfernte Neubaugebiete.

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