Arbeitsjournal: Montag, 19. Oktober

Es ist schon eine Weile her, seit ich das letzte Arbeitsjournal online gestellt habe. Es liegen einfach einige ereignisreiche Tage hinter mir: Besuch der Zuckerfabrik, des Klosters Steinfeld, der Ordensburg Vogelsang, der Artconnection, einer Stadtführung auf Öcher Platt und Stockhausens Hymnen habe ich mir angehört. Da meine Vorgängerin Vogelsang bestens beschrieben hat, möchte ich mich dazu nur knapp im Arbeitsjournal äußern. Auf dem Weg zum Kloster Steinfeld hörte ich im Radio – kurz bevor ich an Vogelsang vorbeifuhr – dass dort in Kürze knapp etwa 900 Flüchtlinge untergebracht werden sollen. Die Kölner Bezirksregierung hat die Nähe zu der ehemaligen Ordensburg der Nationalsozialisten als unbedenklich eingestuft. Für die Unterbringung werden nun bis zum Jahresende die alten Kasernen der belgischen Streitkräfte hergerichtet, die das umliegende Areal von 1950 bis 2005 als Truppenübungsplatz benutzt haben.

Als ich an dem Kreisverkehr irgendwo im Nirgendwo vorbeifahre, an dem man die Ausfahrt Vogelsang nehmen kann, denke ich: Und wie sollen sich die 900 Menschen hier zurechtfinden? Fernab von einer Stadt, nur ein Bus pro Stunde oder weite Fußmärsche durch die bald schon eiskalte oder verschneite Eifel (an diesem Morgen schneite es überraschend auch schon) zum nächsten Ort. Viel wurde diskutiert darüber, ob es bedenklich sei, einen solchen Ort zu nutzen. Welches Signal es ins Ausland sendet und vor allem, was die hier angekommenen Vertriebenen denken, wenn sie von dem Ursprung der Anlage erfahren. Ich glaube, die Menschen aus Syrien und dem Irak haben schlimmeres gesehen und erlebt, als dass sie der historische Ursprung des Ortes schocken könnte. Dass Vogelsang nun zur Unterbringung genutzt wird, zeigt nur den Ernst der Lage und wie dringend winterfeste Unterkünfte benötigt werden. Meiner Meinung nach erfährt der Ort nun eine Wendung zum Guten, letztendlich eine Art Aufladung mit Sinn. Warum sollte man auf Nazigemäuer Rücksicht nehmen, wenn man dort 900 Menschen eine sichere und winterfeste Bleibe schaffen kann. Allein die Abgeschiedenheit finde ich schrecklich. Man sollte von den 900 Menschen dann aber nicht erwarten, dass sie sich in kürzester Zeit integrieren, wenn man sie so zivilisationsfern unterbringt. Man kann doch nur in eine Gesellschaft hereinwachsen, wenn man die Chance hat, am sozialen und kulturellen Leben teilzunehmen.

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