Mein Stammtisch im Wunderland oder: Wie Aachen zu mir kam…

Eine Vorgeschichte

Ein Ehepaar X, er Deutsch, sie Fremd, verabreden sich auf ein Bier in einer deutschen Kneipe . Vor 20 Jahren standen sie sich in einer mexikanischen Bar zum ersten Mal gegenüber. Sie verliebten sich.

Ein bosnisch-deutsches Experiment.

Er ist jetzt gerade in eine Geschichte eingestiegen, aus der die anderen wütend rausmarschieren. Mit dem roten Buch der deutschen Sozialdemokratie in der linken Hosentasche will er Deutschland retten. Auch wegen ihr, seiner Frau aus Sarajevo, wie er sagt. Sie fühlt sich geschmeichelt und bewundert seinen Mut. Sie hat auch gute Nachrichten für ihn, ihren deutschen Mann. Ein gewisses „Amt“ in Aachen, mit dem schönen Namen „Zweckverband“ hat sie ausgesucht. Als Schreiberin. Vier Monate lang darf sie die Region Aachen mit ihrem speziellen, schrägen Blick Stück für Stück vermessen. Und bloggen. Wann und wie oft sie will. Der Stipendium-Vertrag ist gerade eingetroffen. In dem Moment, als sie ihm, ihrem deutschen Mann das mitteilen will, entdeckt sie zwei Gestalten, deren Blicke an ihr kleben. Sie lächelt verlegen und hebt die Hand. Die Geister, die sie in diesem Moment gerufen hat, werden sie ab jetzt nicht mehr los…

Fortsetzung der Geschichte in sechs Folgen…
Vielfalt in Aachen

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„Mein Stammtisch im Wunderland:

die Idee, das Konzept, die Methode

Ein Alien steigt mit einem Koffer aus dem Zug auf einem Bahnsteig in einer idyllischen deutschen Landschaft. Große Augen, freches Grinsen, die Stirn zu einem Fragezeichen gerunzelt. Und nun? Hier beginnt das neue Abenteuer. „Mein Stammtisch im Wunderland“. Mit einem weiblichen Alien in der Hauptrolle…Sie ist eine Fremde – gut integriert, neugierig, reif. Sie hat keine Berührungsängste, dafür einen rebellischen Willen und einen unverwechselbaren Akzent, der ihrem wilden Balkan treu geblieben ist. Seit fast 20 Jahren steht sie unter dem Schutz zweier Engel: ihres deutschen Mannes und eines öffentlich- rechtlichen deutschen Senders, der ihre Geschichten jahrelang sendet. Nun will sie einen neuen Planeten entdecken: Die deutsche Dorfidylle…ob die „trügt“?

Der Gast, ich, suche mir einen Tisch mal in einer Stadt- mal in einer Dorfkneipe. An diesem Tisch, meine wandernde Installation namens „Mein Stammtisch im Wunderland“, kann ich mein Fremdsein & Alientum frei ausleben: stundenlang an einem Glas Wein nippen, lauschen, schauen, riechen, Dramen aufspüren. Und so meinen neuen Planeten vermessen.

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Hinter Gitter schauen…

Seitdem ich meine Heimatstadt kurz vor dem Krieg in Bosnien, verließ, habe ich in Deutschland in fünf Städten gelebt, 14 Wohnungen bewohnt und hunderte spannende, komische, schräge, merkwürdige aber auch liebevolle, hilfsbereite und spannende Menschen, ob Nachbarn, Beamten, Lehrer, oder neue Freunde erlebt.

Mit einem improvisationslustigen, leicht selbstüberschätzen, frechen „Sarajevo-Yugo – Blick & Look“, der immer neue Geschichte aufspürt, verdiene ich als Journalistin aus Sarajevo auch in Deutschland schon längst meine Brötchen. Das ist guten Mentoren, glücklichen Zufällen aber auch ihm, dem robusten, schrägen Alien in mir, zu verdanken, der sein Schicksal kopernikanisch denkt und aus seinem Nachteil seinen Vorteil macht. Und auch wenn ich mich inzwischen in Deutschland heimisch fühle und oft vergesse, wer ich bin, werde ich, sobald ich meine vertraute Umgebung verlasse oder einen rauen Witz hinaus haue, schnell daran erinnert. Ich ziehe heute noch fragende, strenge oder skeptische Blicke auf mich. Das tut mir nicht mehr weh. Das liebe ich inzwischen. Jetzt brenne ich vor Neugier, kann kaum abwarten, die große, idyllische Aachener Region zu entdecken. Meinem neuen Planeten möchte ich wie dem alten Wolf aus meinem ersten Alptraum mutig in die Augen blicken.

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