Drei Monate Rheinschiene: Drei Welten

Vor etwas weniger als drei Monaten war ich in Düsseldorf Fahrrad fahren. Raus aus der Stadt, rein in die Natur, und es schien die Sonne, endlich etwas wärmer, endlich etwas Frühling, die Winterjacke zuhause gelassen und die Menschen um mich herum waren fröhlich, auf den Spielplätzen vielleicht etwas zu fröhlich. Au man, dachte ich, da wälzen sich die Kinder haufenweise im Sand, robben über den Holzdino, dass es aussieht wie damals die Ameisen im Rucksackfach, als wir blöderweise ein Bonbon ohne Papier dringelassen hatten. Auch schön, denke ich, so statt Kindergarten und Schule. In meinem Kopf klingt es sarkastisch.

Die Kinder schreien „Oma, Omaa“ und ich fühle mich bestätigt. Au man, denke ich noch einmal, da wurde der Sinn der Kindergarten- und Schulschließungen ja grandios erreicht.

Du musst aufpassen, mahne ich mich selbst, wenn du zu viele sarkastische Selbstgespräche führst, ist das irgendwann nicht mehr kritisch-humorvoll, sondern einfach nur noch pessimistisch-verbittert.

Ich sage also zu mir, optimistisch-gutmütig: Immerhin, die Menschen sind alle in der Natur, ist doch super, die meisten bewegen sich mit mehr als 3 km/h vorwärts, sie machen so etwas wie Sport, ist doch klasse, die Welt krankt sich gesund, schrieb ich in mein Notizbuch.

Dann wurden die Spielplätze geschlossen, überall flatterten rote Absperrbänder, mein Blogeintrag war immer noch nicht hochgeladen. Mist, dachte ich, du hattest den richtigen Riecher, was falsch läuft, was bestimmt bald geändert wird, aber irgendwie schon wieder zu spät dran. Ich schreibe ständig, aber dieses ganze Drumherum, der letzte Schliff, und das Hochladen und alles, finde ich irgendwie anstrengend. Da hält die innere Perfektionistin dagegen, ein Text ist schließlich nie fertig.

Aber naja, die Welt krankt sich gesund, das stimmt doch noch! Zumindest Luft und Flüsse und Seen und überhaupt – aber die Menschen doch nicht, wie naiv warst du. Auf Instagram und Facebook und was es sonst noch gibt, tummeln sich Anfang der Quarantänezeit die Sport-Challenges und eine Freundin schreibt mir, wie schön es doch sei, dass ich diese Zeit mit meinem Mann zusammen erleben könnte, ihre Freunde würden ständig Paar-Pilates-Bilder schicken, und ich denke: Äh. Also von meinen Freunden macht niemand Paar-Pilates, von meinen Freunden haben sich ein paar getrennt, ich mache auch kein Paar-Pilates, selbst wenn die Krise nie enden würde, so weit würde es nicht kommen. Hoffe ich.

Im Internet (wo sonst) lese ich: Tielkühlpizzarekord. Lieferengpässe jetzt nicht nur bei Masken, sondern auch bei Tiefkühlpizzen.

Die Gesundheit während der Quarantänezeit ist so etwas wie eine abfallende Kurve. Oben links war Mitte März, alle gehen Joggen in den Park, weil schließlich hat man ja jetzt mehr Zeit und was wäre da besser und schöner als raus an die frische Luft und Bewegung mit der Familie und währenddessen telefonieren mit Oma. Und jetzt ist sie unten rechts angelangt: Sport ist Mord und in der Küche stapeln sich die Pizzakartons. Notfallkontakt ist nicht mehr Mama, sondern Luigi, der schnellste Lieferdienst im Ort und Omas Nummer ist irgendwo unter Asia Express und Pronto Pizza gerutscht.

Ich schäme mich ein bisschen, weil ich Fotos hab ausdrucken lassen, vor der Quarantänezeit, von Events mit befreundeten Pärchen, jetzt erst dazugekommen sie zu verschicken, weil jetzt hat man ja Zeit, die Freunde sind mittlerweile getrennt. Naja, denke ich, so Erinnerungen sind ja immer schön, oder. Mir wird klar, dass das mit den Tiefkühlpizzen keine Ente ist. Egal, wer das erforscht hat.

Ich sollte wieder mehr Sport machen. Ich sollte weniger oft lethargisch durch meist mehr und manchmal weniger langweilige Beiträge fremder Menschen scrollen. Ich sollte mehr schreiben. Ich sollte schreiben. Ich gehe Fahrrad fahren.

Statt Absperrbänder flattern Schals und Kopftücher im Wind. Die Stühle vor der Eisdiele sind alle besetzt. Kinder robben über den Holzdino. Wüsste ich nicht, dass es ein Dino ist, würde ich ihn vor lauter Kinder nicht erkennen.

Ich glaube, ich habe in den vergangenen drei Monate drei verschiedene Welten durchfahren.

 

 

 

Bildbeschreibung, Abitur:

– Mensch, lächelnd vor einer Mauer mit Absperrband. Lächelt vielleicht, weil sie sowieso nicht hinter das Absperrband will. Mag weder Sand in den Schuhen noch Katzenscheiße.

 

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