Stellung beziehen II- Keeping Up with the Earthlings

Das Bügeleisen hinterlässt einen kreideartigen Fleck auf meinem letzten ansehnlichen schwarzen Hemd. Wie von Kurt Vonnegut prophezeit, bereite ich mich auf Besuch vor – von den Außerirdischen. Vonnegut hat unmissverständlich offengelegt, wann und wo sie kommen werden.

Mein Freund auf dem Sofa sieht mir beim Ruinieren meines Hemds zu, er meint, die Sache mit den Außerirdischen bilde ich mir nur ein, die Nachbarn und meine Familie sagen aber, ich bilde mir meinen Freund nur ein.

Ich bin kein Verrückter.

Meine Ex-Frau ruft an und sagt: „Atmung, über Atmung kann man am besten die Vernetzungen im Gehirn neu strukturieren, also setz dich hin, meditiere und achte dabei auf deine Atmung.

Also setzen wir uns hin, mein Freund und ich, und atmen zusammen.

Meine Ex-Frau hatte einmal richtig schöne Haare. Jetzt hat sie alle abgeschnitten und ist in einen Aschram im Süden Indiens gezogen, wo sie atmet, meditiert, fastet und versucht, eine Verbindung mit dem Universum herzustellen.

Wenn sie sich mit dem Universum in Verbindung setzen kann, warum kann ich dann nicht vom Universum besucht werden?

Ich bin kein Verrückter, was, wenn ich recht habe? Wenn Kurt Vonnegut in seinen Geschichten recht hatte?

Die Haltung der Menschheit gegenüber Außerirdischen kommt

nicht ohne Vorurteile aus; man behauptet, die antiken Weltwunder seien von Außerirdischen erbaut worden – die Pyramiden von Gizeh, in Stein gehauene Städte in Indien, magische Bodenzeichnungen in Lateinamerika und die riesigen Mauern in Persien und China, wie um zu sagen, dass die Menschen dort so etwas nicht geschafft hätten!

Ich bin kein Rassist, und auch kein Verrückter.

Wenn die Außerirdischen kommen, werden sie diese Theorien widerlegen, wir Menschen können Magisches erschaffen, wenn wir nach Schönheit streben und emphatisch bleiben. Das gilt für alle Menschen, egal welcher Herkunft, man muss ihnen nur eine Chance geben.

Auch die Theorie, dass Menschen gegen Feinde von außen zusammenhalten würden, wird bald widerlegt werden. Das sieht man jetzt schon bei jedem Krieg, bei jedem Wirtschaftsboom und der Umweltkrise

Wir würden schnell Stellung beziehen und fast alle Seiten würden versuchen, sich insgeheim mit den Außerirdischen zu verbünden.

Es wäre ein geheimer Wettlauf um die Gunst der Außerirdischen, aber nach außen hin würden die Regierungen ihr nukleares Spielzeug zur Schau stellen, manche würden es in den Himmel richten, manche auf andere Länder, nur für den Fall.

Und genau das ist der offizielle Grund für den Besuch der

Außerirdischen, diese Dinge sind kein Spielzeug. „Das Ego eines Erdlings ist sechzehn Mal größer als ein normales Ego und ihre Gehirne zeigen eine zwanzigfach geringere Fähigkeit, Zusammenhänge zu erstellen und Rückschlüsse zu ziehen“, heißt es in den Forschungsberichten aus anderen Galaxien.

„Wie viele Fluten braucht es, um die Schäden zu kontrollieren?“, hört man die Militärs bei ihrem letzten galaktischen Kongress sagen.

„Wir müssen eingreifen!“

Im selben Forschungsbericht steht, dass auf der Erde zwar Zeit gemessen wird, die Erdlinge aber dennoch nicht aus ihren Erfahrungen lernen. So entsteht ein Kreislauf, eine Endlosschleife, am Schluss kommt die Zeit bei Null raus.

Erdlinge sind zweidimensional, sowohl als Einzelpersonen als auch in der Gruppe, sie bewegen sich einzig allein auf zwei Achsen.

Der Achse von Angst und Tod und der Achse von Lust und Sex.

Die Forschung legt eine Intervention nahe, mit einem konkreten Plan für das Entwickeln von Bewusstsein in Bezug auf die Einschränkungen der Erdlinge.

Mein Freund behauptet, dass nach jedem kollektiven Trauma Außerirdische als Teil des kollektiven Bewusstseins in der Literatur auftauchen.

„In Comics war es Superman, ein außerirdischer Retter der Menschheit, der nach dem Ersten Weltkrieg erdacht wurde.

Die Verschwörungstheorien über Außerirdische haben nach dem zweiten Weltkrieg neu Fahrt aufgenommen, nach jedem großen Trauma suchen wir in unserer Verzweiflung und Notlage Antworten, so entstehen Götter und Mythen“, sagt er, dann atmet er tief durch.

Trotzdem denke ich, dass er, wie ich, auf die Außerirdischen gespannt ist. Er hofft und ich bin erwartungsvoll.

Ich glaube nicht, dass sie Götter oder Engel sind, ich bin kein Verrückter, auch Außerirdische haben ihren Stolz und sind nicht alle gleich. Die weisesten unter ihnen sehen nicht aus wie Menschen, sondern mehr wie Oktopusse. Sie werden erfahren, was wir in den Meeren angerichtet haben, einen Blick auf all das verschüttete Öl werfen und seufzen.

Sie werden sehen, wie der Müll der hochentwickelten, demokratischen Staaten in armen Ländern abgeladen wird und seufzen.

Die Oktopus-Nation wird Menschen auf der Flucht aufnehmen, denn sie wissen, dass die Zivilisationen einander brauchen, um zu gedeihen, trotz unserer aufgeblasenen Egos sind wir schließlich alle miteinander verbunden.

Aber Stolz ist universell und mit wachsendem kollektivem Bewusstsein und Macht, wächst auch er an!

Daher unterscheiden sich die Regime der Außerirdischen gar nicht so sehr von unseren, auch sie werden sich verbünden, mit uns und gegeneinander, für den Fall.

Die weise Oktopus-Nation wird anderen außerirdischen Nationen raten, keine Bündnisse einzugehen.

Die weise Oktopus-Nation wird Menschen auf der Flucht aufnehmen.

Ich freue mich darauf, hier wegzukommen. Mich rauszuschmuggeln, während Außerirdische versuchen werden, sich hineinzuschleusen, um zu sehen, wie es sich als Erdling so lebt.

Wir werden sie in Parks mit Hasch antreffen, angeblich beim Versuch, unsere „einfachen, aber puren Herzen“ zu verstehen, sie werden in einer Untergrund-Szene experimentelle Kunst schaffen, Gedichte schreiben über die eitle Existenz des Universums.

Manche werden aber allergisch auf die schuppende Haut der Menschen reagieren.

Die Ärzte beider Seiten werden das Tragen von Masken empfehlen.

Beide Seiten werden empfehlen, nach direktem Kontakt lange zu duschen, so ähnlich wie es jetzt schon bei Kakerlaken ist.

Manche Außerirdische denken, vermutlich zurecht, dass man uns nicht trauen kann. Dass wir nicht zivilisiert genug sind, nicht zusammengehörig genug, einander mit Vorurteilen begegnen. Unser Bild des Universums setzt sich aus den Eindrücken von sechs Sinnen zusammen – obwohl es kein

Geheimnis ist, dass wir eigentlich neunzehn scharfe Sinne haben.

Und unsere Angst vor dem Tod ist größer als der Respekt vor dem Leben.

Manche werden uns aufgrund unserer interessanten Hautfarben und den seltsamen Gesichtszügen jagen. Und manche werden meinen, das Menschenfleisch sei perfekt zum Grillen – wenn man es vorher lange genug einlegt.

Aber die Weisen werden davon abraten. Erdlinge darf man nicht essen, sie haben Gefühle und ein Bewusstsein. Außerdem können beim Verzehr Parasiten übertragen werden, die unheilbare Krankheiten auslösen.

Wir sind „haram“.

Wie Schweinefleisch in Judentum und Islam.


Etwas erfreulicher und unterhaltsamer wären aber die neuen Modeströmungen, denn wir würden versuchen unseren Göttern ähnlicher zu sehen, durch unser aufgeblasenes, aber zerbrechliches Ego identifizieren wir uns nämlich mit den Stärkeren, so ist das immer.

Die beiden Gesellschaften würden auch sexuelle Kontakte pflegen – wie es unter Lebewesen so ist. Fetische sind kreativ konstruierte Verhaltensweisen: Bei den Menschen würde ein Tentakel-Fetisch entstehen und auf Seite der Außerirdischen ein Haar-Fetisch und ein Kurven-Fetisch, was Einfluss auf die Modeindustrie hat. Und im ganzen Universum

würden heimliche Porno-Kanäle auftauchen.


Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Gruppen! Eine neue, ergiebige Quelle der Unterhaltung, Liebe, Lust, Konflikte, Interessenskonflikte und manchmal Kartharsis.

Das Drama!

Das galaktische Publikum würde sie lieben, die neue Sendung „Keeping Up with the Earthlings“, das wäre der größte Renner.

Demon and pity angels illustration

„Du wirst eine außerirdische Frau finden, die dich nicht verlässt!“, sagt mein Freund, während er wütend die Teller spült. Das ist nicht mein Ziel, ich weiß nicht, ob ich das könnte. Aber die Hoffnung stirbt natürlich zuletzt.

Ich würde gerne eine Achse der Hoffnung einführen.

Wer keine Hoffnung hat, weiß, dass man ohne sie schnell alle Lebenskraft verliert.

Das Bügeleisen zischt ein letztes Mal und hinterlässt einen weiteren kreideartigen Fleck auf dem Ärmel, man kann es aber noch anziehen, auch wenn mein Freund das anders sieht: „Darin kannst du dich nicht blicken lassen, kauf dir ein neues Hemd und eine ordentliche Hose ohne Löcher!“

Ich bitte ihn, tief durchzuatmen.

All das wird keine Rolle spielen, wenn die Außerirdischen einmal eingetroffen sind.

Meine Schwester ruft an, meine Ex-Frau ist verstorben. Meinem Freund erzähle ich, sie sei auf dem besseren Planeten, auf den auch ich ein Auge geworfen hatte.

Während er schluchzt und weint, erinnere ich ihn daran, zu atmen.

„Atme!“

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