Das Foto zeigt eine Frau die anderen etwas zeigt, das diese nachmachen

Tonlos bei Atemlos

Mit klaren Handbewegungen macht die Dirigentin Brigitte Rothkopf auf sich aufmerksam. Der Chor kommt zur Ruhe: Die konzentrierten Blicke sind auf die Dirigentin gerichtet. Doch als sie die ersten Takte von Helene Fischers „Atemlos“ anschlägt, kommt kein Ton über die Lippen der Chormitglieder. Es herrscht absolute Stille. Dennoch performt der Chor schon längst. Aber eben auf eine ganz besondere Art: Mit Gebärden. Denn der Chor „singende Hände“ besteht aus Gehörlosen. Statt zu singen, lassen sie ihre Hände fliegen.

Ich habe die „singenden Hände“ bei einer ihrer Chorproben im Hörgeschädigtenzentrum in Aachen besucht. Auf ihre außergewöhnliche Weise musizieren rund 25 Menschen aus Düren, Heinsberg und Jülich schon seit dem Jahr 2001. In ihrem Repertoire findet sich vom Karnevalsschlager bis hin zur Kirchenmusik so ziemlich jedes Genre.

Bevor der Chor ein neues Lied einstudieren kann, muss die Dirigentin den Liedtext zunächst übersetzen. Übersetzen in die Gebärdensprache, die einen kleineren Wortschatz hat, weil zum Beispiel Artikel gar nicht existieren. Den „Sängern“ geht es vor allem um den Spaß, und den spürt man bei den Proben. Sie verstehen sich selbst eigentlich als Hobbychor, sind aber schon ein paar Mal aufgetreten: in Gemeinschaft mit einem singenden Chor. Und das ist für die Dirigentin Rothkopf gar nicht mal so einfach – schließlich will sie, dass beide Chöre synchron sind, ist aber selbst im Hören eingeschränkt und daher auf besondere Zeichen der anderen Musiker angewiesen.

Für die Gehörlosen ist der Gebärdenchor der Schlüssel in die Welt der Musik, die ihnen sonst verschlossen ist. Weder höhere Töne noch mehrere Stimmen können sie hören. Und nur wenn sie die Anlage ganz laut aufdrehen, spüren sie das tiefe Wummern des Basses. Als sich die Gruppe wortlos über den Tisch hinweg verständigte, wurde mir zum ersten mal wirklich bewusst wie ausgeschlossen sich Gehörlose fühlen müssen, wenn sie unter Hörenden sind, die keine Gebärden sprechen. Ich saß also da und hatte keinen blassen Schimmer worüber sie sich unterhielten, und was für die wortlosen Lacher sorgte. Ich konnte mich nicht einmal daran erinnern, wie die Gebärde für „Danke“ aussah.

Bei der Performance von „Atemlos“ war das schon anders, und ich erkannte einige Gebärden wieder. (Zu meiner Ehrenrettung: Dem Lied konnte man in den vergangenen Monaten kaum entkommen, sodass sich der Text zwangsläufig eingebrannt hatte).

Wer die „singenden Hände“ einmal in Aktion erleben will, muss sich vermutlich bis zum kommenden Frühjahr gedulden. Deshalb habe ich auch ein kurzes Video gedreht, damit ihre zumindest einen kleinen Einblick davon bekommt, wie dieser Chor „singt“.

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