Das Foto zeigt einen altmodischen Wasserhahn

Im Untergrund, da brodelt es!

Folge 4: Die Erholungsreise

Aachen eine Stadt, die Wasser hat, aber wenig davon zeigt.

Das Bild zeigt eine Nahaufnahme des Bodens eines alten Wasserhahns

In den Tiefen unter Aachen schlummern sie im Verborgenen: die heißen Quellen. Zahlreiche Kurgäste kurieren ihre Gelenk- und Knochenbeschwerden in den heißen Bädern der Kureinrichtungen aus. Dennoch bleibt das Wasser Aufreger Nummer eins unter den Öchern und Zugezogenen der Stadt. Warum hat dieses wunderschöne und historische Fleckchen nur das eine nicht: ein fließendes oberirdisches Gewässer?

 

 

Die heißen Quellen

Die über 30 Aachener Thermalquellen zählen zu den ergiebigsten Deutschlands. Verborgen unter unscheinbaren Kanaldeckeln und in Hinterhöfen, machen sie sich allenfalls bemerkbar durch penetranten Geruch oder durch Dampf, der im Winter aus Kanaldeckeln herauszieht. Und doch zählen sie zu den berühmtesten und heißesten Quellen Mitteleuropas. Rund 3,5 Millionen Liter Wasser sprudeln am Tag aus den Quellen – ohne Abpumpen könnte halb Aachen geflutet werden.

Christa Kratzer ist 70. „Ich hatte vor Kurzem noch solche Schmerzen“, sagt sie. Gehen, Sportmachen, das alles war nicht möglich. Deswegen hat Kratzer eine neue Hüfte bekommen. Jetzt steht die Heilung an. Und diese soll in der Rehaklinik Rosenquelle in Aachen passieren. „Ich bin erst ganz frisch hier“, sagt Kratzer und kramt in ihrer Tasche nach dem Trainingsplan. „Heute Morgen war ich bei der Lymphdrainage, dann bei der Bewegungstherapie, dann Krankengymnastik, oh, und heute Nachmittag, da geht es zum Schwimmen.“

Das Foto zeigt einen Mann in einem weißen Kittel mit zwei Schaumstoffgewichten in den Händen vor einem Wasserbad

Rund 5000 Kurgäste empfängt die Rehaklinik Rosenquelle in Aachen jedes Jahr. „Wir nehmen vor allem Gäste im Umkreis von 300 Kilometern auf“, erklärt Chefarzt Erik Skobel. Er leitet die Rosenquelle seit 2014 und stammt gebürtig aus Düren. Für die Rehabilitationsmedizin hat er sich entschlossen, „weil es eine der wenigen Disziplinen in der Medizin ist, in der man noch viel Zeit für den Patienten hat“, sagt Skobel. In den drei bis vier wöchigen Aufenthalten der Patienten könne hier so einiges bewegt werden – auch durch die Thermaltherapie.

Skobel schreitet in seinem weißen Kittel den Gang entlang. Durch die Eingangshalle vorbei an dem alten Trinkbrunnen. „Früher haben die Kurgäste das Wasser auch getrunken“, erzählt er. Der hohe Mineralien- und Schwefelgehalt des Wassers sei zwar in Maßen für die innere Anwendung nicht bedenklich, aber man solle es auch nicht zu viel konsumieren. Zur Sicherheit ist der Brunnen jetzt stillgelegt. Skobel biegt um eine Ecke und die Luft wird merklich feuchter und wärmer: „Da ist es das Bewegungsbad.“ Bunte Schaumgummirollen liegen am Beckenrad. Hier werden täglich mehrere Einheiten Wassergymnastik erteilt. „Mit der Thermaltherapie haben wir gute Erfolge“, erzählt Skobel. „In das Bewegungsbad kommen vor allem Patienten, die Bewegungseinschränkungen durch eine OP oder einen Bruch haben.“ Für Patienten mit Lungenerkrankungen oder Herzproblemen, sei die warme Luft in vielen Fällen oft zu belastend. Bei bestimmten Hauterkrankungen könne das Quellwasser jedoch wiederum sehr gut helfen: „Das möchten wir auch in Zukunft mehr ausbauen.“

Einmal im Monat wird das Wasser auf Bakterien überprüft. Das geschieht direkt am Quellfluss im Keller der Rosenquelle. Schwefeliger Geruch wabert einem schon von weitem entgegen. Rund 2500 Liter strömen in der Stunde durch die Leitung. Umgerechnet könnte man damit am Tag knapp 500 Badewannen füllen. „Wir können das Wasser gar nicht komplett nutzen“, sagt Skobel. Deshalb dampft es auch im Winter oder am frühen Morgen öfter einmal aus den Gullys der benachbarten Bachstraße. Denn das Wasser ist heiß: bis zu 70 Grad hat es, wenn es aus der Quelle sprudelt. „Für unser Becken müssen wir es natürlich auf rund 35 Grad runterkühlen.“

Das Foto zeigt eine lachende Frau neben einem Busch

„Früher als ich klein war, da haben meine Eltern mit mir oft Ausflüge zu den heißen Quellen gemacht“, erzählt Gisela Warmke. Sie ist Gründungsmitglied der Bürgerstiftung Lebensraum Aachen und betreut dort das Projekt Thermalwasserroute.

„2007 sind ein paar Geologen zu uns gekommen, um die Welt der heißen Quellen in Aachen wiederzubeleben“, erzählt Warmke. Sie fand das Projekt von Anfang an unterstützungswert. Um die Erinnerung an die Quellen zu erhalten, haben die Geologen zusammen mit der Stiftung eine Thermalwasserroute ins Leben gerufen. „Wir möchten im nächsten Schritt ein Straßenmuseum entwickeln, das den Namen aachen72°celsius trägt“, erzählt Warmke. Mit einer passenden App sollen so bald Bürger und Touristen die Möglichkeit haben, an den Quellorten mehr über die Quellen im Untergrund zu erfahren.

Sagenumwobene Quellen

Zahlreiche Legenden ranken sich um Aachens heiße Quellen. Demnach soll das Pferd von Karl dem Großen bei einem Ausritt Reißaus genommen haben und so seinen Herren einst zu den heißen Quellen geführt haben. Auch das berühmte Fabelwesen, das „Bahkauv“ oder auch Bachkalb genannt wird, soll in den Abwasserkanälen der Thermalbecken gehaust haben. Nachts kam er dann aus dem Untergrund hervor, um zechende und fremdgehende Männer zu erschrecken. Bahkauv ist am Büchel ein Denkmal gesetzt.
Inzwischen darf Aachen nur durch den Erhalt des Schwertbads und der Rosenquelle weiter den Titel „Bad“ tragen. „Vor hunderten Jahren da war Aachen eine Stadt in der es zahlreiche Sümpfe und offenliegende heiße Flüsse gab“, sagt Warmke. Die Thermalquellen seien einfach schleichend aus dem Stadtbild und auch aus dem Bewusstsein der Aachener verschwunden. Und das obwohl das heiße Wasser einer der wichtigsten Gründe war, weshalb sich Römer und später auch Karl der Große hier angesiedelt haben. Warum die Quellen deshalb nicht touristisch mehr genutzt werden, ist auch für Warmke ein Rätsel. Aachen hat es also doch: das Wasser, das die meisten hier so sehr vermissen. „Das Ganze hat so viel Potential, dass das nicht genutzt wird, ist einfach schade.“

Besonders durch die Zertifizierung als „Heilwasser“ und der Forderung des Gesundheitsamtes, dass das Wasser nur nach Absprache mit dem behandelnden Arzt eingenommen werden solle, seien die Quellen noch mehr in den Untergrund verbannt worden. Tatsächlich sind im Aachener Quellwasser auch Stoffe wie Arsen und Flourid enthalten. Die Werte der Trinkwasserverordnung können so nicht eingehalten werden. Deshalb ist das Quellwasser weitestgehend unter Verschluss. Christa Kratzer will das Wasser auch nicht trinken. Aber auf das Bewegungsbad freut sie sich schon. „Ich will hier ohne Krücken raus“, sagt Kratzer und hebt eine ihrer blauen Gehhilfen. Auf die Heilkraft der Quelle hofft sie daher umso mehr.

Mehr von Marie Ludwig