Resümee einer Halbzeit

Zur Halbzeit meines Aufenthalts in Ostwestfalen-Lippe breche ich kurz mit meiner Konvention und breche meine Zeit hier ein wenig herunter.
Um am Anfang anzufangen, muss ich ehrlich gestehen, dass ich außer ein paar Auftritten in einigen lautmalerischen Städten wie Lemgo, Detmold, Altenbeken, Bad Driburg, dem viel bescherzten Bielefeld, Minden und Paderborn diese Kulturregion nur als grünes, verschwommenes Füllmaterial zwischen Himmelsrichtungen aus einem Zugfenster betrachtet habe, oder Ausharrpunkt eines Verspätungs-/ bzw. Strandungsunfalls einer Regionalbahn auf der Durchreise.

Tatsächlich hatte ich mich für eine andere Region beworben. Zum Glück bin ich hier gelandet.
Völlig unvoreingenommen stolperte ich also in den ostwestfälischen Sonnenschein am Tag meiner Ankunft und war schon in diesem Moment ziemlich überrascht, denn es gab hier Sonnenschein.

Aus vielen Aufenthalten in Nordrhein-Westfalen, wusste ich, wie unterschätzt dieses Bundesland ist. Die Rechtfertigung, warum ich in Heidelberg aufgewachsen, dann nach Berlin, nach Marburg und letztendlich nach Bochum gezogen war, tat ich irgendwann mit einer müden Handbewegung ab. Es gibt einfach Banausen, was die verborgene Schönheit von Städten und Regionen angeht. Angenommen, man kommt in Heidelberg an und sieht nur den Bahnhof, würde man lieber in Bochum sein.
Warum ich jetzt aber aus Hamburg nach Herford gesandt wurde, konnte ich noch keinem so richtig erklären, vor allem, weil ich selbst auch nur das Marta kannte, als Architekturfreund, aber nicht die genaue Verortung erklären konnte.

Seitdem habe ich fast jeden Tag damit verbracht eine kleine neue Ecke dieses unergründeten Landstrichs für mich zu erobern. Vom Stehen in überfüllten Regionalbahnzügen, Staunen über von einem Smartphone nicht photografierbarer Naturwunder, Warten im Regen auf Busse, die nur sehr, sehr selten fahren, Kartografieren der Landschaft für ein Gefühl von Heimkehr, seltenem Unvermögen aufzuschreiben, was ich empfinde, Hektik bei manchen Begegnungen, Gelassenheit bei vielen Erkundungen, Wespengarnisonen, die sehr gefährlich für mich sind, nicht selten dem ein oder anderen fragenden Blick ob meines hier auffallenden Kleidungsstils, glücklichem Sonnenbrand nach einem durchwanderten Tag, bis hin zu dem Punkt, wo man weiß, dass man es mag, hier poetischer Forschungsbeauftragter zu sein. Es wäre tatsächlich etwas anderes gewesen mit einem Auto, es wäre zu klein gewesen mit all den Erinnerungen an Bord.

Meine größte Schwierigkeit bestand darin, die Unwegbarkeit der Ländlichkeit Ostwestfalen-Lippes mit mir selbst abzuklären, manchen Veranstaltungen oder Orten in meinen Möglichkeiten nicht gerecht werden zu können, nämlich der Fähigkeit ein Auto zu fahren und zu besitzen. Zum Glück habe ich eine hohe Frustrationsschwelle, obwohl da innerlich schon manchmal ein ziemlicher Groll herrschte, da es hieß, wirklich schöne Facetten der Region zu verpassen. Das spricht ja aber durchaus für diese Perle Nordrhein-Westfalens.

Viel Euphorie und Abenteuergeist wird in kommender Zeit den Herbst sehen in einer wundervollen, überraschenden Fülle der Möglichkeiten einer Kulturregion, die viele Geheimnisse und Wahrheiten birgt, deren Erkundung mir vergönnt ist nachzukommen.

<3

 

 

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Sommersonnenaufgang am Flusslinienlauf

Manchmal wache ich sehr früh auf und will ein paar Eindrücke einfangen, die man bei gewohntem Mittagsbetrieb nicht so festhalten kann, da Tageszeiten eine große Rolle spielen in der Wahrnehmung, von Stimmung zu Stille. Hier gibt es viele Flüsse, Kanäle, Wehre, Bäche, Stauwerke und Quellen.

Frühmorgendlich schlich ich mich einmal dahin und malte danach dieses Minimosaik auf ein Stückchen Holz, das ich fand (ca. 4x5cm):

 

Flusslinienlauf, Sonnenaufgang

Es kreisen Schiffe, Boote, Galeeren und Fregatten,
eigentlich nur Blätter oder Nussschalen,
papiergewordene Dreimaster,
um ein unwegbares Deck
der Seewelt, der Flusswelt, der Meerwelt
der gitterstäbetigernden Unwahrscheinlichkeit.
Boote bringen nur kleine Reminiszenzen an Morgen
verschachteln sich im Ton des Unglaubbaren;
ein Nebelschweif bittet um Salut,
eine Wolke am goldgepunztem Himmel verschweigt,
was unter ihrer Mehrdimensionalität erreichbar wäre;
an blauer Leinwand angetackert,
ringt ein Halbmond immer noch um Erlöschung;
lange Schatten aus gähnender Schwere des Uferlaufs
werfen einen Hauch Unnahbarkeit in Spiegelungen.
Kleine Kreise, die das Wasser ebnen;
Schleusenkakophonie, Wehrdiastolen, Flussatmen;
Plattenwechsel auf noch schlaftrunkenen Brücken
und Schwalben finden ihre adäquaten Mückenportionen
im lichtumwobenen Sommersonnenaufgang.
Fände man eine Kapitänskajüte für die Stille des Morgens,
sie wäre umschlossen von einem kleinen Wasserecho
einer Nussschale, die leise eine halbe Eskimorolle erleidet.

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Schnurrviertel

Am Beispiel Minden zeigt sich, wie unterschätzt Ostwestfalen doch ist. Neben den ganz bekannten Sehenswürdigkeiten gibt es auch kleine, verborgene.

Von meinen noch nicht veröffentlichten Gedichten, habe ich mir deshalb das Schurrviertel in Minden als nächsten Post ausgesucht. Das ist ein von einer Bürgerinitiative selbsternanntes Viertel, das direkt neben der Martinikirche und dem kleinsten und schiefsten Haus der Stadt liegt, dem Windloch, das so heißt, weil es dort immer durch die Gassen pfeift. Es ist ein unglaublich, wunderschöner, sehenswerter Ort.

Den kleinen Irokesen auf dem Friedensplatz gilt mein Minimosaik:

 

 

Schnurrviertel

 

Ruhe auf dem Friedensplatz,

Seelenerörterung im Kleinen des Seins;

angesiedelt hinter dem Windloch,

wo die Gassen einem frech hinterher pfeifen.

Eine freilaufende Hühnerschar pickt

Krümel aus Kopfsteinpflasterschluchten

gespickt mit Unkrautveraderungen.

Geranien erschweren Laternenmaste:

in nostalgischer Pracht läutern sie das Gusseisen

zwischen Fachwerk und Kirchengemäuer;

selbst Uhren scheinen hier Ruhe gefunden zu haben,

nur der Brunnen nagt und mahnt

mit leisem Plätschern dem Zeitfluss der Kastanien.

Kleine gackernde Zaungäste in cappuccino, weiß und schwarz

ermitteln hier den Mittelpunkt der Welt

oder einer kleinen Idylle.

Ein Basilikum schickt sanft andächtig flatternd

einen Gruß an den Lavendel nebenan.

Als die Zaungäste ermahnt werden,

endlich nach Hause zu gehen,

erklingen leise Proteste, gackernderweise.

Die Queen selbst schaut all dieser Gelassenheit

aus einem kleinen Schaufenster zu und denkt sich ihren Teil.

Beim Griechen bestellt ein Rentner Frühlingsrollen.

Ein alter und ein junger Punk unterhalten sich auf einer Bank.

Kleine Katzenattacke auf die gefiederte Irokesenfamilie, ohne großes Aufheben.

Irgendwo verborgen liegen hier Schicksale und Einblicke.

Zwei Helium Ballons rudern im Wind und jemand spielt sehr schief ein altes Saiteninstrument.

Irgendwie scheint die Welt hier in Ordnung zu sein.

 

 

 

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Wolkendalmatiner

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Minnesang und Flötenmelodey

Neulich hatte ich die Gelegenheit dem Sparrenburgfest beizuwohnen. Es ist schon wirklich bewundernswert mit welch stoischer Ruhe Handwerker, Händler, Bogenschützen, Schwertkämpfer, Gaukler oder gar nur passionierte Mittelalterfans es vermögen, ihre Rolle beizubehalten und bei fast 30°C in Lederkluft, Kettenhemd, Wams oder Zaubermantel zu verharren. Auch, wenn viel von solchen Märkten natürlich nur Show ist, hatte es wirklich Unterhaltungscharakter und es war ein äußerst bunter, fröhlicher und trubeliger Aufenthalt dort. Ein schöner Eindruck von einer lebendigen Sparrenburg.

Eine Mini-Sparrenburg:

 

Sparrenburgfest

 

Neben mir sitzt Merlin,
im Zauberumhang,
auf der Parkbank.

Jubel, der kleine Robert wurde gefunden!
Bei den Rittern, woanders denn sonst?!
Oh Gott sei Dank.

Kletterwände am Schloss zeichnen Gelegenheiten aus,
zu schnacken und zu fabulieren
irritieren mich manchmal auch
gut bekinderwagte Eltern;
ich würde gerne mit meinen Abenteuerfreunden,
an den Mauern klettern und jubilieren,
doch als erwachsene Person,
darf man das nicht so einfach.

Gut geölte Kinderwagenräder kurbeln sich
um mich weiter wie Zeiträder;
ich betrachte währenddessen
gerne die Wolken,
die über uns herziehen,
denn wir sind nicht gewandet in Kettenrüstung,
nicht verbandelt mit passender Kluft;
wie Atmsphärentiere
die zwischendurch reflektieren,
was getan werden muss,
so schweben sie über uns,
sehen auf uns herab,
bedenken unsere Kleinweltlichkeit.
oder das, was davon noch bleibt…

Eine Burg,
die definitiv an diesem Tag
schon viele Szenarien gesehen hat.

Ein Monument, eine Reise in eine Nebenwirklichkeit,
voller Flötenmelodey und Kunsthandwerk,
gepaart mit Saiteinklängen einer metgeträuften Lustigkeit.

Grandiose Menschen verdingen sich in Einigkeit;
eine Burg wiederzuerschaffen im Gedankengut der Menschen.

Ein paar Kinder laufen aus dem Märchenzelt,
ein Erwachsener beginnt zu denken.

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Aufgerauter Himmel

Liebster Herr Blog,

ich habe schon sehr viel für dich vorbereitet, gedulde dich, es war genug zu erleben. Heute bekommst du nur ein kleines Gedicht über Sommergewitter, da diese hier wirklich frequentiert erscheinen, eingestreut kommen meist noch Sonnenschein, Begeisterung und Wind dazu. Seit ich hier wohne, habe ich hochgerechnet eventuell fünf Tage ohne Wetterwechsel verbracht. Das hebt jeden Tag die Spannung und lässt mich deswegen auch darüber schreiben.

Auf dem Minimosaikstück sieht man aus diesem Grund einen Sturm im Teutoburger Wald, in dem ich noch mehr herumwandern werde, da ich jetzt auch Zelt, Isomatte und Schlafsack in Herford habe. Das Minimosaik ist drehbar und zeigt von der anderen Seite Gebirge, nur so am Rande notiert.

 

 

 

Sturm

Es hagelt unerwartet
kleine Blitze in das Feld;
vor meinen Augen steht gebannt
ein Etwas und erstarrt
in erschlagendem Donner.

Eigentlich wäre heute ja auch Sommer;
wassergewordenes Metall klopft an den Fenstern,
in den Räumen greift man nach Gespenstern
eines Widerhalls der aufgestauten Enge,
zwischen Ästen und Bäumen,
Ähren und Träumen;
wir räumen hier genug Aufschlagfläche für Hagel ein,
oder für Konsorten unberechenbaren Wetters.

Letztlich bleibt ein Grauton,
der die Stille erschießt,
eine tobende Wolke,
die sich in Revolte
nicht den Bergen verschließt,
denn im aufgerauten Himmel
wabert unabwendbar,
ein Gewinde der Gleichberechtigung:

Du kannst nur so viel Sommer haben,
wieviel du davon verlangst.

 

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