April in Zülpich (III)

Ich, das Chamäleon,
war nirgends zu sehen,
krallte mich fest auf der Karte.

Ich roch das Nichts,
ich vermied die Nähe
und schlüpfte in die Worte,
die Städte waren,
Länder, Meerengen, Gebirge.

Ich suchte auf meinen Streifzügen durch
Buchstabenketten
einen Milimeter Morgengrauen,
eine winzige Falte Zuhause.

Eine dünn eingezeichnete Straße führte dorthin.

nach Michael Wallner: April in Paris

Mehr Gedichte mit dem Textmarker gibt es hier: neonstift

Mehr von Pascal Bovée

Traumdeutung (schwarz weiß grau)

Dichotomie im Denken ist ja generell ungut. Kann man viel drüber rätseln, aber an sich existiert das erst mal gar nicht oder macht nur Ärger. Deshalb immer auf der Hut sein vor Leuten, die einem was davon erzählen wollen, Zweiteilung, Linien, Grenzziehungen, Gut hier, Böse da, an der Ecke sehr heilig und da hinten ganz schlecht und verhurt, hinter mir Vergangenheit und vor mir das andere.
Mir, vor allen anderen muss auch keiner etwas über die Nachteile von Schwarz-Weiß-Denken erzählen, weil hier: Grau. Ausschließlich grau. Ziemlich viel grau. Einer Dame, die seit meteorologischem Frühlingsbeginn mit Elefanten zusammen lebt, muss über Bedeutung von Graustufen nicht wirklich was gemansplaint werden. Echt nicht.

Dichotomie bei Bohnen ist wiederum was anderes. Zweimal am Tag wässere und streichle ich die Setzlinge auf meiner Fensterbank. Wenn das keine echte Schönheit von dichotomischer Teilung an dieser Sprossachse ist, dann weiß ich auch nicht. Gäbe es ein sicheres Zuhause, es könnten Bohnen erwartet werden zum Ende des Sommers, der vor mir liegt. Wenn Menschen am Ende des Sommers zu Besuch kommen dürften, ich würde eine Bohnensuppe gekocht haben werden. Der Futurdrei ist eine Grammatikform, die ich noch üben muss, ich weiß.

Dichotomie bei Träumerinnen: vorhanden. Weil es gibt die einen, die nicht träumen und deshalb verdächtig sind. Und es gibt die anderen, die permanent am Träumen sind, was ja erst mal in Ordnung ist, bis sie anfangen, von ihren Träumen zu erzählen. Den Träumen anderer Menschen zuhören zu müssen ist etwa so unangenehm wie das erzwungene Betrachten verwackelten Urlaubsbildern oder die unfreiwillige Teilnahme an fremdem Popeln. Ich bin eindeutig Typ 2. Ich belästige Menschen mit meinen Träumen. Massiv. Schon immer.

Von den wiederkehrenden Träumen, dich mich seit Jahren verfolgen, nachts kalt erwischen und dann in den Tag hinein weiter kleben bleiben, gehört der mit dem Walfisch. Ich habe Google gefragt und Lexika, einen Oreonauten, meine Mitbewohner, Schamanen und Psychologen, schlaue und weniger schlauere Menschen und noch hat keiner eine Deutung vorgeschlagen, die interessant genug gewesen wäre, um sie final zu akzeptieren.

Der Traum geht so:
Ein Walfisch treibt auf dem Meer.
Es ist windig, der Wellengang schwer.
Sonnenauf- oder Untergang ziemlich wahrscheinlich.
Der Walfisch taucht auch immer wieder auf und ab, ist halb sichtbar, tümmelt da so herum und als er sich endlich in seiner vollen Größe aus dem Wasser erhebt, fängt er plötzlich an zu brennen.
Wie ein Osterfeuer oder ein Geburtstagskuchen, auf dem die kleinen grünen, pinken, gelben Kerzen immer sofort auf die Zuckerglasur, respektive den Wal tropfen.
Der Wal brennt ohne Geräusche.
Menschen stehen am Rand einer Klippe, schweigend. Dabei ist es ist meistens kalt und sie haben Mäntel an, sie schauen dem Wal zu und halten die Klappe.

DREAM 1: BURNING WHALE (von Lilianna Kane)

Ich mag diesen Traum. Er kommt in einer undurchschaubaren Regelmäßigkeit so wie mein Heuschnupfen oder mein Selbstmitleid, immer mal wieder und sicherlich einer inneren Logik folgend, aber ohne dass ich sie durchschaue.
Was weiß ich schon. Ich sage auch Walfisch zu einem Säugetier.

Vor meiner ersten Reise in den Hellweg, in der kurzen Nacht zuvor, hat sich der Traum verändert.
Ich stehe wieder in einer Menschenmasse, die schweigt, ich habe einen Wintermantel an und mache einen auf Beobachter, aber diesmal stehen wir nicht am Rand einer Klippe sondern am Eingang der Wüste, die eigentlich auch wie ein Meer ist, nur trockener.
Und es ist kein Fisch, der brennt, da brennt eine Herde Elefanten. Sie sind weit draußen, es ist mitten in der Nacht und die brennenden Elefanten laufen einmal quer durch das Blickfeld und stehen in Flammen, ein Wüstenelefantenfeuerwerk.

Dream 2: Burning Elephants (von Lilianna Kane)

Ich wachte auf im März und wunderte mich, war aber mit Kopfschmerzen und Taschepacken und Busfahrerverfluchen beschäftigt, ich musste einen Zug erwischen, einen Proviant einkaufen und einen Schienenersatzverkehr durchschauen, deshalb war keine Zeit sich weiter mit diesem Traum zu beschäftigen. Draußen zog Deutschland am Zugfenster vorbei in schlammigem Mattbraun. Wie war die Welt so trübe, jajaja, und der Weg gehüllt in Schnee, zumindest an ein paar wenigen Stellen.

Von allen Jahreszeiten, die für Anfänge scheiße sind, November und März ganz oben mit dabei.
November wegen Hoffnungslosigkeit und März wegen Hoffnung, weil zu ahnen ist, dass das alles besser wird, aber es nicht danach aussieht. Nur weil irgendeine Dings es seit Anbeginn der Welten geschafft hat, aus dem Winter wieder einen neuen Anfang zu machen, der keimt und blüht und Wurzeln schlägt, heißt das ja noch lange nicht, dass es in diesem einen Jahr wieder funktionieren kann.
(Spoiler aus dem April der Gegenwart: Frühling hat geklappt. Der Rest nicht so.)

Jetzt ist mehr Zeit und nicht mehr ganz so viele Verkehrsmittel.
Dafür Elefant.
Ob er auch in Traumdeutung mache, will ich von ihm wissen.
Und er: Ob ich mir denn für keine Frage zu blöd sei.
Bei Neugier gibt es erst mal kein richtig oder falsch, merke ich an und: Dein dichotomisches Denken nervt total.
Der Elefant schnaubt nur, ob ich hier jetzt kuschelpädagogisches Esorterikgetexte eines Säugetiers einfügen wolle, so ganz schlimm wie in, komm schon, Stimme der Weisheit, sag doch auch mal was Schlaues.
Nein, sage ich. Das jetzt nicht gerade.
Meine Stimme zittert ein bisschen dabei.

Wer jetzt noch träumt, ist verloren.
Wer Anteilnahme und Verständnis von Untertönen in Gegenwart einer grauen Tonne verlangt, ist sowieso verloren.
Wer Antworten im Schlaf sucht, wenn die Vernunft vorübergehend ausgeschaltet ist, wenn alles irgendwie ausgeschaltet ist, der ist wiederum so rettungslos verloren, dass er eine Antwort verdient.

Ob ich die Zukunft gedeutet haben möchte, will der Elefant von mir wissen.
Jetzt muss ich auch ein bisschen lachen.
Natürlich nicht.
Weißt du, so der Elefant, wir müssen uns langsam von der Vorstellung verabschieden, dass die Zukunft in nur einer Richtung zu finden ist. Und dass diese vor uns liegt. Weil es an der Zeit ist, neben sich zu schauen. Das Blickfeld zu erweitern. Um auf dem Boden, in den Nischen und Winkeln zu suchen. Verstehst du mich?
Der Elefant schnaubt wieder, diesmal aber verständnisvoll.
Wir rücken ein bisschen zusammen.
Wir atmen ein bisschen ein und aus.

Ich fahre mit meiner Fingerspitze seine Falten entlang, auf der Suche nach einer Antwort oder Richtung, Labyrinthe sind das, Sackgassen und verzweigte Wegesnetze in den Rillen seiner Haut. Er tastet vorsichtig meine Narben ab mit seinem Rüssel, auf der Suche nach Verständnis, nach Geschichten oder Mustern.

Das geht so eine ganze Weile, bis die Nachmittagssonne ein Erbarmen mit uns hat, wir uns aus dieser merkwürdigen Umarmung lösen und ein bisschen peinlich berührt abrücken, um die Bohnensetzlinge umzutopfen.In einen anderen, etwas größeren Saatbehälter versteht sich, mit dem Freiland warten wir noch ein bisschen, denn den Eisheiligen ist ebenso wenig zu trauen wie den Träumen bei Nacht.

Mehr von Annika Stadler