Wolkendalmatiner

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Mehr von Theresa Hahl

Sehen, Wissen und Staunen

Zwei Männer im Wald

Sehende:     Hörst du das? Da fließt ein Bach. Wie leise er fließt und doch irgendwie stark!

Wissende:   Das müsste der Diepensiepener Bach sein, sicher bin ich aber nicht. Es gibt hier einige Bäche: Den Stinder,                      den Hassel- und natürlich den Mettmanner Bach, den Schwarz- und den Angerbach, den Laubecker …

Beständig fließt der Bach. Dabei trällert er sein Lied, mutig und klar. Und während er so flüstert, da schwebt er vorbei an Erlen, an Pappeln, Brombeersträuchern und an Geschöpfen, die ihn zu verehren wissen. Der Bach schmilzt immer fort dahin und ist doch immer gleich, voller Zuversicht. Er verwandelt sich, zaubert und brennt; und ist immer gleich. Kein Hindernis ist ihm bekannt, der Bach bleibt er selbst. Kurvig tanzt er durch Tal und Land, nimmt kleine und große Steine mit, lässt andere liegen, bahnt sich den Weg, der ihm bestimmt. Die Leute versuchen ihn zu überholen oder ihn zu überbrücken, doch darüber kann der Bach nur spotten. Hörst du es auch? Jeder tropfen lächelt dich an, jeder Tropfen weiß alles.

Da gleitet ein Wasserläufer über den Bach, für ihn ist er ein reißender Strom, ein breiter Fluss aus zähflüssigem Blei; und der Wasserläufer hat recht. Der Bach ist stärker als du und ich, er hat keinen Anfang und kein Ende. Der Bach ist eins.

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Sehende:     Wie das duftet, ich liebe den Geruch von Gras. Irgendwie beruhigend, findest du nicht auch?

Wissende:   Da wird wohl einer gemäht haben.

Es wird vom Wind gestreichelt, das Gras. Wie gute Freunde strecken sich die Halme und wiegen sich gemeinsam in den Tag hinein und in die Feuchtigkeit. Ein Meer aus grün und glitzernden Spitzen, dicht an dicht, einander ähnelnd und doch alle verschieden. Und der Wind, der nimmt sie mit, er trägt sie auf seinen Schultern in die Welt hinaus. Das Gras und sein Duft, sie reiten auf dem Wind. Der Duft ist des Grases Sprache, hörst du es nicht auch? Es spricht vom Leben, vom süße, starken Leben, erzählt dir von seiner Mutter, der Erde, die ihn gebar und die ihm alles gibt, was es braucht. Mit einem Schmunzeln auf den Lippen sagt es dir, wie sehr es seinen Vater liebt, die Sonne. Seinen Vater, der es stets umarmt und ihm Kraft gibt. Und es streckt dir, während es davon berichtet, die Hand entgegen und gibt auch dir diese Wärme, die Liebe und das Vertrauen, das ihm stets zuteil wurde. Ruhe liegt in der Stimme des Grases, Ruhe und Gleichklang. Jedes Wort, das ihm über die Lippen schleicht, das sich um dich legt, sagt Erde und Wärme, sagt Leben.

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Sehende:     Wollen wir uns kurz hinsetzen, ich bin schon so müde. Vielleicht dort in den Schatten.

Wissende:   Willst du erschlagen werden, das ist eine Stieleiche. So eine Eichel auf den Kopf,                                                                      muss nun wirklich nicht sein!

Einmal hat sich ein Liebespaar unter meinen Armen geküsst. Das war schön! Danach waren die Zwei jedoch drauf und dran ihre Namen in mich zu ritzen, als würde das die Liebe offizieller machen. Der Bub hatte sein Taschenmesser vergessen, Glück gehabt. Wie lang das wohl her ist? 30 Jahre vielleicht? Was ich nicht schon alles erlebt habe in meinen 80 Jahren: Ganz klein war ich mal und hatte ja noch keine Ahnung von der Welt. Da habe ich noch so viel ausprobiert und meine Arme in alle Richtungen gestreckt, stets auf der Suche nach dem sonnigsten Plätzchen. Ein paar haben sie mir dann abgeschnitten, komisch diese Menschen. Jahr um Jahr bin ich gewachsen und irgendwann war es mir dann wichtiger die schon vorhandenen Arme zu stärken und auszubilden. Was habe ich da nicht für tolle Verzweigungen genommen und in manchem Jahr ein Blattwerk gehabt, dass der olle Farn von nebenan nur doof geschaut hat. Hin und wieder brüteten sogar Vögel in meiner Krone, so prächtig ist die. Nur schade, dass niemand meine Wurzeln sehen kann, denn eben so prächtig, wie ich mich gen Himmel strecke, wachse ich auch in den Boden. Puh da bekomme ich doch gleich wieder Durst.

Ich habe außerdem noch einiges vor mir! Ein Verwandter von mir wurde kürzlich erst 700 Jahre alt! Wer weiß, wie lange ich es mache?

Den Bub mit seiner Frau im Arm und dem vergessenem Taschenmesser, den gibt es dann jedenfalls nicht mehr.


Dieser Text entstand anlässlich der Lesung im Museum «Haus Dahl» im Oberbergischen Kreis. Thematisch ging es an diesem Tag um Einkehr und die Natur. Das Staunen wurde bereits in der Antike als Unterbrechung der Erwartung beschrieben und war für Platon der Beginn aller Philosophie. Die Romantiker des 18. und 19. Jahrhunderts würden das Staunen vielleicht als die Fähigkeit beschreiben, das Ganze und die Einheit hinter der Dinglichkeit der Natur zu sehen. Ihr Ziel war es, der Natur wieder näher zu kommen, gar mit ihr zu verschmelzen. Eben so wie die Romantiker das «Eins-Sein» anstrebten, lehnten sie die Trennung von Kunst und (Wissen)schaft ab und wollten die Gesellschaft durch diese Verbindung poetisch machen. Schlegel und Novalis nannten die Romantik deshalb eine «progressive Universalpoesie». In diesem Sinne:
Reicht es dem Menschen beim sonntäglichen Spaziergang den einen oder anderen Baum zu kennen?
In welcher Beziehung stehen wir heute zur Natur? 
Können wir sie noch bestaunen?

Mehr von Dimitri Manuel Wäsch

Kur, Kurautoren und Kuchen

Eigentlich kann ich mir ein kleines JUHU nicht verkneifen, denn ich hatte großartige Tage voller Schreiben, Basteln und Malen. Das komplette Puzzlemosaik ist schon sehr weit gediehen, aber hier erst mal eine kleine Abteilung, nämlich Bad Salzuflen. Eigentlich hatte ich extrem schöne Photographien, aber mein Handy wurde gestohlen. Naja. Neubeginn.

 

Bad Salzuflen

Wo Gradierwerke,
wie Korallenwände
in die Höhe wachsen,
nur von Stützpfeilern unterhalten
in der gleißenden Sonne
rolatoren sich gut betuchte Menschen
über Salzhof und Marktplatz.

Ab und an hätte man da
gerne etwas Wirklichkeit eingebettet,
doch während
in den Kaffeehäusern am Kurpark
auch auf Wunsch Natreen gereicht wird,
anstatt Zucker,
gibt es sicher eine Kurgästin,
die sich einen Käsekuchen bestellt;
mit sehr viel Sahne,
die schmilzt, wie
ein Stück Butter
in der hereintropfenden Realität.

Während der Erdbeerkuchen nervös unter seiner Sahnehaube hervorguckt,
mit Linksdrall vom Sonneneinfall,
fallen die ersten Regentropfen.

Mehr von Theresa Hahl

9:49 Uhr, Dortmund Zeche Zollern

Das rote Ziegelmauerwerk setzt sich glänzend ab vom Grau des Tages, das Zechentor ist nicht zum Passieren da. Unter dem linken Bogen steht gedrängt: eine Gruppe von Kindern. Etwa sieben Mädchen und Jungen und eine Frau können sich keinen Platz mehr verschaffen. Ihnen bleibt der Regen. Die meisten Kinder reichen der Frau bis zum Unterbauch, sie tragen Funktionsjacken und Rucksäcke. Dick und gerade fällt das Wasser, es platscht auf Köpfe und Gestein, die uneben asphaltierte Zufahrtsstraße ist pfützenvoll.

Manche stehen stumm, andere reden unverständlich, der eine beugt sich über den anderen, zwei Mädchen beobachten einen Wurm. Es wird gewartet. Ein Moment der Stille, Regengeräusche, Pfützenbeobachtung – dann ist die Frau deutlich zu hören: „Bevor das hier gleich losgeht, esst ihr am besten jetzt eure Brote.“ Die Kinder werden unruhig. Sie hieven sich die Rucksäcke von den Körpern, sagen: „Hast du was zu essen dabei?“ – „Ich hab Nutella!“ – „Aber ich hab doch gar keinen Hunger.“ Die Frau schaut in die Runde: „Drinnen könnt ihr nachher nicht essen. Also esst jetzt.“ Auch sie hat nun ein belegtes Brot in der Hand. Wie auf Kommando beginnen alle gleichzeitig zu kauen. Wieder Stille, Regengeräusche, Pfützenbeobachtung. Die Intensität des Regens nimmt zu. Niemand bewegt sich. Da öffnet sich unter dem rechten Bogen eine Tür. „Ah, erstmal buttern. Richtig so“, ist eine Stimme aus dem Inneren zu hören. Die Frau und die Kinder haben es plötzlich eilig, fast passen sie nicht alle durch den Eingang. 10:00 Uhr



>Zeche Zollern<
Rechts gingen die Bergleute rein, links kamen die Toten raus. ©mhu
Der Eingangsbereich: Rechts gingen die Bergleute rein, links kamen die Toten raus. Heute ist rechts der Museumseingang und links der -ausgang, und auch der Museumsshop. ©mhu
Nicht zu verwechseln mit der Zeche Zollverein“ steht im Wikipedia-Eintrag über die im Dortmunder Stadtteil Bövinghausen angelegte Zeche Zollern. Dabei wird das seit den 1960er Jahren stillgelegte Bergwerk als eine „Ikone der Industriekultur“ gehandelt.
Der vordere Bereich der Tagesanlage gleicht einer dreiflügeligen Schlossanlage und weist Einflüsse des Historismus, des Backsteinexpressionismus und auch des Jugendstil auf. Der „Familienpütt“ ist in Aufbau und Aussage ein Paradebeispiel für den historischen Stellenwert des Bergbaus in der Region. In der Lohnhalle und im Verwaltungsgebäude kann man staunend nachfühlen, wie sich Revier-Stolz und -Identität bilden konnten.

>Eine eigene Sprache<

Die Bergmannssprache ist eine eigene. Begriffe aus dem Bergbau haben sich bis heute erhalten. Etwa der Ausdruck buttern:

„Im Kohlenbergbau entstandene Benennung der Ruhepause zur Nahrungsaufnahme in der Mitte der Schicht. […]  Die Nahrungsmittel wurden zum Schutz vor gefräßigen Mäusen und Ratten in einer flachen Blechdose aufbewahrt – wahrscheinlich leitete sich von von ihrer Ähnlichkeit mit einer ‚Butterdose‘ der Begriff ‚buttern‘ ab. Die Dose bestand, wie auch die große Getränkeflasche (1-2 Liter), zur Vermeidung von Funkenschlag aus Aluminium. Die Flasche wurde mit einem nassen Strumpf umhüllt in den Wetterzug gehängt – durch die entstehende Verdunstungskälte wurden die Getränke kühl gehalten.“

Quelle: Bergmännische Fachausdrücke. miner-sailor.de, Stand: aktualisiert am 21.07.17.


Zeche Zollern – Grubenweg 5 – 44388 Dortmund
Geöffnet: Dienstag–Sonntag sowie an Feiertagen 10–18 Uhr, letzter Einlass 17:30 Uhr. Montags geschlossen (außer an Feiertagen).
Weitere Infos zu Veranstaltungen und Sonderausstellungen gibt es auf der Homepage des Museums.

Mehr von Melanie Huber

15:23 Uhr, Lünen Horstmarer See*

Vor dem Kiosk am Horstmarer See stehen mehrere Menschen. Zwei junge Frauen tragen je einen violettfarbenen Flipflop, die eine am rechten, die andere am linken Fuß. Sie haben ihren je anderen, flipfloplosen Fuß auf den beflipflopten gestellt. Gleichmütig schwanken sie zwischen freiem Stand und Kioskwand. Ein Mädchen springt barfüßig vor der Eiskarte auf und ab und ruft: „Papa heiß, Papa heiß!“ Papa zahlt in weißen Socken und weißen Turnschuhen mit einem 5 Euro-Schein das Cornetto-Eis für die Kleine und nimmt der Kioskmitarbeiterin eine Schale Pommes Schranke ab.

„Ich wollte mal fragen, wie das hier mit den Toiletten ist“, eine Frau drängt sich an den Wartenden vorbei und gibt dabei eine leere Flasche Cola ab, Pfandrückgabe 20 Cent. Die Kioskmitarbeiterin schnauft, sagt: „Da muss ich Ihnen aufschließen.“ Sie verlässt den Kiosk an der linken Seite, kommt nach vorne, geht mit der Frau an der Frontseite des Gebäudes entlang und bleibt vor einer unscheinbaren, holzvertäfelten Tür stehen, an der ein schmales Messingschild mit dem Piktogramm einer Frau angebracht ist. Die Mitarbeiterin schließt auf und sagt zu der Frau gewandt: „Aber nachher die Tür wieder zu ziehen.“ Dann kehrt sie in ihren Kiosk zurück. Vor der Toilettentür bildet sich augenblicklich eine eigene Warteschlange. Auf einem Schild neben der Toilettentür steht „Toilettenbenutzung 30 Cent“. Auf einem anderen im Inneren: „Die Toilette ist keine Umkleidekabine“. Rechts neben dem Waschbecken ein Hinweis über dem Papierspender: „Bitte kein Papier in die Kloschüssel, die Toilette verstopft sonst.“ Es gibt nur ein Klo, niemand zahlt 30 Cent.

Der Horstmarer See ist an eine Parkanlage im Seepark Lünen angegliedert, das ist von einem Schild abzulesen, auf dem auch die Park-Verordnung geschrieben steht. An den Innenseiten des Sees sind geriffelte Betonwände zu erkennen, im Wasser bilden Bodengewächse eine natürliche Nichtschwimmer-Grenze. Mehrmals ist Kreischen zu hören, „Iiih!“ und „Algen!“, dann wird geräuschvoll planschend zurückgeschwommen. Bis zur wenige Schwimmminuten entfernten Insel im See schaffen es nur Menschen in aufblasbaren Booten und ältere Frauen mit funktionskurzen Haaren. Stockenten ziehen eng an den Schwimmenden vorbei, das ultraviolette Spektrum des Gefieders ist eindeutig auszumachen. Kanadagänse gibt es auch, sie halten sich in Ufernähe auf.

Der See liegt still, die Anlage gefällt sich in ihrer Symmetrie. Fahrradausflügler fahren an den Liegenden vorbei, mehrere in gleicher Entfernung zueinander angebrachte Schilder mit Hunde-Piktogrammen am Weges- und Liegerand sind mit einem roten X versehen. Dazwischen der Hinweis: „Das Baden am See erfolgt auf eigene Gefahr“.

Die schattigen Plätze unter den wenigen, jungen Bäumen sind schon lange belegt. Zwischen zwei Büschen findet sich ein u-förmiges Muster aus weißen Rosenblütenblättern, davor hockt ein sehr junges Paar. „Schatzi, du sollst nicht ziehen, du sollst stramm halten“, sagt sie, während sie eine Decke zusammenrollt, die er auf den Boden drückt. „Schatzi, stramm!“ Schatzi guckt starr auf seine Hände. Ein kleiner, dicht befellter Hund läuft durch das Bild. Vom DRK-Kindergarten her nähern sich erste Großfamilien mit Grillutensilien, Essenstüten, Klappstühlen und Getränkeflaschen. Es riecht süßlich. / 17:01 Uhr



Ein Ausflug in die Kulturregion Hellweg:
>Seepark Lünen<
Klein, aber fein. ©mhu
Der Horstmarer See im Seepark Lünen: klein, aber fein und auf diesem Foto vollkommen überzeichnet. ©mhu
*Wenige Kilometer von Dortmund entfernt, erstreckt sich der 63 Hektar große Seepark in Lünen, der – aus Sicht des Ruhrgebiets – das grüne Tor zur Kulturregion Hellweg ist. Ein Ausflug lohnt sich immer, denn  das ehemalige Gelände der Zeche Preußen wurde 1996 für die Landesgartenschau umgestaltet und renaturiert – und ist beliebtes Naherholungsgebiet.
Der vordere Teil des Horstmarer Sees ist als Badesee ausgegeben. Die Preußenhalde gibt es noch. Man kann sie über einen ausgeschilderten Rundweg erreichen und besteigen. Im Horstmarer Loch, das heute auch als natürliches Amphitheater für Veranstaltungen genutzt wird, kann man sich in Höhenunterschieden messen. Kunst gibt es und eine direkte Anbindung an das Schloss Schwansbell sowie die Innenstadt von Lünen, was die Lüner rege nutzen. Auch gehört der Seepark zur Route Industriekultur und dem Emscher Landschaftspark.

Mehr von Melanie Huber