Wie Aachen zu mir kam – Verfolgung, eine Vorgeschichte (2)

Folge 2   

Tatort: Flora 6

Er, mein deutscher Mann, sitzt nun mir, seiner bosnischen Ehefrau, am Frühstückstisch gegenüber.  Ich höre wie er seinen schwarzen Tee, Marke Assam, den ich ihm wie schon seit Jahren extra stark zubereitet habe, schlürfe. Das leckere Müsli mit frischen Mango, Apfel und Bananen, klein geschnitten und mit echtem griecheschen Jogurt übergossen, den wir beide so lieben, hat er nicht berührt.

Er guckt mürrisch. Einen Löffel nimmt er verkrampft in die rechte Hand, mit der linken stützt er seinen schweren Kopf. Seine Gedanken an die seltsame Begegnung in der Kneipe an Vorabend mit den beiden Männern, die ihm seine bosnische Frau aus purem Leichtsinn, aus Versehen oder wegen ihrer völlig irrationalen Tagträumen angetan hat, scheinen ihn noch immer zu quälen.

Statt sich für sein brandneues Büchlein, gebunden in rotem Leinen und mit den drei eingravierten Buchstaben   und dem spannenden Text am Ende, den er auch noch nicht kennt, zu interessieren und sein neues politisches Engagement locker beim Bier zu bewundern, hat sie den wildfremden Menschen zugewunken und   die Geister gerufen, die sie nicht mehr so schnell los werden.

Seine Laune kippt; seine Hoffnung auf eine gerechtere, freiere und bessere Welt wurde gestern Abend wieder auf den Kopf gestellt. Nur weil sie, seine komische Frau, ihre beiden albernen Bosnier nicht nur in ihren Träumen überall vor sich sieht.

Ich kann mich von Mujo und Haso tatsächlich nirgendwo verstecken. Die beiden bosnischen Urgestalten verfolgen mich auf Schritt und Tritt. Ich sehe sie überall. Seit Jahren sitzen die beiden Bosnier in ihren schweren Trucks und machen Picknick zwischen zwei LKWs und grinsen jeden an, der vorbei geht. Vor ihnen zwei frisch geöffnete Dosenbier, drei Fleischkonserven, Brot und Schnaps. Sie steigen aus den überfüllten Balkanbussen aus, stecken sich eine Kippe in den Mundwinkel , schütteln ihre eingeschlafenen Beine in den Trainingshosen mit den drei Streifen, drehen die Köpfe hin und her und glotzen dann die Welt an, als ob sie sie zum ersten Mal sehen würden. Sie sprechen laut und lachen ständig als ob es noch wirklich etwa zum Lachen gäbe. An den Grenzübergängen nach Europa verwirren sie die EU-Beamten regelmäßig. Mit ihren lässigen Bemerkungen, schrägen Witzen und zweideutigen Augenzwinkern wissen die steifen EU-Herren nichts anzufangen. Sie nicken nervös und versteifen sich noch ein Tick mehr. Mujo, der Bosnier, sieht es und schämt sich, und glaubt, er müsse einen noch besseren Witz machen, einen, den der EU-Beamter vielleicht versteht…

Auch Haso, sein Freund, hat seine Kippe zwischen die Zähnen gesteckt und zündet sie gierig an. Nach der stundenlangen Fahrt durch die kurvigen Balkanberge und dem ewigen Entzug im Bus, will er den brennenden Tabak in seinem Mund in Medizin verwandeln. Ihre müden Augen umrandet von tiefen Falten und dunklen Schatten beginnen nach dem ersten tiefen Zug in alle Richtungen zu flattern. Unbekümmert und sehr selbstbewusst starren sie   die Welt an, ohne es zu merken, dass die Welt zurückblickt.

Gefangen in ihrer Rolle der Beobachterin…

Mein deutscher Mann ist ganz anders. Wie ein Philosoph denkt er ständig, was die anderen von ihm denken und bemüht sich, die Welt und mich von sich zu überzeugen. Nun zieht er sein rotes Parteibuch aus der linken Jackentasche. Er ist gerade in eine Geschichte eingestiegen, aus der die anderen wütend und enttäuscht rausmarschieren. Gerechtigkeit, Gleichheit, gleiche Chance und Bildung für alle! Seine alten Ideale schmücken die abgewälzte rote Fahne der Partei immer noch. Die Krise sieht er, mein deutscher Mann, als Chance! Als seine Chance. Er will jetzt der Partei unter die Arme greifen. Das mit Euphorie und Lust versuchen zu retten, was nicht mehr zu retten scheint, das liebe ich an ihm. Auch seine Treue den jungen Idealen, die er nun mit seiner frischen Reife unterstützen will, imponieren mir.

Der Phönix aus der Asche breitet seine Flügel aus, als die beiden glotzenden Männer mit tief in die Hosentaschen gesteckten Händen, hereinspazieren. Er erzählt, gerade aufgeregt vor seinen historischen Aufgaben, wie er mir, seiner bosnischen Ehefrau, eine  neue Perspektive öffnen möchte. Ich, die Schreiberin, gefangen in meiner neuen Rolle der Beobachterin,  fange auf einmal den Blick der beiden Männer und sehe, wie meine Hand wie von alleine sie grüßt…

Nächste Folge: Verzweiflung

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