Münstersche Meditation

Ort: Münster | Datum: Mo, 03.07.2017 | Wetter: durchwachsen, 22°C

Ich drehe die erste Runde mit dem Bulli um den Block. Vier Straßen um den schilfgesäumten Teich mit Rasenfläche und Bank-Mülleimer-Kombi. Ich zähle rundum. Bullis: drei. Der Trend zum Campervan scheint auch in Münster Mauritz sichtbar. Das wilde Leben on the road griffbereit direkt vor der Haustür. Zumindest von April bis Oktober, so geben die Saisonkennzeichen Auskunft. Ich zähle weiter. Freie Parklücken: null.

Die Erfindung des Automobils veränderte das menschliche Verhältnis zu Raum und Zeit. Autofahren in Münster denkt diese Relation nochmals neu. Jahrelang habe ich die Promenade und den Prinzipalmarkt täglich überquert – auf zwei Rädern. Der Blick durch die Windschutzscheibe eröffnet mir nun ein ganz anderes Bild von Münster. Ich muss meine innere Karte neu ausrichten, überschreiben. Einbahnstraßen, Sackgassen, Sperrungen für den Pkw-Verkehr.

In Münster fährt man Fahrrad.

Ich drehe die zweite Runde um den Block und stelle fest: Autofahren in Münster hat eine ganz andere Dynamik als zweirädrige Fortbewegung. Wo die Motoren stoppen, treten die Radler in die Pedale. Der Berufsverkehr schleicht morgens in die Stadt hinein und abends wieder hinaus. Dann braucht es zwei Ampelschaltungen, um eine Kreuzung zu überqueren. Jede Rotphase wird zu einer Meditation. Jeder ausscherende Bus eine Atemübung. Bremsen und Anfahren – Durch die Nase ein und langsam durch den Mund ausatmen.

Die Parkplatzsuche wird zur automobilen Entschleunigung.

Zur Uni, zum Einkaufen, zur Arbeit, zum Aasee, zur Kneipenkarawane, zum Kanal. Fahrradfahren ist in Münster kein Trend. Fahrradfahren ist keine Koketterie mit dem einfachen Leben. Fahrradfahren ist kein Flanieren auf zwei Rädern. Fahren Sie einmal auf der Promenade in gemächlichem Tempo jenseits der Ideallinie. Ähnliche Erfahrungen lassen sich auf den Rolltreppen der Londoner U-Bahn machen.

Ich drehe die dritte Runde um den Block. Wieder entpuppt sich eine vermeintliche Parklücke als Ausfahrt. Geduld. Da, plötzlich, eine bulliförmige Bucht. Ich parke das Gefährt parallel zum Radweg. Ein Blick in den Seitenspiegel: Bäume säumen die Straße, die auf den Teich zuläuft. Fahrradfahrer ziehen vorbei. Wir schauen ihnen nach. Ich lehne mich im Fahrersitz zurück und lasse die Arme sinken. Am Ende der Meditation steht die Entspannung.

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