Nachrichten aus der Mönchszelle

„Das Wesen des Menschen bei der Aufnahme sichtbar zu machen, ist die höchste Kunst der Fotografie.“ -Friedrich Dürrenmatt-

Sauerland Drive-by heißt eine seiner Serien, oder auch einfach Altena. Dirk Vogel beschäftigt sich in seiner Fotografie weniger mit der Frage nach Heimat, als der Welt, die ihn umgibt, oder „die Menschlichkeit des Augenblicks“, wie er selbst sagt, und damit Robert Frank zitiert, eine der Persönlichkeiten, die seine Arbeit inspiriert und beeinflußt haben.

Die Bilder von Robert Frank beschäftigen Vogel seit er 15 Jahre alt ist. Und seitdem ist er unterwegs, fotografiert die Welt, aus Südwestfalen heraus und auch darin wieder zurück. Immer mit einem Auge hinter der Linse. Dieses Motiv als Selfie ist sein Markenzeichen.

Mit 13 Jahren nahm Vogel durch Zufall die Kamera eines Freundes in die Hand und erkannte, dass die Welt durch die Linse plötzlich ganz anders aussah. Das war die Entdeckung des eigenen, autonomen Blicks. Dabei hat er niemals ein Hobby zum Beruf gemacht, denn es war immer eine Berufung für ihn, sich das eigene und in dieser Form, authentische Bild seiner Wirklichkeit zu machen. Die Einsamkeit ist und bleibt ein Grundthema für Dirk Vogel. Diese setzt sich auch in seinen Bildern fort, ob Altena, Sauerland oder Berlin, eine Stimmung des Verlassenseins steckt konstant in seiner Produktion und damit auch eine Suche nach der Grundfrage der Menschheit, unsere flüchtige Passage in dieser Welt.

 

Dirk Vogel ist hartnäckig in seiner Arbeit, er bearbeitet Themen über lange Zeit hinweg, Altena schon seit 2012 und er fotografiert analog. Die Dunkelkammer ist für ihn eine Mönchszelle, in der er sich die Fragen des Lebens und der Welt stellt. Die Antworten findet der Betrachter in seinen Bildern .

 

Vogels wichtigsten Arbeiten sind u.A. die Portraitsammlung jüdischen Lebens in Deutschland, der Bildband „Augenblicke – Portraits von Juden in Deutschland“ erschienen im Mosse Verlag, 2003 Berlin und der Bildband „Gesichter der Friedlichen Revolution“ 2011.

Der Alltag ist sein fotografisches Thema, er unterscheidet Foto von Bild. Das Letztere gibt Form und Inhalt wieder, öffnet eine eigene Welt. Und diese Welt ist Vogel konstant bemüht durch seine Linse zu fassen, sei es, in der Hauptstadt oder in der Provinz des Sauerlands, sein präziser Blick ist immer dabei. Denn schließlich, so sagt er, macht es keinen Unterschied, ob der Fotograf wie Michael Lange einen LA drive by in seinen Bildern festhält, oder einen Sauerland drive by, wichtig ist das Bild, das dabei entsteht, der Blick aus der Mönchszelle heraus.

Online Portofolio von Dirk Vogel.

  Dirk Vogel im südwestfälischen Sauerland

Alle Bilder in diesem Beitrag sind von Dirk Vogel.

Mehr von Barbara Peveling

Die Mitte Europas – Meeting Halfway

Ort: Auf der Hälfte zwischen Athen und Reykjavik | Datum: So, 08.10.2017 | Wetter: wechselhaft, 10°C, oder: ein isländischer Sommertag

Stanislaw Mucha macht sich in seinem 2004 erschienenen Dokumentarfilm Die Mitte nicht auf, die Ränder und Grenzen Europas zu betrachten, wie es viele europäische Road Movies auf der Suche nach einer postmodernen europäischen Identität machen. Er fragt nicht nach dem Anfang oder Ende. Sondern er sucht das Zentrum des Kontinents. Er und sein Team begeben sich in zwölf Ortschaften, die allesamt behaupten, die Mitte Europas zu markieren. Seine Recherche führt ihn dabei nicht nur nach Deutschland und Österreich, sondern auch nach Polen, Litauen, die Slowakei und die Ukraine.

Ausstellung "Meeting Halfway" im Rahmen des Münsterland Festivals part 9 im DA Kunsthaus Kloster Gravenhorst. Im Anschluss ist die Ausstellung mit den fotografischen Arbeiten in der Burg Vischering zu sehen.Zumindest diesen Herbst liegt sie vorübergehend im Münsterland, die Mitte Europas. Hier, auf halber Strecke zwischen Athen und Reykjavik, treffen Kunst aus dem hohen Norden und dem tiefen Süden Europas für zwei Monate intensiv aufeinander. Beim Münsterland Festival part 9. Auf der heutigen Kunsttour zur Eröffnung der Druckgrafik-Ausstellung im Dormitorium des Klosters Bentlage in Rheine und in der Galerie Münsterland Emsdetten sowie einer abschließenden Kuratorinnenführung zu Meeting Halfway im DA Kloster Gravenhorst ganz buchstäblich. KünstlerInnen und BesucherInnen sind im Bus gemeinsam unterwegs, machen an den drei Orten im Münsterland Station, kommen über Kunst ins Gespräch.

Kunst, Musik und Dialoge im Spannungsfeld von Gegenwart und Vergangenheit

Vielfalt und Facettenreichtum. Unterschiede und Gemeinsamkeiten. In Paraskevi Papadimitrious Werk mischen sich Medusenhäupter mit Playmobilmännchen und Aliens. Widersprüche in ein und demselben Körper der Gegenwart. Von der Drei- hin zur Zweidimensionalität und zurück. So kann man in Valgerður Hauksdóttirs Euphonie nicht nur verschiedene Ebenen und ihren Dialog entdecken, sondern auch durch sie hindurchschreiten. Ein Kunstbuch Anna Snædís Sigmarsdóttirs wird zur isländischen message in a bottle. Thanos Tsiousis erzählt in seinen Holzschnitten antike Muster neu. Ein Über- und Ineinander von Vergangenheit und Gegenwart.

Der isländische Fotograf Einar Falur Ingólfsson bereist auf den Spuren von W.G. Collingwood und Johannes Larsen Saga Sites. Konkrete Orte, die Eingang in die isländische Sagenwelt gefunden haben. Manche wirken bis auf den letzten Stein unverändert, in der Wildnis der Zeit enthoben. Manche im Tourismuszeitalter angekommen. Deutliche menschliche Spuren in der Landschaft. Verstrichene Zeit. Manche von der Natur wieder eingeholt. Ins Auge stechen die Fotografien von Zäunen, mitten in der Weite. Jeder Bauer baut sie aus dem, was er gerade (übrig) hat, hat einen eigenen Stil. Sie begrenzen nichts. Dienen allein den Tieren als Schutz, als Zufluchtsort vor der Witterung. Shelters.

Der Umgang mit den alten als eine Suche nach den neuen Mythen Europas?

Panos Kokkinias nimmt ebenfalls Landschaft in den Blick. Er inszeniert seine Fotos, wartet auf den perfekten Augenblick. Ein stilles Meer. Eine leere Ebene. Und setzt dann den Menschen hinein. In Konflikt? Verloren? Unheimlich? Der Betrachtende steht in Distanz zum Geschehen. Distanz, die Raum für Ironie und Befremden schafft. Yorgos Zois‘ Videoinstallationen beschäftigen sich mit der Wirtschaftskrise. Leere Werbeschilder wirken wie ihre Zeichen. Out of Frame. Casus Belli. Ein sich schließender Rollladen bringt eine ganze Gesellschaft zum Einsturz. Der Kollaps beginnt still, am Ende der Schlange, aber pflanzt sich von dort aus fort. Vor der Kulisse eines abgesperrten Amphitheaters.

Wo Salz von Nordatlantik und Mittelmeer aufeinander treffen.Die unterschiedlichen Arbeiten werden zu Reiseführern ihrer Länder, die Klischees bestätigen und brechen. Es geht um das kulturelle Erbe und seine Bedeutung in der Gegenwart. Ganz materiell und figürlich bis hin zur abstrakten Einbindung in die druckgrafischen Werke der isländischen und griechischen KünstlerInnen. Zwischen Fiktion und Realität. Ein Zusammenbringen von Techniken, Mustern, Themen, Zeiten. Von Holzschnitten über Collagen und Fotografien bis hin zur Videoinstallation. Trotz aller Kontraste finden sich auch Parallelen in den künstlerischen Arbeiten: Natur, Sagenwelten, wirtschaftliche und gesellschaftliche Krisen und das Meer.

Treffen auf halber Strecke. Island – Griechenland. Nordatlantik – Mittelmeer. Ein Treffen in der Mitte. Einige Werke der Grafikprojekt-Ausstellung entstanden während der zweiwöchigen gemeinsamen Arbeit in der Druckwerkstatt auf dem Kloster Bentlage im Mai 2017 in Rheine. Begegnungen zwischen KünstlerInnen, Landschaften und Gedankenwelten. Porträtdrucke, über die sich Blumen ranken. Ein gestochenes Tagebuch mit Überraschungsmoment: das Wasser, das über Bündel aus Schwarzdornreisig rinnt. Geht man am Gradierwerk in Rheine entlang, schmecken die Lippen danach salzig. Wie nach einem Spaziergang am Meer.

Mehr von Claudia Ehlert

12:54 Uhr, Essen Museum Folkwang

Stille, ein Gefühl des Aufgeregtseins, des Entrücktseins, des Dort-, nicht des Hierseins. Lesesaal, Ruhesaal. Möbel im Bauhausstil, klare Farben, zurückgenommen; niemand da. Das Surren einer Anlage, scheinbarer Wind, Zäsur: das Knarzen des Stuhles beim Hinsetzen, Zurücklehnen. Die Suche nach exakten Beschreibungen, nach Worten, die das begreifen, was ist. Kein Geruch, aber der Wunsch nach Strenge, die Möbel: herausgerissen aus einem Schlaf. Keine Begriffe für Klarheit, keine Worte für Glasfenster und Kuben. Ein, ein, aus, atmen. Die Finger in das Polster drücken, Knautschzonen ausmachen, versuchen, Struktur zu erfassen. Warten, bis jemand kommt. Darf jemand kommen? Ist es erforderlich, dass jemand kommt? Muss es zwingend ein ‚zu zweit‘ geben im Raum? Aber dann auch: Muss es Raum geben? Dazu, entfernt aus dem Off: „Wie weit muss in die Vergangenheit zurückgegangen werden, um die jüngste Vergangenheit vergessen zu können?“* Der Blick in den Hof, hier: gewölbt, Skulptur. Einzelne Wirbel der Skulptur mit den Augen abtasten, fühlen, wie es sich fühlen könnte. Der Wunsch nach Nahtlosigkeit, und dann doch: nach einem ‚zu zweit‘, und keinem Raum. Der bewusste Griff nach Übereinstimmung, dem Weltverständnis in einem Satz: „romantisch überzeichnete Ausdrucksmittel“ und „magische[r] Realismus.“**

Und dann, ganz abrupt, geht von links die Tür auf. Ein Mann betritt den Raum. Er trägt einen schwarzen Anzug und einen verkabelten Stöpsel im Ohr. Er schaut verwundert, nickt dann unmerklich, lässt die Tür ihr Übriges tun, geht durch den Raum, seine schwarzen Schuhe quietschen, er schaut auf den Boden, er bleibt unvermittelt stehen, scharrt mit dem linken Schuh, nachdrücklich, es geht nicht weg, er wartet, entscheidet, belässt es, geht weiter, öffnet die Tür – und zwar eine andere. Sie fällt krachend ins Schloss. Irgendwo wird gelacht, und jemand sagt: „Ach komm. Das ist doch Gelsenkirchener Barock.“*** 13:11 Uhr


Quellen der Zitate in der Reihenfolge ihrer Erwähnung:

*Peggy Buth: Leute wie wir. Altenessen, Karnap, Rheinhausen, Marxloh, Bredeney, 2017. 3-Kanal-HD-Projektion, Farbe, S/W, 2-Kanal-Stereo Sound.
**Ausstellungstext im Raum Neue Sachlichkeit, Sammlung Museum Folkwang. Vollständiger Satz: „Sie (die Vertreter der Neuen Sachlichkeit, Anm. d. V.) nutzen romantisch überzeichnete Ausdrucksmittel und entwickeln einen magischen Realismus.“
***Annett Gröschner, Autorin.



>Museum Folkwang<

Das Museum Folkwang in Essen. ©mhu
Das Museum Folkwang in Essen. ©mhu
Die Architektur des Museum Folkwang in Essen ist eine einnehmende. Die Klarheit des Gebäudes lässt Raum für die Kunstwerke, die Inhalte, die KünstlerInnen. Neben der ständigen Sammlung, die Malerei und Skulpturen des 19. und 20. Jahrhunderts beinhaltet, sind die Einzel- und Gruppenaustellungen immer auf der Höhe der Zeit. Mit dem 3. September enden die Ausstellungen von Arwed Messmer (RAF – No Evidence/Kein Beweis), Peggy Buth (Vom Nutzen der Angst) und San Francisco 1967 – Plakate im Summer of Love. Es folgt: Alexander Kluge (Pluriversum). Die Vernissage ist am 14. September, der Eintritt ist frei.

 

Mehr von Melanie Huber