Wie Aachen zu mir kam – Versagen, eine Vorgeschichte (4)

Folge 4 

Ob seine Frau für immer nach Peru geflogen sei oder ob sie doch noch zurück nach Deutschland komme, frage ich. Manni beißt sich auf die Lippen, zieht stumm seine Augenbrauen hoch. Das wisse er noch nicht, sagt er dann. Sie melde sich nicht mehr.

„Macht Dir keine Sorge.“ sagt Hannes.

„Sie kommt zurück. Alle Frauen kommen irgendwann zurück.“

Ich will lieber nichts dazu sagen.

„Von der Heimatliebe lebt man doch nicht ewig!“ sagt Hanni und versucht dann mit mir zu kokettieren:

„Tako je, ili?“ sagt er in meiner Sprache, was so viel heißen soll wie „Ist es so, oder nicht?“

Ich runzle die Stirn. Woher er meine Sprache kenne, frage ich.

Als junger Mann habe er auf dem wilden Balkan eine Zeit lang gelebt und dort auch studiert: Bulgarisch, Griechisch und Romanisch!

„Ach!“ staune ich. „So viele unterschiedliche Sprachen?“

„Natürlich ohne Abschluss!“ faltet er seinen Mund. Zählen kann er aber heute noch in allen diesen Sprachen. Den Balkan kenne er besser als seine eigene Tasche, sagt er. Irgendwann habe er die Chaoten satt gehabt.

„Verstehe… aber ich verstehe immer noch nicht, warum drei so unterschiedliche Sprachen?“ Griechisch, Bulgarisch und Rumänisch seien, auch wenn die Länder aneinandergrenzen, gar nicht verwandt… alle drei erfolgreich abzuschließen, würde ich sicherlich auch nicht schaffen können, höre ich mich das Verständnis für Hannes Balkan-Misserfolg zu zeigen. Warum habe er es sich so schwer gemacht hat, will ich wissen.

Aud der Spuren der alten Geschichte

„Ach, warum??“ Das sei der deutschen Geschichte zu verdanken, murmelt er. Er wollte weg aus Deutschland. Einfach weg. Irgendwo leben, wo man ihn nicht sofort in Verbindung mit dem Faschismus, mit der deutschen Schuld und all den Verbrechen des Zweiten Weltkriegs bringe. So sei er Ende der 80er unter anderen auch nach Sofia gereist. Vorher sei er viel im Westen unterwegs gewesen… Und egal wohin er ging, ob nach Holland, Frankreich oder England, habe man ihn überall sofort in Verbindung mit Hitler gebracht und mit seinem Verbrechen konfrontiert oder beschimpft. Er habe „die Nase voll davon“ gehabt; keine Lust gehabt, sich ständig schuldig zu fühlen, sich immer wieder entschuldigen und rechtfertigen zu müssen, dafür, was er selber gar nicht getan habe, wofür er nichts könne. Im Bulgarien habe man ihn kurz vor der Wende mit seinen „Vaterland-Sünden“ in Ruhe gelassen. Als Deutschen habe man ihn dort hinter dem eisernen Vorhang, „im kaputten Sozialismus“, eher mit dem deutschen Wunder, Wohlstand, Mercedes und der beliebten deutschen Mark assoziiert. So entdeckte er Stück für Stück den wilden Balkan: seine Wunderländer Jugoslawien, Bulgarien, Griechenland, Rumänien. Überall standen ihm die Türen offen.   Hanni hatte Freundlichkeit und das Interesse der „Balkanjeros“ an ihm und seinem Deutschland in vollen Zügen genossen. Die Bulgaren, Rumänen, Jugos, Griechen hätten sein Land bewundert und die deutsche Tugenden: Fleiß, Disziplin, Ordnung, von dem er in die Welt geflüchtet sei, gelobt. Alle wollten nach Deutschland. Hanni habe sich wie ein Prinz gefühlt und entschied sich mit 28 zu studieren… Sprachen. Auch um die „Balkanjeros“, seine neuen Freunde, die ihn einen neuen Blick auf sein Deutschland, geschenkt hatten, besser zu verstehen und zwar im Original, in ihren Sprachen. Dass die drei Sprachen aber so unterschiedlich seien, dazu jede schwerer als die andere, das habe er natürlich nicht sofort gewusst. Nach fünf Semestern habe er dann sein Traum an den Nagel gehängt…

Mein 1.Stammtisch

Hannes lebt heute alleine, ohne Frau und festen Beruf… Als Kölner Boheme scheint er sich äußerlich fröhlich und unbekümmert   durch die Tage zu schunkeln. Seine Aufgabe heute Nacht, seinen alten Kumpel Manni zu trösten, aber nimmt er sehr ernst.

Alte Freunde aufzurichten, die sich „Luxusprobleme wie Frau und Beruf leisten können“, das mache ihm „viel Spaß“, sagt er und grinst.

Also doch: Mujo und Haso, die sich in  Hanni und Manni verkleidet haben.

Manni, der Unglücksrabe, der Pendler zwischen Köln und Aachen, dessen Gedanken um seine geflüchtete peruanischen Ehefrau kreisen und sein zynischer Tröster, der Jugendfreund Hannes, bestellen uns allen noch eine Runde Bier.

„Etwas stärkeres, balkanisches…tschechisches bitte!“

Der Tscheche aus der Flasche macht aus uns Experten für alle wichtigen politischen Fragen der Zeit. Hanni stürzt sich auf Angela, `den Mafiaboss mit mädchenhaftem Lächeln, die alles schaffen will und dabei ihre Feinde meisterhaft verschwinden lässt`. Mein deutscher Mann lobt Martin, der mit ihm nicht nur die Partei retten , sondern auch die Gerechtigkeit in Deutschland wiederherstellen will.

„Vergiss es!“ sagt der kleine, dicke Hannes abwertend.

„ Gerechtigkeit ist mi DER Partei nicht mehr zu holen.“

Hannes ganze Familie habe traditionell seit Jahrzehnten Rot gewählt, jetzt seien sie aus Protest und Wut alle ausgestiegen.

Wohin seien sie übergelaufen, will ich fragen, beiße mir aber auf die Zunge. Wählen ist eine zu private Sache, erinnere ich mich. So wie Sex und Religion…

Die letzte  Folge: Verschwörung – analog – bei der Lesung in Aachen, das Bergfest, am 31. 08. 2017  

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Wie Aachen zu mir kam – Verfolgung, eine Vorgeschichte (2)

Folge 2   

Tatort: Flora 6

Er, mein deutscher Mann, sitzt nun mir, seiner bosnischen Ehefrau, am Frühstückstisch gegenüber.  Ich höre wie er seinen schwarzen Tee, Marke Assam, den ich ihm wie schon seit Jahren extra stark zubereitet habe, schlürfe. Das leckere Müsli mit frischen Mango, Apfel und Bananen, klein geschnitten und mit echtem griecheschen Jogurt übergossen, den wir beide so lieben, hat er nicht berührt.

Er guckt mürrisch. Einen Löffel nimmt er verkrampft in die rechte Hand, mit der linken stützt er seinen schweren Kopf. Seine Gedanken an die seltsame Begegnung in der Kneipe an Vorabend mit den beiden Männern, die ihm seine bosnische Frau aus purem Leichtsinn, aus Versehen oder wegen ihrer völlig irrationalen Tagträumen angetan hat, scheinen ihn noch immer zu quälen.

Statt sich für sein brandneues Büchlein, gebunden in rotem Leinen und mit den drei eingravierten Buchstaben   und dem spannenden Text am Ende, den er auch noch nicht kennt, zu interessieren und sein neues politisches Engagement locker beim Bier zu bewundern, hat sie den wildfremden Menschen zugewunken und   die Geister gerufen, die sie nicht mehr so schnell los werden.

Seine Laune kippt; seine Hoffnung auf eine gerechtere, freiere und bessere Welt wurde gestern Abend wieder auf den Kopf gestellt. Nur weil sie, seine komische Frau, ihre beiden albernen Bosnier nicht nur in ihren Träumen überall vor sich sieht.

Ich kann mich von Mujo und Haso tatsächlich nirgendwo verstecken. Die beiden bosnischen Urgestalten verfolgen mich auf Schritt und Tritt. Ich sehe sie überall. Seit Jahren sitzen die beiden Bosnier in ihren schweren Trucks und machen Picknick zwischen zwei LKWs und grinsen jeden an, der vorbei geht. Vor ihnen zwei frisch geöffnete Dosenbier, drei Fleischkonserven, Brot und Schnaps. Sie steigen aus den überfüllten Balkanbussen aus, stecken sich eine Kippe in den Mundwinkel , schütteln ihre eingeschlafenen Beine in den Trainingshosen mit den drei Streifen, drehen die Köpfe hin und her und glotzen dann die Welt an, als ob sie sie zum ersten Mal sehen würden. Sie sprechen laut und lachen ständig als ob es noch wirklich etwa zum Lachen gäbe. An den Grenzübergängen nach Europa verwirren sie die EU-Beamten regelmäßig. Mit ihren lässigen Bemerkungen, schrägen Witzen und zweideutigen Augenzwinkern wissen die steifen EU-Herren nichts anzufangen. Sie nicken nervös und versteifen sich noch ein Tick mehr. Mujo, der Bosnier, sieht es und schämt sich, und glaubt, er müsse einen noch besseren Witz machen, einen, den der EU-Beamter vielleicht versteht…

Auch Haso, sein Freund, hat seine Kippe zwischen die Zähnen gesteckt und zündet sie gierig an. Nach der stundenlangen Fahrt durch die kurvigen Balkanberge und dem ewigen Entzug im Bus, will er den brennenden Tabak in seinem Mund in Medizin verwandeln. Ihre müden Augen umrandet von tiefen Falten und dunklen Schatten beginnen nach dem ersten tiefen Zug in alle Richtungen zu flattern. Unbekümmert und sehr selbstbewusst starren sie   die Welt an, ohne es zu merken, dass die Welt zurückblickt.

Gefangen in ihrer Rolle der Beobachterin…

Mein deutscher Mann ist ganz anders. Wie ein Philosoph denkt er ständig, was die anderen von ihm denken und bemüht sich, die Welt und mich von sich zu überzeugen. Nun zieht er sein rotes Parteibuch aus der linken Jackentasche. Er ist gerade in eine Geschichte eingestiegen, aus der die anderen wütend und enttäuscht rausmarschieren. Gerechtigkeit, Gleichheit, gleiche Chance und Bildung für alle! Seine alten Ideale schmücken die abgewälzte rote Fahne der Partei immer noch. Die Krise sieht er, mein deutscher Mann, als Chance! Als seine Chance. Er will jetzt der Partei unter die Arme greifen. Das mit Euphorie und Lust versuchen zu retten, was nicht mehr zu retten scheint, das liebe ich an ihm. Auch seine Treue den jungen Idealen, die er nun mit seiner frischen Reife unterstützen will, imponieren mir.

Der Phönix aus der Asche breitet seine Flügel aus, als die beiden glotzenden Männer mit tief in die Hosentaschen gesteckten Händen, hereinspazieren. Er erzählt, gerade aufgeregt vor seinen historischen Aufgaben, wie er mir, seiner bosnischen Ehefrau, eine  neue Perspektive öffnen möchte. Ich, die Schreiberin, gefangen in meiner neuen Rolle der Beobachterin,  fange auf einmal den Blick der beiden Männer und sehe, wie meine Hand wie von alleine sie grüßt…

Nächste Folge: Verzweiflung

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