haarmonie

der mittwoch hängt verklärt im buschigen blattwerk der bäume. schon nach den allerersten sommerlichen tagen rauscht es ein bisschen müde vor sich hin. sein grün hat den saftigsten höhepunkt des jahres bereits jetzt, mitte mai, hinter sich gelassen.  die blätter hängen ob dieser feststellung ein wenig lethargisch in der luft und warten auf regen, der auch heute nicht kommen wird.

das diesige grundgefühl des morgens wird nur durch paar autos zerschnitten, die auf der hauptstraße (sie ist eine und heißt dann auch so) in einer scharfen kurve aus dem ort heraus oder in ihn hinein biegen. am äußersten punkt der kurve liegt hinter üblichem roten klinker der friseursalon haarmonie. es ist nicht nur das letzte und erste haus der straße, sondern des gesamten ortes. wäre der ort „ringenberg“ ein buch, dann wäre das rosa schild des haarstudios sein erster und sein letzter satz. vielleicht wäre es sogar ein ausrufezeichen.

ich bin ein bisschen aufgeregt. wahrscheinlich hatte für mich noch kein friseurbesuch jemals einen solchen eventcharakter. die ursachen dafür sind vielfältig: erstens ist der letzte termin aus offensichtlichem grund lange her. ich kann mich nur noch schemenhaft daran erinnern, wie man sich beim friseur verhält. zweitens – und daraus resultierend –  hat das geschehen auf meinem kopf zu diesem zeitpunkt ausmaße angenommen, die sich sehr treffend als „ausmaße“ und spätestens seit april nicht mehr als frisur beschreiben lassen. dazu kommt, dass es sich nicht um meinen szenigen friseur in der stadt handelt, sondern um einen dorffriseursalon, in dem ich noch nie war. es ist – ebenfalls aus offensichtlichem grund – das erste mal, dass ich neben kassierer*innen, der engeren nachbarschaft oder flüchtigen begegnungen auf abstand, mit menschen aus dem ort in kontakt trete. in der ereignisleere der letzten wochen; der unplanbaren wirklichkeit, erzeugt die vorstellung direkten körperkontakts und die einer intimen gesprächssituation im frisierspiegel spannungsgefühle in meiner magengegend. ich habe weder eine ahnung, was mich erwartet, noch, was meine haare erwartet. es ist – zugegeben etwas zugespitzt, aber auch ein bisschen wahr – der britney spears moment meines aufenthalts.

 

während der längsten haarwäsche meines lebens  werden diese gedanken angenehm egal. das formatradio, das dudelnd atomsphäre schafft, der chemisch-süßliche geruch des shampoos, die eierschalfarbenen haartrockner überhalb der frisiertische von einer firma namens „equator“ – alles vermischt sich in den kreisenden, shampoonierenden bewegungen zu einem einzigen wohltuenden erlebnis. so wie das interieur ein wenig aus der zeit gefallen ist, vergesse auch ich, rücklings im waschbecken hängend, welcher tag ist, oder wo ich mich befinde. ich vergesse sogar fast ein bisschen was ich hier überhaupt will. ich will wenn überhaupt, dann einfach weiter massiert werden. irgendwann sagt die friseurin „so“ und ich öffne die augen, mein blick gen equator.

 

auch das anschließende gespräch gestaltet sich angenehm. durch den zustand der welt im allgemeinen und den der friseursalons im speziellen ist für ausreichend inhalt gesorgt. außerdem lobt die friseurin mehrmals meine haare, das wiederum stimmt mich als durch und durch korrumpierbares wesen froh und ihr zugewandt. zwischen uns ergibt sich recht schnell eine stimmung, die man als nett und aufgeschlossen beschreiben könnte. was sie mit meinen haaren macht, lasse ich in britney-modus geschehen, hier noch ein bisschen? ja klar. ich sage zu keiner spülung nein und auch zu keiner pflege und am ende auch zu keinem öl. als sie mich fragt wie ich meine haare sonst trage, muss ich lange nachdenken. im spiegel sehe ich zwei rinder gras kauen. neben mir werden einer frau die haare rot gefärbt, sie leuchten wie klatschmohn.

als ich den friseursalon haarmonie wieder verlasse, fühle ich mich rundum gut und freue mich schon jetzt darauf, die nächste wiedereröffnete lokalität im ort zu besuchen. ob der schnitt etwas geworden ist, kann ich auch einige tage später nicht abschließend feststellen, weil meine haare auch dann immernoch mehr aus produkt als aus keratin bestehen und sich ihre form erst wieder in der sporadischen pflege meines silikonfreien bioshampoos ergeben muss. ich glaube, es ist okay. und selbst wenn nicht, es hätte sich gelohnt. draußen rauschen die bäume grün und unaufgeregt, ein auto biegt um die kurve. sonst passiert nichts.

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