Nach dem Regen/ Unterwegs

Seit der angeblich launische Monat April vorbei ist, gibt es endlich wieder Regen.
Eingesperrt im Paradiesgarten nordöstlich von Corona wurden jeden Tag zweimal die Bäume und Büsche gegossen, damit die Dürre nicht schon im Frühling überhand nahm. Der trockenste Monat seit Menschengedenken. Der wärmste April aller Zeiten. Wenn der Weltuntergang mit ausbleibendem Regen zu tun hat, mit Zombies, Elefanten und Gespenstern und nicht nur mit Bürokratie, dann werde ich mich wohl damit arrangieren lernen.

Ich erinnerte mich in diesen Wochen immer wieder daran, genügend Wasser zu trinken und weniger mein Gesicht zu berühren. Ich dröselte meine unnötig warmen Pullover aus, um daraus Rankhilfen zu bauen und bei Bedarf zwei, drei Erzählfäden zur Hand zu haben. Ich bekam Sonnenbrand und Panik, meistens abwechselnd. Die Vögel, diese lärmenden Frühaufsteher unter den Todesboten, wurden auch nicht vergessen. Wer Bäume gießt, der füllt auch Schalen mit Wasser vor seinem Fenster, damit der Schlaf im Sonnenaufgang nicht gestört wird und auch der Elefant was zu trinken hat.

Die Grenzen meiner gesetzlichen Zuordnung verwandelten sich ganz schnell in die Grenzen meiner Wahrnehmung. An den Rändern: Grün und grau, Polizeiautos und Frauen mit neongelben Amtswesten. Wenn ich meinen Reisepass und Mietvertrag vergessen hatte, dann warf ich das Fahrrad in die Weißdornhecke und versuchte meinen Weg zum nächsten Supermarkt über die verwachsenen Schleichwege zwischen den Büschen zu finden. Meine schlammverkrusteten Schuhe das Überbleibsel meiner neu erwachten Paranoia.
Ostersonntag rannte ich sogar vor einem Polizeibus davon und versteckte mich im Schilf neben dem gelangweilt vor sich hin treibenden Grenzfluss. In der Nacht träumte ich von unbekannten Verwandten, die durch Flüsse schwimmend vor der Roten Armee zu fliehen versuchen. Ich erzähle das später dem russischen Sascha aus München, der lachte nur und sagte: Wie süß. Ihr Deutschen immer .
Die Schichten meiner sicheren An- und Zugehörigkeit lösten sich immer weiter ab. Bin ich hier richtig? Habe ich Papiere? Sehe ich noch aus wie auf meinem Ausweisfoto? Kann ich überhaupt in einer Schlange stehen?
Keine meiner Spuren, Heimaten, meiner Arbeitsverbindungen und Beziehungen kann auf dem Papier Bestand haben. Alles hinterlässt, wenn überhaupt, eine Spur auf mir und vielleicht jemand anderem. Meinen Gedanken, meiner Erinnerung.

„Ich wandte meine Schritte und mit einem Herzen voll unendlicher Liebe für die, welche sie verschmähten, wanderte ich in ferne Gegend
“, so träumte Franz Schubert vor 198 Jahren, als er seinen Garten verließ, sich eine Mund-und-Nase-Bedeckung aus verschmiertem Notenpapier bastelte und vorschriftsgemäß erst 50 Meter hinter dem Bahnhofsbistro auf eine Bank setzte, um seinen Filterkaffee zu trinken. Denn: Das vorübergehende Verweilen auf öffentlichen Bänken ist ab dem 20. April wieder gestattet.
Na dann.

Bahnhof lebensfroh Ruhrgebiet

Vielleicht waren Bahnhöfe schon immer die sichtbaren Zeichen der längst vergangenen Postapokalypse und wir haben sie nur nicht erkannt. Weil da zu viele Leute herum liefen und mit ihren Brötchen krümelten. Nur weil da Stromkabel an einem Pfahl hängen, heißt das noch lange nicht, dass die auch irgendwo hinführen. Das können auch nur Horizontlinien sein, die vorübergehend und um die Perspektive besser anzudeuten, beim einer ersten Skizze noch nicht ausradiert wurden.
„Derzeit sind verstärkt Trickbetrüger unterwegs. Passen Sie auf ihre Wertsachen auf“, sagt die Lautsprecherdurchsage in Bochum und ich bin wachsam inmitten schaffnerlosen Einsamkeit.

In der Privatbahn nach Soest wird dafür mit einer Besessenheit kontrolliert, als gelte es, alle potentiellen Schwarzfahrer bundesweit wieder aufzurechnen. Ich gerate naturgemäß in Schwitzen und versuche nicht nach oben zu schauen, wo sich der Elefant unauffällig im Gepäcknetz versteckt hat. Nach jedem zweiten Halt steht wieder winkend ein Angestellter vor mir und will meine Fahrtkarte begutachten. Schon wieder? Ich übe meinen bösen Blick und scheitere. Normalerweise klappt der. Nur mit Augen über Maske scheint er nicht zu funktionieren. Er lässt sich nicht abwimmeln. Ich denke, er verwechselt mich und das Notizbuch mit der Spiegel-Reporterin, die über Helden der Gegenwart recherchiert und rührende Portraits von Bäckereifachverkäuferinnen, Supermarktangestellten,und Kontrolleuren macht und deshalb jetzt incognito zwischen Hamm und Soest, Balksen und Berwicke, Welver und Dinker, Anröchte und Erwitte pendelt.
Als ob.

Als ob ich hier irgendwas protokollierte.
Als ob Helden jemals Kontrolleure wären.
Als ob Helden die wären, die im Angesicht von irgendeiner gefährdeten Gegenwart einfach weiter zur Arbeit gingen wie bisher. Schichtbeginn, Zack, Held steht bereit.
Als ob Helden nicht eben genau davor flüchten, aus der Wiederholung und der Wiederholung und der Sicherheit der Wiederholung, um kopflos aus genau dieser heraus zu rennen, weil sie was gehört haben, den Ruf heraus aus dem, was der Alltag ist, plus Selbstüberschätzung, plus das Herz voll unendlicher Liebe für die, die es verschmähten, plus feste Schuhe und die bescheuerte Idiotie dahin zu wollen, wo man vorher nicht war. Nur um sich zu verirren und dem Bösen hinter die Maske blicken zu können. Um die echte versteckte Welt und nicht nur die eigene Reflexion darin zu sehen. Naja, und vielleicht auch, um am Wegesrand ein paar Königstöchter zu vergewaltigen, die Väter zu entehren und sich damit ein paar neue Immobilienanlagen in unsicheren Zeiten zu sichern.

Spiegel Welver
Research indicates that male writers are more likely to make heroines superhuman, whereas female writers tend to make heroines ordinary humans.

Na dann.

Als ich mein Haus erreiche, wuchern die Kräuter aus den Ritzen. Der Elefant bezieht das Erdgeschoss und überlässt mir das obere Zimmer. Die Knoblauchranken zwischen den Terrassenplatten sind so hochgeschossen, dass sie bis zu meinem Fenster heranreichen. Sollte der Ruf zur Heldinnenreise noch heute Nacht erfolgen, kann ich ganz leise an ihnen herunter klettern und sehen, wohin der Weg mich führt.

Regenbogen Soester Anzeiger Alles wird gut
(One day a power rainbow of queer energy will blow the roofs off the houses and free the nuclear family and everything will be fine)

Alles wird gut.

Na dann.

Mehr von Annika Stadler

15:23 Uhr, Lünen Horstmarer See*

Vor dem Kiosk am Horstmarer See stehen mehrere Menschen. Zwei junge Frauen tragen je einen violettfarbenen Flipflop, die eine am rechten, die andere am linken Fuß. Sie haben ihren je anderen, flipfloplosen Fuß auf den beflipflopten gestellt. Gleichmütig schwanken sie zwischen freiem Stand und Kioskwand. Ein Mädchen springt barfüßig vor der Eiskarte auf und ab und ruft: „Papa heiß, Papa heiß!“ Papa zahlt in weißen Socken und weißen Turnschuhen mit einem 5 Euro-Schein das Cornetto-Eis für die Kleine und nimmt der Kioskmitarbeiterin eine Schale Pommes Schranke ab.

„Ich wollte mal fragen, wie das hier mit den Toiletten ist“, eine Frau drängt sich an den Wartenden vorbei und gibt dabei eine leere Flasche Cola ab, Pfandrückgabe 20 Cent. Die Kioskmitarbeiterin schnauft, sagt: „Da muss ich Ihnen aufschließen.“ Sie verlässt den Kiosk an der linken Seite, kommt nach vorne, geht mit der Frau an der Frontseite des Gebäudes entlang und bleibt vor einer unscheinbaren, holzvertäfelten Tür stehen, an der ein schmales Messingschild mit dem Piktogramm einer Frau angebracht ist. Die Mitarbeiterin schließt auf und sagt zu der Frau gewandt: „Aber nachher die Tür wieder zu ziehen.“ Dann kehrt sie in ihren Kiosk zurück. Vor der Toilettentür bildet sich augenblicklich eine eigene Warteschlange. Auf einem Schild neben der Toilettentür steht „Toilettenbenutzung 30 Cent“. Auf einem anderen im Inneren: „Die Toilette ist keine Umkleidekabine“. Rechts neben dem Waschbecken ein Hinweis über dem Papierspender: „Bitte kein Papier in die Kloschüssel, die Toilette verstopft sonst.“ Es gibt nur ein Klo, niemand zahlt 30 Cent.

Der Horstmarer See ist an eine Parkanlage im Seepark Lünen angegliedert, das ist von einem Schild abzulesen, auf dem auch die Park-Verordnung geschrieben steht. An den Innenseiten des Sees sind geriffelte Betonwände zu erkennen, im Wasser bilden Bodengewächse eine natürliche Nichtschwimmer-Grenze. Mehrmals ist Kreischen zu hören, „Iiih!“ und „Algen!“, dann wird geräuschvoll planschend zurückgeschwommen. Bis zur wenige Schwimmminuten entfernten Insel im See schaffen es nur Menschen in aufblasbaren Booten und ältere Frauen mit funktionskurzen Haaren. Stockenten ziehen eng an den Schwimmenden vorbei, das ultraviolette Spektrum des Gefieders ist eindeutig auszumachen. Kanadagänse gibt es auch, sie halten sich in Ufernähe auf.

Der See liegt still, die Anlage gefällt sich in ihrer Symmetrie. Fahrradausflügler fahren an den Liegenden vorbei, mehrere in gleicher Entfernung zueinander angebrachte Schilder mit Hunde-Piktogrammen am Weges- und Liegerand sind mit einem roten X versehen. Dazwischen der Hinweis: „Das Baden am See erfolgt auf eigene Gefahr“.

Die schattigen Plätze unter den wenigen, jungen Bäumen sind schon lange belegt. Zwischen zwei Büschen findet sich ein u-förmiges Muster aus weißen Rosenblütenblättern, davor hockt ein sehr junges Paar. „Schatzi, du sollst nicht ziehen, du sollst stramm halten“, sagt sie, während sie eine Decke zusammenrollt, die er auf den Boden drückt. „Schatzi, stramm!“ Schatzi guckt starr auf seine Hände. Ein kleiner, dicht befellter Hund läuft durch das Bild. Vom DRK-Kindergarten her nähern sich erste Großfamilien mit Grillutensilien, Essenstüten, Klappstühlen und Getränkeflaschen. Es riecht süßlich. / 17:01 Uhr



Ein Ausflug in die Kulturregion Hellweg:
>Seepark Lünen<
Klein, aber fein. ©mhu
Der Horstmarer See im Seepark Lünen: klein, aber fein und auf diesem Foto vollkommen überzeichnet. ©mhu
*Wenige Kilometer von Dortmund entfernt, erstreckt sich der 63 Hektar große Seepark in Lünen, der – aus Sicht des Ruhrgebiets – das grüne Tor zur Kulturregion Hellweg ist. Ein Ausflug lohnt sich immer, denn  das ehemalige Gelände der Zeche Preußen wurde 1996 für die Landesgartenschau umgestaltet und renaturiert – und ist beliebtes Naherholungsgebiet.
Der vordere Teil des Horstmarer Sees ist als Badesee ausgegeben. Die Preußenhalde gibt es noch. Man kann sie über einen ausgeschilderten Rundweg erreichen und besteigen. Im Horstmarer Loch, das heute auch als natürliches Amphitheater für Veranstaltungen genutzt wird, kann man sich in Höhenunterschieden messen. Kunst gibt es und eine direkte Anbindung an das Schloss Schwansbell sowie die Innenstadt von Lünen, was die Lüner rege nutzen. Auch gehört der Seepark zur Route Industriekultur und dem Emscher Landschaftspark.

Mehr von Melanie Huber

Von Mosaiksteinen in einem Kaleidoskop

Samstag. Ich lerne kennen, wo ich bin. Wo ich die nächsten Wochen sein werde.
Hamm Marktplatz. Ein Espresso in der Sonne öffnet meine Augen, es ist heiß. Es ist voll. Um mich herum geschäftige Menschen. Es gibt Bratwurst, Pellkartoffel, Gemüsespieße. Man isst, man lacht gemeinsam, man schnackt. Oder klönt? Oder quatscht? Wie sagt man hier? Man kennt sich, wieder einmal. Wieder diese Ahnung: Menschen um mich, die wissen wo sie hingehören.
Zwei sich sehr gegensätzliche Parteien machen Werbung. Wahlkampf. Im Juli. Gut, dass man in Deutschland wählen kann. Im September dann. Auf den Faltblättern Schlagworte: „Für Alle.“ „Für Heimat.“ „Für unsere Familien.“ „Für Gerechtigkeit.“ Und konkret?
Die lokale Zeitung berichtet von Abiturjahrgängen. Prächtige Fotos im vielleicht ersten Abendkleid, ersten Anzug. Alle namentlich erwähnt. Mit Stolz wird der Nachwuchs präsentiert, stolz zeigt sich der Nachwuchs. Gebildet. Vorbereitet. Auf das, was da draußen auf ihn wartet. Auf Überraschungen und Entscheidungen. Auf Widersprüchlichkeiten. Auf große Schlagzeilen, jenseits des Lokalteils:
Gewalt und Machtdemonstrationen in Hamburg. Menschen, die Orte zerstören. Menschen, die ignorieren. Menschen, die andere Menschen degradieren. Ein lautes Wochenende. War das der Startschuss für den Wahlkampf? Ein schmerzhafter Startschuss. Untermalt von Beethovens Neunter. Ode an die Freude. Deutschland im Juli. Freude auf September?

Auf dem Fahrrad versuche ich mir die Stadt zu erschließen, die Region. Ich möchte wissen, was Nachbarschaft in der und für die Kulturregion Hellweg bedeutet. Was bedeutet hier Heimat? Familie, Traditionen? Gerechtigkeit? Werte? Identität? Zugehörigkeit?
Nachbarschaft ist abhängig von Orten und von Gemeinschaften. Gehören dazu auch Zäune? Klar definierte Grenzen und Rituale? Was gehört nicht dazu?
Rechts eine alte Kaserne, sehr belebt. Kein Militär, dafür Kinder auf Fahrrädern. Mit Fußbällen bewaffnet. Viele Menschen in kleinen Gruppen, neue Nachbarschaften auf engstem Raum. Menschen, die eine lange Reise hinter und eine lange Reise vor sich haben. Ungewisse Zukunft, auch über September hinaus. Die Frage nach Zugehörigkeit wird hier anders beantwortet. Vermute ich.

Samstag Nachmittag. Ich sitze auf der Terrasse einer Hammer Ureinwohnerin und höre Geschichten aus einem besonderen Leben. Ich bin beeindruckt. Von Motivation, Ausdauer und Kraft, für Nachbarschaft, für Freunde und Fremde, für Benachteiligte einzutreten. Für Gesellschaft. Für ein Miteinander. Für Orte. Beeindruckt davon, 38 Jahre Nachbarschaft hinter sich zu lassen, um eine neue zu gründen. „Nimm es in die Hand, sei offen, sei hartnäckig.“ Anfang nächsten Jahres ist der Umzug.
In dem Mehrgenerationenhaus wird es elf Wohnungen geben. Für Menschen älteren, mittleren und jüngeren Alters. Das, was einmal der Dorfplatz war, ist hier ein Gemeinschaftsraum. So wird das Haus zum Dorf. Das Dorf zum Haus. Man kümmert sich umeinander. Man lernt voneinander. Man hört einander zu. Die umliegenden Bewohner – in der Nachbarschaft – sind skeptisch, sie leben alle in ihren eigenen Häusern, mit eigenen Gärten. Eingezäunt und begrenzt.

Samstag Abend. Der Marktplatz in Ahlen ist voll. Stadtfest, Bier, Wein, Fressbuden. Ein Gewitter aus Trinksprüchen, guter Laune, Alkohol und Zigaretten, Wiedersehen nach langer Zeit, die Unmöglichkeit, sich in der Menge zu finden. Bekannte Rockmusik, gecovert, von der Westküste. Ganze Familien sind vertreten, mit bis zu vier Generationen. Über den Köpfen hängen Dekorationen, die ich lange nicht erkenne. Bunte Luftmatratzen in Form von Flip-Flops. Ist mir unbekannt, wofür Ahlen bekannt sein könnte? Ahlen, Partnerstadt von Rio de Janeiro? Stadt der schönen Füße? Sandstrand, Karibik, Caipirinhas? Körperkult? An den Füßen jedoch keine Flip-Flop-Mehrheit.

Samstag Nacht. In meinen Ohren hallt es nach. Vor meinen Augen Bilder von großen und kleinen Bauklötzen, Mosaiksteinen, Zement, Sand. Das alles hier. Da, wo ich gerade bin. Die ständige Neuanordnung, ein Kaleidoskop.

Mehr von Matthias Jochmann

Von Fremde und Neugier

Freitag Nachmittag, ich mache mich auf den Weg in den Hellweg. Ehrlich gesagt, auch mir war bis vor kurzem der Baumarkt bekannter als die Kulturregion.

Ich stehe im überfüllten Regionalexpress von Düsseldorf nach Hamm, wir kreuzen das Ruhrgebiet, ich erkenne den Dialekt, die direkte Redensweise. Halt in Duisburg. In Essen. Bochum. Dortmund. Klischees im Kopf. Currywurst, Pommes Schranke, Fußball, Stahl, Pott, ich komm aus dir.

Im Fenster wird es grüner. Der Zug leerer. An der Bahnstrecke ist die Grenze zwischen Ruhrgebiet und Hellweg genau auszumachen: Graffitis im Ruhrgebiet, blanke Mauern im Hellweg. Dann Felder, Wiesen, Kühe. Schornsteine. Fördertürme. Backsteinhäuser. Ein riesiger Rangierbahnhof, ein Meer aus Birken. Dazwischen Container aus China. Abgestellt. Vielleicht vergessen. Oder Ausrangiert. Im Wartezustand. Stille Beobachter aus der Ferne, voller Erinnerungen aus Fernost.

Was machen Container aus China in Hamm? Ich sympathisiere mit diesen Fremden, letzte Woche war ich selbst noch in Fernost. Ich erinnere mich an mehrstöckige Highways, an gigantische Reklamewände, an Spielhöllen. An eine Grenze, unüberwindbar, die aus einem Land zwei macht. An Manga, K-Pop und Karaoke. An Menschen, die nicht wissen, wo sie hingehören, aber weiterlaufen.

Am Bahnhof Hamm-Heessen ist es wunderbar ruhig. Wer wohnt hier? Weiß jemand von ihnen, was diese Container aus China hier machen?
Freitag Abend im Biergarten Kötter, man kennt sich. Menschen, die schon immer hier wohnen. Menschen, die vielleicht auch mal nach Fernost reisen wollten, aber. Es gibt immer ein Aber. Sie wohnen hier, sind Ureinwohner. Menschen die wissen, wo sie hingehören. Man kennt sich. Lange und gut. Schützenverein, Junggesellenverein, Fraktion, freiwillige Feuerwehr. Nachbarschaft.
Ich kenne diese Formen von organisierter Gemeinschaft nicht. Ich wollte das auch kennenlernen, aber. Da, wo ich wohne, kenne ich meine Nachbarn nicht. Ich würde gern mit ihnen im Biergarten sitzen. Aber!

Freitag Nacht. Da, wo ich schlafe, ist es still. Die Stille ist mir fremd. Fremde. Stille. Dunkelheit. Im Wartezustand im Hellweg. In der Kulturregion. Schwer beladen mit Erinnerungen. Und Fragen. Und Neugier.

Mehr von Matthias Jochmann