it’s raining THE GENTLEMEN halleluja AMEN

dortmund 10. merz 2020. satz mit SR: ’sreehnt = rheinhessisch für es regnet (…gott segnet die zettel werden nass). die nachrichten sind bedrückend: da kommt was auf uns zu! und ich bin ganz allein im fremden ruhrgebiet. und das mit fünf millionen anderen menschen, die so gar keinen abstand halten wollen. liegt ihnen wohl nicht im blut, den netten kumpels & kumpelinen. eigentlich wollte ich heute zuerst zum grab von richy huelsenbeck auf den nahen südwestfriedhof pilgern. beschließe aber auf dem weg lieber gleich zum dilL zu gehen. erst kommt das fressen, dann kommt die (arbeits-) moral. glücklicherweise kann ich mit der asphaltbibliotheque beides verbinden.

ich mag zwar regenwetter, aber im regen zu flanieren, nass zu werden – und nicht schwimmen zu gehen – macht mir schlechte laune.  na wenigstens voher noch einen abstecher zum tremoniapark. hinterm dekorativen kreisel residiert die DMT und wacht angeblich über mich. soll ich sie dafür in mein nicht vorhandenes nachtgebet aufnehmen?

vor dem supermarkt finde ich zwei feuchte EKZ (zettelsammlerslang für einkaufszettel). ich bring meine farbenfrohen schäfchen ins trockene und lichte sie routiniert im ladenlokal beim einkaufen ab. der freundliche bäckereifachverkäufer meint, dass es zum friedhof gar nicht mehr so weit wäre und beschreibt mir den weg. als smartphoneverweigerer bin ich geradezu darauf angewiesen mit meinen mitmenschen zu kommunizieren und fremde menschen nach dem weg zu fragen: ist das nicht furchtbar?

hab doch noch keinen bock zurückzugehen und mach mich bei leichtem regen mit dem viel zu schwerem rucksack auf den weg. unterwegs werden weitere zettel eingesammelt und in das eigens dafür mitgeführte werbeprospekt zum trocknen eingelegt. nasses papier ist sehr empfindlich. wenn ich sie jetzt auseinanderfalte, würde ich sie in fetzen reissen. aufgelesen wird immer, gelesen wird bei regen erst zuhause. sammelrouten oder zettelsafaris plane ich eigentlich eher selten. mein leben bestimmt die kunst und nicht umgekehrt. aber ich muss mit und von meiner kunst leben.

der weg durch das dicht bebaute wohngebiet am rande des kreuzviertels immer die kuithanstraße entlang ist doch länger als ich dachte. endlich auf dem nassen friedhof angekommen frage ich zwei friedhofsgärtner mit minibagger nach dem grabmal von huelsenbeck. die beiden haben den namen des berühmten DADAisten allerdings noch nie gehört und wollen mir den weg zu irgendwelchen BVBmumien weisen. fußball ist opium für volker. irgendwann erinnert sich einer der beiden doch noch an ein auffälliges relief mit gedenkplatte und beschreibt mir den weg dorthin.

tatsächlich da ist es! direkt daneben liegt der dortmunder DADA-aktivist jürgen kalle wiersch und die von beiden beinflußten DADADOs haben 2018 auch einen gedenkstein hinterlassen. anlass war das 100jährigen jubiläum der bedeutensten europäischen nihilistischen kunst- und literaturbewegung, bei der huelsenbeck federführend war.

es ist immer noch am schiffen und winden. ich inszeniere schnell ein paar bilder und mache mich auf den heimweg. schulter und nacken schmerzen unter dem gewicht meines einkaufs. vor allem die beiden weinflaschen habens in sich und ich ahne warum profi-alkis auf hochprozentiges umsteigen: reine logistische vorsichtsmaße zur vorbeugung von späteren haltungsschäden. rücken hui – leber pfui! ich lasse den regen fallen und warte in einem graffiti besprühten haltestellenhäuschen vor dem leibnizgymnasium auf den bus, der mich zurück in meinen adlerhorst bringen wird.

dort finde ich glaub ich den karozettel. der regen hat die handschrift auf dem mittig gefalteten blatt wieder aufgeweicht und auf der gegenüberliegenden seite des blattes in spiegelschrift als tintenklecksographie wie für einen rohrschachtest abgedruckt:

(anmerkung des auflesers) ob F. ahnt, dass ihr sohn E. möglicherweise davon träumt ein kleines aber feines imperium für marihuana in dortmund aufzubauen, um irgendwann wie der filmheld ein legales leben in der oberschicht zu führen?

hier geht’s zum quarantäne-musikvideo-blockbuster THE GENTLEMEN mit einer interpretation der einverständniserklärung des alleinunterhalters BRANDSTIFTER LIVE VOM BÜGELBRETT.

 

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