Verkehrsberuhigung
17. Oktober 2017
Licht fällt gelenkig durch Verkantungen. Es riecht nach Baumarkt. Und nach Männern, die wissen, was zu tun ist.
Drei Trucker zwischen mir und Jesus. Hinter uns radelnde Rentner.
Die Filzdeckchen auf den Hockern grob. Ihre Farbe königlich.
Ich stehe in der ökumenischen Autobahnkirche von Siegen, einem Gotteshaus, das von außen aussieht wie die Luxusgarage eines James-Bond-Bösewichts.
Von innen ist die Kirche weniger einschüchternd. Das Holz sieht preiswert aus. Und aufrichtig. Unlackierte Spanplatten, pragmatisch ineinandergesteckt. Eine Kirche zum Selberzusammenbauen. Ikea verkauft jetzt auch Möbel für Haustiere. Sollten sie ihr Sortiment je um Möbel für Götter erweitern, könnte das aussehen wie hier: Helles Holz, die Teelichter aus dem 100er Pack. Alle Verschwendung von Raum passiert oben in der Kuppel – der Wohnraum Gottes hingegen ist optimal genutzt. Minimalistische Hocker, die zum praktischen Stapeln einladen. Der Altar, ein Schreibtisch aus der letzten Kollektion. Alles macht den Eindruck, als könne es innerhalb weniger Stunden wieder auseinandergebaut und abtransportiert werden. Falls Gott umzieht.
Unseren Göttern Häuser bauen zu wollen, ist ein zutiefst menschlicher Impuls. Andere Tiere machen so etwas nicht. Schon die alten Griechen entschieden, dass ihre Götter nicht irgendwo hausen sollten, sondern es schön haben. Mit Säulen und allem Drum und Dran.
Selbst die Israeliten schleppten ein riesiges Zelt durch die Wüste auf ihrer 40jährigen Reise, das Zelt der Begegnung. Dort trafen sie Gott, schufen bewusst Raum, um ihn zu treffen, nicht irgendwo, sondern an einem besonderen Ort. Sie trugen das Zelt bis nach Jerusalem, trugen es bis sie Gott einen Tempel bauen konnten, ein echtes Zuhause.
Ich stelle mir vor, dass das Zelt der Israeliten von innen so ähnlich aussah wie diese Autobahnkirche – minus Kreuz natürlich. Ein Ort, an dem Menschen Gott begegnen können, während sie unterwegs sind.
Gott wohnt natürlich überall: Im Billighotel auf dem Parkplatz neben der Kirche. In der muffeligen Spielhalle direkt nebenan. Im Lastwagen mit dem Leuchtschild, in dem das Wort „Harry“ blinkt. Auch bei BurgerKing schräg gegenüber. Was immer Gott ist, ist überall.
Ich schaue lange auf das Kreuz. Das Architektenbüro Schneider+Schumacher hat alle Register gezogen. Auch die Sonne gibt heute ihr Bestes, den gewünschten Effekt zu erzielen. Ein Engelsgesang-Aaaaaaaaaaahh rieselt Licht auf das Kreuz. Alles ist erleuchtet.
Ich stehe auf, und blättere durch die deutsche Version der ausliegenden Truckerbibeln, die nur aus dem Neuen Testament und ausgewählten Psalmen besteht. Ich lese im Lukasevangelium, aber werde nicht warm mit diesem netten orientalischen Tischler. Jesus und ich haben, um im südwestfälischen Bild zu bleiben, einfach keinen Draht zueinander.
Ich schließe die Augen und atme tief ein. Der Geruch des Holzes erdet mich. Vielleicht sollten auch Museen nach Holz riechen. Und Gerichtsbehörden. Orte, denen es gut tun würde, ihnen ein bisschen Hoheit zu nehmen und ihnen eine Erinnerung einzufügen, dass wir – Holz, Kunst, Gott, Demokratie – alle im selben Boot sitzen. Ich fühle mich demütig, ohne mich erniedrigt zu fühlen. Der Holzgeruch erinnert mich an die Schöpfung, und daran, dass mir egal ist, ob Gott die Menschen geschaffen hat oder die Menschen Gott. Ich möchte glauben, nicht wissen, dass ich Teil einer bewussten Entscheidung, eines mutigen Experiments, bin. Dass sich etwas Höheres, Liebendes entschieden hat, uns zu kreieren, trotz unserer uneleganten, allzu offensichtlichen Fehlbarkeit. Wenn manche Menschen dieses Höhere Jesus nennen wollen, warum nicht?
Das hier ist ein guter Ort, egal, was man glaubt. Ein Ort voll stiller Autorität. Einer, der handfest, aber erhaben ist.
Ein Ort, der anmutig ist, ohne einzuschüchtern.
Ein Ort für Trucker. Für Radfahrer. Für Regionsschreiber.
Ein Ort für alle.
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Kleiner Bonus: Hier die Siegerländische Version des Vaterunser (und für Interessierte, das Vaterunser auch in 703 anderen Sprachen/Dialekten – Klingonisch ist auch dabei – dank der #reformaction2017):
https://www.reformaction2017.de/vaterunser/beitrag/Vq9NL