Ich sag lieber: Majorca. Das hat für mich auch mit Respekt zu tun. Malle sagen nur die, die da zum Saufen hinfahren. So: Malle is nur einmal im Jahr. Hab ich auch einmal gemacht. Brauch ich nit nochmal.
Majorca is was anderes, dat is schön. Da haben mein Mann und ich uns nochmal verliebt, sag ich immer. Deshalb wollten wir auch dieses Jahr wieder hin. Silberne Hochzeit! Wird jetzt nix draus.
Wir feiern dann einfach nächstes Jahr. Fünfundzwanzig plus eins. Mal was anderes. Aber dat is schon schade, dass jetzt die ganzen Feste ausfallen. Hier in Mettmann hätten wir Weinfest, dat is jetzt immer so um den Dreh, wir hätten Heimatfest. Wenn uns dat einer gesagt hätte, dass Karneval das letzte Mal Feiern ist!
Dann hätten wir auch nix anders gemacht, is klar.
Wollen Sie vorne ein bisschen fransig?
Schon richtig, dass die Sachen ja jetzt überall ausfallen. Verpasst man nix. Aber man darf auch bisschen traurig sein, dass sie auch hier ausfallen. Ja, oder nicht? Stattdessen steh ich jetzt mit der Maske im Laden. Und ich sag Ihnen wat, ich krieg Atemnot. Dat is heut der erste Tag, wo ich nich auch noch Bauchschmerzen kriege. So im Oberbauch. Ganz fies. Hat mir ein Arzt erklärt, der hier Kunde ist, der sagt: Kommt vom flachen Atmen. Das kriegen die alle in den Krankenhäusern. Die müssen ja auch den ganzen Tag ihre Masken aufhaben. Ich hab hier auch so eine. FFP3.
Ja, weil: Da hat man ja schon auch eine Verantwortung. Wenn ich jetzt hier krank werden? Mein Mann, mein Sohn, die gehen schon auch wieder ins Büro und kommen abends nachhause. Aber die sehen da ja nur ihren Computer und vielleicht mal den Chef. Hier geht in einer Tour die Klingel! Da kommen die Leute rein und raus, und ich sag ja immer, Maske auf und bitte Hände waschen und desinfizieren und Pipapo. Aber am Ende is dat jetzt hier Risikozone.
Ohren frei?
Macht das Schneiden auch nich leichter. So ne Maske. Aber ich bind die jetzt bei allen so im Nacken fest. Dann kann man auch waschen, haben Sie ja gesehen. Ganz ehrlich: Ich finds schon komisch, dass wir jetzt wieder auf haben dürfen. Also: Dass wir dürfen und die Kosmetiker nich. Zum Beispiel. Obwohl, ´ne Freundin von mir, die macht Pediküre und Maniküre, so mobil, auch im Altersheim. Und Pediküre darf die seit ner Woche wieder. Die sagt: Ich werd noch bekloppt. Ich darf den Leuten an die Füße, aber an die Hände darf ich nit, wo ist denn da der Unterschied? Für so ein Virus.
Ich mach Ihnen hier so ein bisschen stufig rein, dann hat das Pfiff.
Naja, wahrscheinlich wollen sie halt, dass nit gleich alle wieder auf die Straße rennen. Und is ja auch richtig. Ich sag immer, die Leute können ja mit mir tauschen. Wenn die unbedingt raus wollen. Ich mach meinen Job gern. Aber ich hab auch nen Garten zuhause. Und das war was, in den ersten Wochen nach dem Lockdown. Schön immer um zwei in die Hängematte. Und dann Buch und Feierabend. So war das.
Bisschen ausdünnen noch? Würd ich schon machen.
So ein Garten ist schon was tolles. Und die Luft ist ja jetzt auch so gut. Weil natürlich weniger Abgase. Und ich weiß gar nich, wann ich das letzte Mal so einen blauen Himmel gesehen hab. Als ich ein Kind war, wenn man da ein Flugzeug entdeckt hat, dann war das was besonderes. Das ist heute auch wieder so.
Und das kann doch so bleiben. Ja, oder nicht? Wenn am Tag mehr Flieger nach Majorca gehen, als Bahnen nach Düsseldorf. Dann is doch was verkehrt! Und klar is das schön, wenn was billig ist. Aber Easyjet für 20 Euro, hör mir auf. Deswegen fliegen sie doch auch nach Malle wie die Verrückten. Setzen sich aufn Strand und haben um zwei schon nen Kopp und nen Sonnenbrand. Und baggern die Frauen an. Ist doch wahr.
Wir gehen auf Majorca immer wandern, mein Mann und ich. Früher is unser Sohn noch mitgekommen, aber der fährt jetzt mit seiner Freundin. Und dann ruft er mich immer vorher an und fragt, Mama, wo seid ihr gelaufen dieses Jahr? Und das laufen die dann auch. Weil dat so schön is, da.
Ich tu jetzt nochmal den Nacken kürzen und dann sind wir fertig.
Vier Jahre. Das ist für mich immer so die Zeit gewesen. Die Zeit, die es braucht, um anzukommen. Vier Jahre, dann bin ich da.
Wir sind da. Das ist der Ortskern.
Wir sind jetzt einmal durch den hinteren Teil.
Da drüben die Kirche.
Könnten dort zurück, dann da hoch und rüber?
Und das war’s dann eigentlich schon.
Normale Fahrräder gibt’s hier auch gar nicht
Das mit den vier Jahren? Das hab ich vor allem gemerkt, als ich mal irgendwo hin zurückgekehrt bin. Wenn man nur kurz da war, kommt man auch in Zukunft nur zu Besuch. Aber wenn man mal vier Jahre an einem Ort gelebt hat: Die Ecken, die Wege, gleich alles wieder da. Ist wie in alte Schuhe schlüpfen. Bequem, irgendwie schön. Vier Jahre also. Die Vier-Jahres-Regel.
Und ich bin ja erst ein Jahr hier.
Hier wohnen superviele Zugezogene. Klassische Vorstadtsiedlung. Die Leute wollen aus der Stadt raus, die wollen sich ihr Häuschen bauen. Und sie bauen. Diese Straße, die könnten wir entlanglaufen bis … Ewig. Das hört nicht auf. Wenn man hier nur mit dem Auto unterwegs ist, denkt man: Du. Lieber. Himmel. Haus an Haus an Haus an Haus an Haus. Dabei ist das nur eine Reihe, direkt dahinter liegt Feld. Zwischen den Mauern hindurch, dann ist man im Grünen. Wunderschön. Vielleicht fahre ich deshalb nicht so gerne Auto. Mit dem Fahrrad zur Arbeit? Nee, kaum machbar. Heißt ja nicht zum Spaß Bergisches Land! Normale Fahrräder gibt’s hier auch gar nicht. Wirklich! Man muss sie zumindest suchen. In den Läden haben sie nur noch E-Bikes. Aus guten Gründen, wenigstens für eine Flachlandschnecke wie mich. Aber letztens musste ich tatsächlich fragen: Sagen Sie, haben Sie auch normale Fahrräder? Ja, sagt der dann. Im ersten Stock.
Ist nicht so. Aber man denkt das halt.
Die Kirche jedenfalls. Die ist wirklich sehr schön. Ist mir gleich aufgefallen. Und sonst sind wir auch herzlich aufgenommen worden. Die Leute hier sehen sich da eher als Rheinländer. Die sind so: Ja, schön, dass du hier bist! Aber auch: Ist ja so schön hier! Also: Klar, dass du hier bist! So sind die. Und stimmt schon: Da geht so ein Riss durchs Bergische Land. Letztens sagt mein Nachbar, er war jetzt das erste Mal in Wuppertal. Der ist hier geboren und aufgewachsen und das ist kaum eine halbe Stunde entfernt. Aber, sagt er, warum soll ich da hin? Und klar, die Wuppertaler, die ich kenne, die bleiben auch da. Und ich kenne viele, ich hab dort ja gewohnt. Innenstadt, 5 Minuten zum Aldi, 5 Minuten zum Bahnhof. Dafür konnte ich nachts nie mit offenem Fenster schlafen, weil die besoffenen Kids dann den Berg runtergerollt sind. Und jeden Freitag türkische Hochzeit. Ist natürlich anders, natürlich auch schön, aber mit Ruhe war da nichts.
Und hier gehst du um die Ecke.
Und dann bist du im Wald.
Natürlich gibt’s im Wald keinen guten Kaffee. Das ist ja in der Stadt oft so ein Ding. Dass man den einen Laden dort findet, das Café, die Kneipe. Und dann sagt: Deswegen gefällt mir dieses Viertel jetzt am besten. Obwohl, wir haben da jetzt so eine Kneipe vor der Haustür … Die sieht von außen nicht aus, als ob die überhaupt offen wäre. Aber man hört: Da ist immer wer drin! Und irgendwie wirkt die so, dass man sich trotzdem nicht traut, rein zu gehen. Weil man denkt: Das darf nur jemand, der schon 30 Jahre hier lebt. Ist bestimmt nicht so. Aber man denkt das halt.
Wollen wir jetzt eigentlich noch die Kirche angucken?
Und apropos Wald. Und Kaffee, strenggenommen. Als wir noch recht neu waren, bin ich mal Kaffee holen gegangen. Wollte eigentlich nur zum Bäcker an der Kreuzung. Und dachte, da muss ich keinen Umweg machen, ich geh einfach direkt zwischen den Bäumen hindurch. Bin dann versehentlich über den ganzen Hang drüber, hab’s gar nicht gemerkt. Und stand gleich darauf im Nachbardorf. Das ist dann aber richtig Dorf. So mit Milchtankstelle und ein paar Bauernhöfen. Kaffee gab’s da nicht. Na, ist vielleicht auch nur eine Geschichte darüber, wie schlecht mein Orientierungssinn ist.
Hier ist ja schon freies Feld
Jedenfalls: Klar, eine gewisse Schwelle gab es schon. Aber mal ehrlich, wo gibt’s die nicht! Die Menschen schauen eben erstmal. Sind eben auch stolz auf ihr Dorf. Das war sogar neulich erst wieder in der Zeitung. Denn eigentlich sind ja längst alle Dörfer hier zu einem Ort zusammengefasst. Und trotzdem stand auf den Schildern immer nur der Dorfname. Das darf man so gar nicht. Jetzt mussten sie die ganzen Schilder ändern. Und es gibt viele, sag ich mal, die wissen noch, wie’s früher war. Die sind nicht so glücklich damit.
Vielleicht sind die immer in dieser Kneipe.
Weiter in diese Richtung liegt übrigens der große Friedhof. Und weiter oben gibt’s noch einen Begräbniswald. Und dann fangen die Villen an. Oder die großen Häuser. Die jedenfalls, wo es wichtig wird mit dem Blick. Da hat es neulich erst wieder Aufregung gegeben. Weil die Stadt, die wir ja jetzt sind, einen neuen Bebauungsplan verabschiedet hat, und da waren auch ein paar Flächen freigegeben, die manche Leute wohl lieber unbebaut gelassen hätten, und ich sag mal, das hat auch nicht allen gefallen, dass da jetzt vielleicht der Wert ihrer Immobilie gemindert wird. Weil man nicht mehr so weit in die Ferne gucken kann.
Die Leute gehen aber sicher nicht in die Kneipe vor meiner Haustür. Die fahren SUV. Wirklich, davon gibt’s hier viele. Und so sehr auf dem Land sind wir ja nun auch noch nicht. Obwohl: Manchmal sieht man einen SUV vor einem Haus parken und guckt über den Zaun, und dann sind da Hühner! Und letztens kamen mir da vorne Pferde entgegen, ich hab gedacht, die wollen zum Reitstall, aber sie sind dann in den Hauseingang abgebogen. Und das Haus sah wirklich überhaupt nicht aus, als ob da noch ein Pferdestall wäre!
Kommt vielleicht daher, dass es in der Region total üblich war, dass jeder sein Zubrot hatte. Historisch gesehen. Der eine Ziegen, der andere Schafe. Vielleicht ist das so eine Art unterbewusste Fortschreibung der Tradition. Auch wenn man heutzutage Eier bei REWE kaufen kann. Jetzt sind wir aber ein bisschen abgeschweift. Hier ist ja schon freies Feld. Wollen wir wieder zurück zur Kirche?
Pfannkuchen, 5 Euro 50
Es ist halt auch ein Durchfahrtsort. Also, für mich. Ich will da niemandem auf die Füße treten. Und sicherlich war das früher mal anders. Aber jetzt? Morgens um sieben ist mächtig was los, weil alle zur Arbeit oder die Kinder zur Schule fahren. Und abends kommen dann alle wieder. Und dazwischen: Joah.
Ich bin ja selbst in einer Vorstadt groß geworden.
Man hat alles da, was man braucht.
Aber was besonderes hat man nicht.
Vielleicht hab ich das aber auch noch nicht geknackt.
Obwohl, das hier? Das ist einer meiner Lieblingsorte. Wegen dem Imbiss. Ich weiß, ist komisch, ne? Aber als wir damals die Wohnung angeguckt haben, sind wir vorher hier essen gewesen, haben gesagt, wenn wir hier hinziehen, kommen wir öfter. Und das hat gestimmt. Richtig gutes Pad Thai. Und die Frittenbude da vorne, die macht sensationelles Hähnchen. Nur der Döner ist nicht so. Aber zwei gute Schnellimbisse? Mal ehrlich, das gibt’s auch nicht in jedem Szeneviertel, oder?
Ich hab eigentlich immer geträumt davon, mal in so einer ganz großen Stadt zu wohnen. Also, so ganz ganz groß. London vielleicht. War mir aber auch immer zu teuer. Und hier gibt es genau einen Penner, einen. Und alles trifft sich im Karnevalsverein. Klar, der Ort hat einen eigenen Karneval! Angeblich einen sehr guten. Ist allerdings noch nicht so mein Ding. Aber wer weiß?
Wenn man hier länger wohnt?
Vier Jahre vielleicht?
Wer weiß.
So, hier noch die Stufen, dann sind wir endlich an der Kirche. Ich find vor allem den Turm toll. Sieht man den überhaupt gut von hier? Und die Fenster. Ist das noch romanisch? Bin mir nicht sicher. Hab aber schon einen Vortrag drüber gehört. Sollen wir mal drum rum?
Man kann hier auch spenden, für eine neue Orgel. Da ist schon ganz schön was zusammengekommen. Wird aber auch überall gesammelt. Wir hatten neulich ein Gartenfest bei uns in der Siedlung, da stand auch eine Büchse dafür. Da hat mir übrigens ein anderer Nachbar erzählt, dass er mal drin war, in dieser Kneipe! Wie war’s, frag ich. Aber mehr hat er nicht erzählt. Die ist wirklich ein Phänomen. Das ganze Jahr steht dasselbe Schild draußen. Immer! Pfannkuchen, 5 Euro 50. Und ich denk jedes Mal, wie ich’s das erste Mal gesehen habe. Da war ich noch neu und dachte, boah, gleich geh ich die Gegend erkunden und mich mit Einheimischen anfreunden und so. Und dann ist man im Umzugssterss und die Wohnung wird nicht fertig und auf der Arbeit ist was los, und irgendwann könnte man nicht mehr reingehen und sagen: Ich bin neu hier! Weil, man müsste sagen: Ich bin schon ein Jahr hier, verdammt.
Jedenfalls hab ich gedacht, bei dem Sommerfest, nach zwei Weißwein: Ich trau mich jetzt rein. Vielleicht ist heute jemand nettes da drin, vielleicht ist heute der Tag! Aber dafür war das Wetter dann doch zu schön. So, jetzt sind wir wieder an der Kirchenpforte. Da kann man übrigens auch einen Blick reinwerfen. Wollen wir?
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