Unterwegs im vestimentären Feld

Mein Kleidungsstil ist keinesfalls modisch, eher lässig und ungezwungen. Nicht besonders schick, ist ein Kommentar, an das ich mich gewöhnt habe, lange schon. Ein Statement zu meiner Person, ihrem Auftreten, dass ich eigentlich als Teil meiner Identität integriert habe, das, was mich ausmacht, nicht besonders elegant, eher natürlich, selbstverständlich. Zugegeben, Nagellack juckt mir die Fingernägel, vom Kajal tränen meine Augen, der Lippenstift klebt und Lidschatten kratzt mich. Die Differenz von gestylter Schönheit leben, statt aufgebrezelt aus der Haustür zu stürzen zog ich lieber frei nach Curt Kobain come as you are vor und habe immer geglaubt, es sei mein Markenzeichen.

Als ich kürzlich mit meiner selbstgebastelten Atemmaske unterwegs war und auf meinem Fahrrad vor einer roten Ampel wartete, ging ein Herr mit Industriemaske ausgerüstet an mir vorbei. Seine weibliche Begleitung trug auch eine Stoffmaske, allerdings mit sichtbar besserer Nähqualität als meine.

So eine Bastelei, stöhnte der Herr, als er schon an mir vorbei war und glaubte, ich würde ihn nicht mehr hören können. Am liebsten wäre ich vom Fahrrad gesprungen, um ihm oder mir die Maske herunter zu reißen und diese vor seinen Augen zu zerreißen.

Aber die Ampel sprang auf Grün und ich fuhr weiter, mich jedes Mal, wenn ich in die Pedale trat, fragend, ob ich nochmal den Mut haben würde, meine Maske zu tragen.

Ich fühlte mich zurückversetzt in die Zeit, als ich aus Südwestfalen nach Bonn gezogen war und dort als Jugendliche auf eine neue Schule ging. Wie hatten die aus der Stadt damals über meinen Kleidungsstil, meine neongelben Radlerhosen gelacht!

Die Beziehungen zwischen Kleidung und Welt sind vielfältig. Der Modeaspekt ist stets implizit enthalten. Für Roland Barthes bilden Kleidung und Mode ein ebenso komplexes System wie unsere Sprache.

Zusammengesetzt aus Zeichen und Kommunikation ergibt sich eine Matrix, von der auch der Träger abhängig ist. Unser persönlicher Stil ist niemals frei von der sozialen Welt, die uns umgibt.

Das Wort Trachten kommt von dem Verb tragen und nichts eignet sich besser, darzustellen, wie sehr unser Kleidungstil auf einem Zeichensystem beruht, das wie unsere Sprache zur Kommunikation dient. Trachten stellen weniger das Besondere oder Eigene einer Region dar, als dass sie eine Aussage machen, die sich auf ein bestimmtes System beziehen, das meist für identitätsbildende Zwecke eingesetzt wird. So ist auch das Dirndl eigentlich keine traditionelle Kleidung, die in Süddeutschland die Jahrhunderte überdauert hat, sondern eine Erfindung. Auch Annette von Droste-Hülshoff hat festgestellt, dass es in Südwestfalen keine spezifisch traditionelle Kleidung gab. Die Menschen trugen, was der Epoche, in der sie lebten, angepasst war. Dabei gab es wenig einheitliche Kleidung, sondern dem Stand und den Klassen angepasst. Wer auf dem Feld arbeitet oder in der Grube gräbt, trägt die Arbeitskleidung bis sie aufgebraucht ist.

Dabei hat sich immer wieder eine Berufskleidung heraus gebildet, wie beispielsweise die Zögertracht im 19. Jahrhundert mit der sich die Drahtzieher in Südwestfalen kleideten. Doch da niemand diese für Identitätsbildende Zwecke eingesetzt hat, ist auch sie wieder in Vergessenheit geraten.

Dafür gibt es heute eine Unmengen an Schützentrachten, angelehnt an frühere Jägertrachten, wurden sie früher ausschließlich von Männern getragen, heute gibt es immer mehr Frauen, die den Vogel abschießen und dafür tragen sie dann selbstverständlich auch eine der lokal üblichen Uniformen. Kleidung kennzeichnet eine gewisse Zugehörigkeit oder eben nicht.

Der Eigenwille, sich selbst nicht inszenieren zu wollen, kann eben ein Statement sein.

Es geht immer um den Eigensinn, mit dem Gegenstände getragen oder benutzt werden, damit diese dann zu einem Identitätsmarker werden. So ungefähr wie eine selbstgebastelte Atemmaske, die, mit dem gewissen etwas, von dem auch France Galle schon gesungen hat, das eben nur sie hat.

Drahtzieher Ehepaar, Altena um 1800

Mit herzlichen Dank an Prof. Dr. Gudrun M. König und Prof. Dr. Lioba Keller-Drescher für die hilfreichen Gespräche zur Anthropologie des Textilen.

 

 

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