Terminkalender

Freitag, 13.03. Ich wäre heute zu einer Vernissage ins Ludwig Forum gegangen. Das heißt, ich war dort, denn ich wohne gerade in dem Museum. Neben den üblichen Verdächtigen hätte ich Coco getroffen, einen Teenager, der etwas gelangweilt vor einer alten Röhrenfernseher-Installation gesessen hätte. Wir hätten dieselben Schuhe getragen. Hohe weiße Turnschuhe. Ich kam mir damit gleich etwas albern vor nach dem Kauf. So gewollt jugendlich. Aber der aggressive Rap über die Shop-Lautsprecher hat mich verrückt gemacht, also habe ich gleich gesagt, die passen super und bin schnell zur Kasse.

„Haben sich die Verkäufer bei dir auch nachher abgeklatscht? So mit den Schuhen?“, hätte ich Coco gefragt. Er hätte gegrinst und ich hätte dabei versucht so zu tun, als würde mir seine Zahnspange nicht auffallen. Ich hätte erfahren, dass das hier die Vernissage seiner Mutter ist.
„Mein Sohn würde nicht mit zu meiner Lesung kommen.“
„Hast du noch mehr Kinder?“
Nein. Ich habe auch keinen Sohn. Ich stelle mir das vor, denn ab jetzt ist alles Konjunktiv.

So, 15.03. Im Theater hätte ich die Jungfrau von Orléans gesehen. Nach der Vorstellung wäre ich einer alten Dame begegnet, die im Seniorenheim in Euskirchen lebt. Im Foyer hätten wir uns bekannt gemacht.

„Ich bin Johanna.“
„Wirklich?“
„Nein, aber in dieser romantischen Tragödie. Kann ich Sie auf ein Gläschen einladen?“
„Ich trinke eigentlich gar keinen Alkohol mehr.“
„Ich auch nicht. Trotzdem?“
„Naja, ein Gläschen wird schon in Ordnung sein.“

Mi, 18.03. Ich wäre in den Salon der Barockfabrik gegangen, zweite Etage. Hier hätte heute der offene Lyriktreff des Literaturbüros stattgefunden. Eine gute Gelegenheit, um über mein noch etwas holpriges Tiergedicht „Dax“ zu sprechen. „Es steht in der Tradition der visuellen Poesie“, hätte ich vorher etwas wichtigtuerisch angemerkt. „Dax bildet die sogenannte L-förmige Krise der Börse im Schriftbild ab.“ Eine anwesende Dichterin hätte meine Laxheit im Umgang mit dem Versmaß kritisiert.

Ich hätte spontan viel ge-
nickt und ihres gelobt in einem
Daktylus, der sich gewaschen hat.

Fr, 20.03. Ich wäre zu dem Flohmarkt nach Liège gefahren, den mir der Antiquar aus dem Aix Libris empfohlen hat. Dem bei der Kirche Saint-Pholien. Bei einem alten Ehepaar hätte ich eine Motown-Platte gekauft, obwohl ich im Ludwig Forum gar keinen Plattenspieler habe. Aber das Foto auf dem Cover hätte mir gefallen. Vier Sängerinnen in Anzügen mit Schlaghosen, blauen Krawatten, breitem Lächeln, schön für die Küchenschranktür. Nachher wäre ich noch diese lange, lange Treppe hochgegangen. Das wollte ich schon vor Jahren tun, als ich das erste Mal in Lüttich war. Damals war mir das aber zu anstrengend. Jetzt in der Vorstellung ist es viel leichter.

Mi, 24.03. Bei mir vor der Tür des Ludwig Forums würde wie laut Plan jeden Mittwoch der Hop On/Hop Off-Bus ins Dreiländereck fahren. Ich hätte neben Yukiko gesessen. „Schöner Name. Ist das japanisch?“ Auf die Frage hin hätte sie mich kritisch angesehen und danach nur noch aus dem Fenster geschaut. Auf dem Baudouin-Turm am Drielandenpunt hätte ich von oben Baumspitzen betrachtet. In einem Podcast über diesen Ort habe ich gehört, dass man von hier oben sehen kann, wo mal der Zwergstaat Neutral-Moresnet gelegen hat – ein Dreieck zwischen Deutschland, Belgien und den Niederlanden, das hier seinen spitzen Winkel hatte. Ein Gerücht besagt, das Land sei entstanden, weil es an einem Verhandlungstisch mit den Vertretern Preußens und der Niederlande einen zu breiten Stift gegeben habe, um eine akkurate Grenze zu ziehen. Unter der dicken Linie, die sich so ergab, verbarg sich dann dummer Weise ein wertvolles Zinkvorkommen. Später einigte man sich, dass dieses Land keinem gehören soll. Der Wald hier in Neutral-Moresnet, das nach dem deutschen Einmarsch 1915 seine Souveränität verlor, ist älter als der in seinen damaligen Nachbarländern. Deshalb existiert das Niemandsland von hier oben noch, als Dreieck aus Bäumen. Ich hätte ein sehr schönes Foto davon gemacht, schöner als das auf Google Maps und es hier gepostet.

Fr, 27.03. Bei diesem Wetter wäre ich auf die Stehtribüne gegangen. Zum Heimspiel der Alemannia. Ein guter Platz, um Menschen aus der Region, über die ich hier schreiben möchte, kennenzulernen. Jan und Carolin, ein Ultra-Pärchen aus Würselen, hätten mich auf eine Stadionwurst eingeladen. Caro ist Elektrotechnikerin und Jan arbeitet in der Aachener Arbeitsagentur. „Einen Autoren hatte ich letztens auch vor mir sitzen. Netter Kerl, aber schwer vermittelbar.“ Ich hätte  lieber über Caros Tattoo-Pläne gesprochen. Sie überlegt gerade, noch ein zweites auf der Schulter zu machen. „O Tivoli, Sweet Tragedy, wie findest du das?“ Aber sie weiß noch nicht, in welches Studio. Ich hätte ihr den Tätowierer meines Bruders empfohlen. „Wenn dich nicht stört, dass der Schalker ist.“ In den nächsten Monaten hätten Caro, Jan und ich uns angefreundet. Es hätte weitere Würste bei ihnen im Garten gegeben. Und selbstgebrautes belgisches Bier von Jacques von den Ultras.

Mi, 01.04. Ich hätte einen Text darüber geschrieben, was ich alles getan hätte, wäre die Vernissage nicht ausgefallen. Das wäre kein Scherz gewesen.

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