Der Autor

Ah, Autor? Wat für Autos machense denn? Kleiner Scherz. So, jetzt hier mal Schuhe aus, und Kleingeld aus den Hosentaschen. Rest könnense anbehalten. Ich leg jetzt einmal die Nadel, dann haben wir nachher keinen Stress. Weil, wennse dann auf dem Bauch liegen, dann komm ich nit mehr gut ran. Und wenn dann der Doktor sagt, man sieht nix, wir brauchen Kontrastmittel? Ja, dann stehenwa da.
Welcher Arm isset denn? Der linke? Schreibense mit dem? Na, dann brauchense den doch gar nit.
Ja, dat is mir schon klar: Ein Autor schreibt. Gebense mir mal den anderen. Da pieksen wir. Wo tut’s überhaupt weh? Außen? Da?
Brauchense keine Sorgen haben. Mit dem Ding hier findenwa alles. Dat läuft mit 1,3 Tesla. Gibt schon welche, die laufen mit 7. Dat is aber dann eher für Gewebe. Wir wollen ja auf den Knochen raus.
Wat sindse denn jetzt so blass? Mögense keine Nadeln?
Autor also, so so so. Krimi wahrscheinlich! Oder Fantasy? Les ich ja alles nit. Ich les nur Science-Fiction. Kennense dat? Aber nit so nen Asimov-Scheiß.
Entschuldigung.
Aber hab ich ein Mal probiert. Mach ich nit nochmal. Ich les richtige Science-Fiction. Philip K. Dick. Kennense den? DAT is ein Schriftsteller.
Legense sich mal hier hin. Genau. Und nit erschrecken. Ich zieh jetzt mal an ihnen. Hau ruck!
Da habense sich ja doch erschreckt.
Philip K. Dick also. Dat K steht für Gefahr, sag ich immer. Wennse mal schreiben können wie der, dann würd ich auch wat von ihnen lesen. Aber wennse aus Köln kommen, dann müsstense doch eigentlich singen, oder? Hab ich so dat Gefühl. In Köln singen immer alle. Kommen doch alle Bands da her. Is bestimmt wegen Karneval. Haben wir hier natürlich auch, Karneval. Aber nit so. Nit so.
Und wie gefällt es ihnen auf dem Land? Is mal wat anderes, oder? Klar, muss man mögen. Aber die Stille, sag ich immer. Die Stille!
Philip K. Dick also. Und Harry Potter. Dat les ich auch noch. Obwohl das kein Science-Fiction is. Wat hab ich immer gesagt: Geh mir weg mit dem Scheiß.
Entschuldigung.
Aber geh mir weg. Und dann hat mir das trotzdem mal eine angeschleppt. Band drei. Der lag dann da. Und nur Fernsehen is ja auch nix, sag ich immer.
Jetzt nit mehr bewegen, bitte. Geht ja auch gar nit. Den haben wir gut eingepackt, wa? Den Arm.
Und dann hab ich dat gelesen, Harry Potter. Und soll ich ihnen mal wat sagen? DAT hat Substanz. Hier, mit diesen, wie heißen die. Mit diesen Dementoren. Sowat kann man nitt schreiben, wenn man dat nit erlebt hat. Also, nit jetzt das Zaubern und so, schon klar. Aber die sind ja, also, dat is ein Symbol, ich sag mal, dat geht schon eindeutig so in Richtung: Depression.
Ich mach ihnen jetzt noch die Kopfhörer auf. Dat is, weils gleich ein bisschen laut wird da drin. Aber da müssense sich auch keine Sorgen machen. Wennse mal auf einem Höhner-Konzert waren. Dat is dat gleiche. Habense gehört? HABENSE GEHÖRT? Kleiner Scherz.
Wat schauense denn? Sindse nervös?
Ich geb ihnen gleich mal hier dat Bällchen. Da könnense drücken. Wenn wat is.
Ich bin ganz in der Nähe.

So! Dat waret schon. War nit so schlimm, oder? Kommense mal her, stehense mal vorsichtig auf. Kontrastmittel habenwa nit gebraucht. Wennse mich fragen, is dat eh nur eine Sehnenscheidenentzündung. Da hat der Arzt nur nit richtig hingesehen. Kommt vor, kommt vor. Is leider so.
Ich würd ihnen gerade mal noch die Nadel rausmachen. Schön drücken. Dat gibt nen blauen Fleck. Aber dat kommt an bei den Damen, dat sag ich ihnen. Besser als dat mit dem Geschreibsel, wa? War nämlich bei Philip K. Dick auch immer dat Problem. Wennse mich fragen. Deswegen hat der sich auch den Schädel weggekloppt mit Drogen aller Art. Na, fürs Schreiben waret gut. Aber glücklich geworden is der auch nit. Dat machense hoffentlich besser. Ich würd mich freuen, wenn ich mal wat lese von ihnen. Werdense mal berühmt!
Wat schwitzense denn so?
Is doch vorbei jetzt.

Mehr von Tilman Strasser

07:41 Uhr, Notaufnahme

Im Wartebereich der Notaufnahme sehen die Putzkräfte aus wie Krankenschwestern. Manch einer spricht die wischenden Frauen an, die Frauen nicken dann freundlich. Die Theke zur Anmeldung ist groß, sie dominiert den schmalen, um mehrere Ecken sich windenden Raum. Wartende sitzen mit dem Rücken zur Fensterfront und den Gedanken zur holzvertäfelten Schrankwand. Es ist noch früh, und nur die Ambulanz ist besetzt. Ab und an kommt ein Rettungssanitäter nach vorne, spricht mit der Frau an der Anmeldung.

„Schon wieder einer?“
„Wochenende halt.“
„Kann man nichts machen.“
„Isso.“
„Perso?“
„Besser: handschriftlich.“
„Kann ich nicht lesen.“
„Ja.“
„Moment. Den kenne ich. Der war schon mal da.“

Hinter einer milchigen Tür sind Rollen zu hören, dann eine laute Stimme: „Wir schneiden Ihnen jetzt die Hose auf, in Ordnung?“ Eine Stunde später heißt es: „Ziehen Sie bitte Ihre Hose wieder an“ und: „Ja, wie’s halt geht.“

Im Wartesaal sitzt man stoisch, ein Ehepaar weiß, wie. Sie hat eine Wasserflasche dabei, Kekse, die aktuelle Tageszeitung. Er wird im 20-minütigen Takt versorgt. Sie reden nicht, alles geschieht ruhig, wie selbstverständlich. Er trägt eine Steppjacke, darunter lugt auf der linken Seite ein Beutel hervor. Das Blut bildet lange, flüssige Fäden. Nach einer Weile schwabt es im Beutel, es wird die Toilette aufgesucht.

Ein Mann, Ende 30, stützt ein Mädchen. Sie hat Puschen an, sie sitzen nicht richtig. Der Mann sagt etwas von Klassenfahrt, Wasserkocher, verbrannt. Nachdem sie sich in die Wartereihe eingegliedert haben, holen beide ihre Smartphones raus, dann hebt er die rechte Hand nach oben, sie stecken die Köpfe zusammen, schauen auf zum Smartphone, formen Münder zu Schnuten.

Es kommen und gehen: verbundene Hand, gebrochenes Bein, ein Bänderriss und verbrannte Füße. Das Ehepaar isst Kekse. Eine Stimme im Radio liest immer wieder die gleichen Nachrichten vor. Die Putzkräfte sind weg. Eine der Arzthelferinnen gähnt. Auf dem Toilettenboden schwimmt das Blut.

Gegen 10 Uhr knallt es. Die Tür. Eine kleine, gedrungene Frau stapft in die Notaufnahme. Sie trägt einen schwarzen Rock, gepunktete Socken und schwarze Ballerinas. Vor sich hält sie einen Weidenkorb. Sie kann kaum über die Theke schauen.

Sie sagt: „Ich hab ne Erkältung, ich brauch Tabletten.“
Die Arzthelferin: „Bei einer Erkältung müssen Sie aber zum Hausarzt oder zum ärztlichen Notdienst.“
„Ich hab einen Termin bei der Kosmetikerin. Ich brauch Tabletten. Und Husten.“ Sie hustet leicht.
Die Arzthelferin will ihre Personalien aufnehmen: „Wo wohnen Sie denn?“
„Ja, da.“
„Wohnen Sie mit jemandem zusammen?“
„Mit Jesus.“

Die Frau will Flyer verteilen. Die Arzthelferin wehrt ab, von den Wartenden hebt keiner den Kopf. Die kleine Frau geht, wie sie gekommen ist: mit einem Knall.

Fünf Minuten später werden das Ehepaar und weitere Menschen durchnummeriert und in die Urologie geschickt. Das Wartezimmer hier ist kalt, hinter der Tür steht ein Reitgestell mit Sattel. „Ist ja auch irgendwie ein Witz“, sagt eine Frau und nickt zusätzlich in Richtung der Fotos, die an den Wänden hängen. Darauf zu sehen: fließende Bäche, gefüllte Flaschen. Eine weitere Frau stößt permanent auf, atmet laut und schwer, ruft entweder Yalla oder Allah oder beides.

Die Zeit vergeht minütlich, denn der Uhrzeiger klackt hier hörbar. Es riecht nach Urin und nicht geputzten Zähnen. Später wird es einen Bruch geben: Markttag in der Innenstadt, Herbstsonne, strahlende Gesichter, und Apotheker, die schwarze Sakkos tragen. Aber soweit ist der Zeiger noch nicht. 11:07 Uhr


>Warten<

Reiten in der Urologie – seltsamer Witz. ©mhu
Reiten in der Urologie – seltsamer Witz. ©mhu
Nichtstun. Eine Kulturanalyse des Ereignislosen und Flüchtigen“ (2012) heißt eine wissenschaftliche Arbeit der Ethnologen Billy Ehn und Orvar Löfgren. Im Kapitel „Warten“ steht einleitend:

„Wenn Menschen […] davon sprechen, wie sie das Warten erleben, dann klagen sie im Allgemeinen über dreierlei: erstens, dass es langweilig ist zu warten; zweitens, dass die Zeit, wenn sie gezwungenermaßen warten müssen, so viel langsamer vergeht als gewöhnlich; und drittens, dass sie das Ge­fühl haben, die Zeit vergeudet – ‚getötet‘ – zu haben.“

Mit der Angst im Nacken, etwas Gesundheitsgefährdendes zu haben, sein Leben aufs Spiel zu setzen, allein, weil man zum Stillstand gezwungen ist, ist meiner Meinung nach die schlimmste Form des Wartens. Man tötet nicht nur die Zeit, man tötet sich selbst. Aber darum geht es auch: Sich im Warten und in sich selbst nicht zu verlieren. Immer auch das Außen wahrnehmen. Selbst im Krankenhaus. Oder vielleicht gerade da.

 

Mehr von Melanie Huber