Lebendiges Wasser
9. September 2017
Ort: Gemen | Datum: Mi, 23.08.2017 | Wetter: sonnig, 24°C

Putten und Paradiesvögel. Rahmen mit üppigen Rundungen. Vergoldete Schnörkel. Spiegel in allen Größen und Formen. Lüster, Blumenvasen, Ziersäulen. Akkurat gefaltete Handtücher auf weiß-goldenen Haltern. Altmodisch wirkende Trockenhauben über den Waschbecken. Die Mitte des Raumes beherrscht eine massive antike Kasse. Zwischen weißer und goldener Pracht Rollhocker, Wasserhähne und Haarpflegeprodukte.
Mit Blick auf die schmale Straße schnippen die Scheren und rieseln die Haarspitzen.
Berno Rohring hat in den späten 1960er Jahren zunächst nur den Raum im Erdgeschoss gepachtet. Der Frisörmeister richtete hier seinen barocken Salon ein. Vor 15 Jahren kaufte er dann das denkmalgeschützte Haus, das nach dem Stadtbrand von Gemen ca. 1870 wieder aufgebaut worden war. Nach und nach renovierte er die anderen Räume. Dabei entdeckte er etwas, das den Stadtbrand überdauert hatte. Im Keller, zugeschüttet und vergessen.
x_Orte sind auf den ersten Blick oft nicht zu erkennen, werden aber mit wenigen Hinweisen im Dialog von Wissenschaft und Alltag sicht- und erklärbar.
Im zweiten Raum flackerndes Kerzenlicht. Hier wurde vor 15 Jahren die Mikwe entdeckt. Das rituelle Tauchbad ist nicht viel größer als das Loch im Boden, durch das wir eben gestiegen sind.
Das Wasser ist essenziell für die rituelle Reinigung.
Eine Mikwe muss von „lebendigem Wasser“ gespeist werden, erklärt mir Wilhelm Bauhus. Gesammeltes Regenwasser, Quellwasser, oder Grundwasser. Zur spirituellen Reinigung. Kein Wasser von außen. Auch kein warmes. Auch nicht im Winter. Wir sprechen hier leiser als oben im Salon. Das einzige kleine Fenster ist verschlossen, geht gen Westen. Zum Kleinen Hook hinaus. Zum Abendstern? Auf einer zweiten Empore hinter der Mikwe flackern Kerzen. Die Wasseroberfläche liegt still im Dunkeln. Ohne Spiegelungen.
Im Rahmen des Teil-Projektes x_Orte werden Wissenschaft und Alltag an weitgehend vergessenen Orten des Münsterlandes zusammengebracht. Wissenschaftlich, künstlerisch und kulturell aufbereitet, werden ihre Geschichten der Öffentlichkeit wieder in Erinnerung gerufen und zugänglich gemacht. Dabei arbeiten Wissenschaftler, Studierende, lokale Institutionen und interessierte Bürger im Sinne der Citizen Science zusammen.
Anhand von Ortserlebnissen werden aktuell Spuren jüdischen Lebens im Münsterland aufgearbeitet. Neben der Mikwe in Gemen werden im Rahmen des Projekts der jüdische Friedhof in Münster, der jüdische Friedhof in Darfeld, der Kibbuz in Westerbeck und die ehemalige Synagoge in Ascheberg einbezogen. In einer Ausstellung im Haus der Wissenschaft in Darfeld sind ab April 2018 diese x-Orte und ihre Geschichten zu sehen.