17:38 Uhr, Mülheim (Ruhr) Hauptbahnhof

Schwer wiegt die Welt im Septemberregen. Eilig klatschen Schritte über den Bahnhofsboden. Pfützenphonetik und onomatopoetische Abwägbarkeiten; schon der Sommer hat kein Geheimnis daraus gemacht. In der Schleuse zwischen Hauptbahnhof und Einkaufszentrum wird auf die Ausgänge gestarrt. Sichtbare Bedenken. Da jetzt raus? Manch einer wartet. Lehnt sich an die Wand in der Nähe der Tür. Schon stehen in einer Reihe, voneinander abgesetzt: Frauen und Männer. Ihre Blicke sind auf die Smartphones in ihren Händen gerichtet, kaum einer schaut auf. Ihre Gesichter spiegeln die Emotionen eines langen Tages. Vielleicht hier eine Nachricht, da eine Absage. Verhaltensweisen. Öffentliche Zelebration eines In-Sich-Zurückziehens; es regnet in Schüben, das passt gut. Wieder ein Schwung Feierabendpendler, beladen mit Rucksäcken und Sorgen, auf dem Weg zum Parkplatz. Oder zum Bus.

Ein Mann, schwarz gekleidet, kurzes, blondes Haar, läuft eng an den Wand-Menschen vorbei. In Höhe der Frau, die als letzte kurz vor dem Ausgang steht, hebt er seine Hand und zieht sie im Vorbeigehen durch die Leere zwischen ihrem Gesicht und ihrem Handy. Die Frau schaut überrascht auf, irritiert folgt ihr Blick der sich entfernenden Hand, dann sieht sie ihn an. Er sagt etwas Unverständliches, sie lacht, er geht durch die Tür, ist fast um die Ecke, bleibt dann abrupt stehen, dreht um, geht ins Bahnhofsgebäude zurück und positioniert sich in einigem Abstand vor der Frau, die bereits wieder auf ihr Smartphone schaut.

„Hallo?“, sagt er. Die Frau guckt auf. Er legt den Kopf zur Seite, sagt: „Krass. Du hast wirklich so schöne blaue Augen.“ Die Frau lacht, lauter und voller als zuvor, der Mann lächelt. Dann macht er kehrt, und kommt nicht wieder. Die Frau schaut sich um, steckt ihr Handy in die Jackentasche, löst sich von der Wand, steht gerade. Ihre Augen funkeln. 17:42 Uhr


>Mülheim (Ruhr) Hauptbahnhof<

Regentage. Oder: Mülheimer Romantik. ©mhu
Regentage. Oder: Mülheimer Romantik. ©mhu
Der Hauptbahnhof in Mülheim an der Ruhr ist ein seltsames Konstrukt. Man kommt an, und findet den Haupteingang nicht. Man folgt dem Strom der PendlerInnen und Reisenden, die auf das direkt anschließende Einkaufszentrum zu gehen, und man merkt erst gar nicht, dass man sich mit jedem Schritt aus dem Bahnhof entfernt, aber in eine Richtung, in die man eigentlich gar nicht will. Der Mülheimer Bahnhof war wohl schon immer klein, unscheinbar. Seine Bahnhofsgeschichte ist eine traditionelle.  Da nun aber im Verlaufen auch das Entdecken liegt, ist der Mülheimer Bahnhof ein wunderbarer Ort für EntdeckerInnen.

 

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