Ob die Buche weiß, dass sie sterben wird?

Das helle Holz der Buche leuchtet im Morgennebel. Kaum Äste trägt der Baum. Die Buche ist trocken geworden, sagt Rolf. Die kann man nicht einfach so fällen, das wäre zu gefährlich. Da braucht es eine Spezialtechnik, für die wir ein Anschlagseil den Hang hinaufziehen müssen. Mit einer Winde ist es am Rücker befestigt.

Rolf schleppt die Motorsäge, ein weiteres Seil um den Hals hängend („hält zehn Tonnen aus“), ich ziehe das Anschlagseil nach oben. Das wiegt 100 Kilo, hat Rolf gesagt. Ich ziehe 100 Kilo den Berg hoch, denke ich. Je höher es geht und je mehr Äste und Gehölz sich im Seil verfangen, desto schwieriger wird es.

Ich ziehe keine 100 Kilo hoch, denke ich. Rolf hilft mir, und wie auf einem Schiff ziehen wir im Gleichzieh das Seil nach oben, Rolf ungefähr 90 Prozent, ich 7. Die restlichen 3 schaffen es allein. Es ist kalt im Wald, aber ich schwitze schon aus allen Poren. Ich werde den Text gleich heute schreiben müssen, morgen werde ich Muskelkater haben. Vielleicht werde ich mir nicht einmal mehr ein Brot schmieren können.

Rolf sägt eine kleine Furche in einen Baumstamm, damit das zweite Seil, das um den Stamm geschlungen wird, besseren Halt hat. Das Anschlagseil wird durch den Schäkel Richtung Buche gezogen. Meine Muskeln zittern schon bei dem Wort ziehen. Das Seil ist nicht lang genug. Eckhard, fahr näher ran, ruft Rolf nach unten. Eckhard, der den Rücker bedient, muss mit dem Fahrzeug ein Stück näher an den Hang. Er wird in den Graben fahren, denke ich.

Eckhard fährt nicht in den Graben. Das Seil reicht jetzt locker bis zur Buche. Rolf schlingt es um den Stamm und befestigt es mit der Kralle. Dann sägt er die Buche an.

Wind und Wetter ausgesetzt

Manchmal, sagt Rolf, schaue er sich zum Spaß die Stümpfe gefällter Bäume an, um festzustellen, ob der Kollege sein Handwerk beherrscht hat. Die Bruchkante muss auf der richtigen Seite und in einer bestimmten Höhe angesetzt sein, damit sie wie ein Scharnier funktioniert und der Baum in die richtige Richtung fällt.

Ich stelle mich ein paar Meter entfernt, um Fotos zu machen, zumindest behaupte ich das, in Wirklichkeit habe ich Angst, dass mir der Baum auf den Kopf fällt. Ich trage zwar einen Helm mit Gesichtschutz, aber der hilft natürlich nur gegen die kleinen Äste und Zweige. Rolf sägt von zwei Seiten tief ins Holz hinein. Ob die Buche weiß, dass sie gleich sterben wird? Noch bevor ich auf Video drücken kann, fällt sie knackend und krachend um. Mir wird kalt ums Herz. Und ich bin irgendwie froh, dass ich das Fallen nicht aufgenommen habe.

Rolf neigt nicht zur Sentimentalität, aber auch ihm macht das großflächige Bäumesterben zu schaffen. Am meisten ist die Fichte betroffen. Und durch das Fichtensterben verlieren auch die Laubbäume den Schutz des Waldes und sind plötzlich Wind und Wetter ausgesetzt. Sie sind dafür gar nicht ausgerüstet, ihr Wurzelwerk ist entsprechend ihrer früheren Position gewachsen. Die Buche stand früher am Rande des Fichtenwalds. Am Schluss stand sie da, wo nur noch Stümpfe stehen.

Die Fichte, sagt Rolf, ist unser Brotbaum und trinkt einen Schluck vom mitgebrachten Cappuccino. Wir stehen um den Unimog herum und essen Brote und Kekse, die wir auf der Ladefläche ausgebreitet haben. Rolfs Frau Heidi und der Hund Otto sind auch vorbeigekommen. Otto betrachtet mich misstrauisch, befindet aber nach einiger Zeit, dass ich in friedlicher Absicht gekommen bin. Vor der Flurbereinigung, sagt Rolf, hatten viele Waldbesitzer „hier ein Stück, da ein Stück, da war eine Bewirtschaftung gar nicht möglich.“ In den 1970er Jahren wurden die zerstückelten Nutzflächen zusammengeführt und neu verteilt.

Die Stunde der Fichte hatte geschlagen.

Und die der Monokultur. Sein Vater hat die Babyfichten, die sich auf den Wirtschaftswegen zwischen den einzelnen Parzellen breitmachten, ausgegraben und in sein Waldstück befördert. Später haben Rolf und sein Bruder sich um die Fichten gekümmert. Und nun ist innerhalb nur kurzer Zeit ein Großteil des Waldes zerstört, Folge der drei heißen Sommer, die die Bäume ausgetrocknet haben.

Die Luft war schwarz vor Buchdruckern

Ein gesunder Baum wehrt sich gegen Schädlinge, indem er sie in Harz ertränkt. Doch wenn der Baum nicht genügend Flüssigkeit hat, um Harz zu produzieren, ist er den Angreifern ausgeliefert. Ganz schwarz sei im Sommer manchmal die Luft vor lauter Buchdruckern. Buchdrucker sind Borkenkäfer, die es vor allem auf Fichten abgesehen haben.

Wir fahren mit dem Unimog auf die andere Seite des Kamms, dort, wo ein Kreissägenkünstler Skulpturen aus dem Holz gesägt hat, seltsame Fabelwesen, Schlangen, die aus dem Wald kriechen, verwitterte Phantasiegesichter, aber auch ein Doppeldecker und eine Dampflok. Wir schauen auf den kahlen Hang jenseits des Othetals, der wie ein Krater aussieht. Am westlichen Teil des Kraters wurde bereits aufgeforstet. Viele Waldbesitzer, sagt Rolf, setzen heute auf die Douglasie anstelle der Fichte. Sie ist etwas robuster. Aber man habe mit dieser Bewirtschaftung überhaupt keine Erfahrung, und außerdem, wenn die Preise der Douglasie in die Höhe steigen, nimmt man eben doch wieder mit der Fichte vorlieb.

Am besten, sagt Rolf, macht man jetzt einfach mal gar nichts. Er habe das bereits an einem anderen kleinen Waldstück ausprobiert. Die Natur erholt sich und es siedeln sich im Totholz Insektenarten und Pflanzen an, die vorher nicht da waren.

Fahrt mit dem gelben Unimog (Baujahr: 1971) durch das Othetal

Rolf ist nicht nur Waldbesitzer, sondern auch Schlosser und Schweißer. In jungen Jahren hat er Leistungssport betrieben. Gewichtheben. Das beruhigt mich. Man braucht offenbar jahrelanges Training, um noch mit 68 Jahren 100 Kilo Seil fast mühelos durch den Wald ziehen zu können, während mir nach zehn Minuten schon die Oberarme brennen. In Bergneustadt, sagt Rolf, habe er ein eigenes Fitnessstudio betrieben. Aber das ist lange her. Heute arbeitet er ab und zu noch für eine Sägemühle, für die er Pfosten für die Zäune baut und manchmal konstruiere er spezielle Arbeitsgeräte, je nachdem was gerade benötigt wird. Der Chef lässt mich machen, sagt Rolf und seine Augen strahlen, wenn er vom Arbeitsgeräte-Erfinden erzählt. Wie beim A-Team, denke ich und kann mir Rolf gut vorstellen, wie er aus Unimog, Rücker und Seilwinde zum Beispiel ein Borkenkäfer-Abwehrsystem baut.

Bevor du fährst, klingel noch kurz durch, hat Heidi gesagt. Und das mache ich auch. Über den Gartenzaun reicht sie mir sechs Eier. Die sind von den Hühnern, die sie im Garten hält. Die sind sowas von bio, sagt sie, die essen, was wir essen. Zwei weiße Eier, zwei braune Eier, und zwei sind grün. Ich staune. Die hast du doch angemalt, sage ich. Sie lacht. Nein, sagt sie, Aracauna-Hühner.

Weiterführende Links zur Straße der Arbeit

Etappe IV von Gummersbach nach Eckenhagen – Versteckte Wege
Übersichtskarte (Sauerländischer Gebirgsverein, Bergisches Land)

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