Heiliger Medardus

Wenn der Schüler bereit ist, erscheint der Meister. Manchmal halt in Einhornform auf Klopapier  ©lka

 

Seit einer Woche liege ich mit einer Grippe flach. Hier eine Auswahl an Dingen, die ich verpasst habe:

  • das Mittelalterfest auf der Burg Altena
  • die Führung im Kloster Grafschaft
  • der  Mondscheingottesdienst
  • trinken mit Regionsschreiberin des Ruhrgebiets
  • der Spaziergang „Auf den Spuren jüdischen Lebens“ in Bad Laapsphe.

Was ich außerdem nicht tun konnte: Mich in Südwestfalen in spirituellen Unterfangen ausprobieren. Ich kann nicht fasten, nicht mit Südwestfalen sprechen, keine Kirchen besuchen und schon gar nicht pilgern.

Es sei denn, es gibt eine spirituelle Disziplin, die daraus besteht, vor allem zu liegen, Hörbücher zu hören, und alle paar Stunden mit tränenden Augen eine True-Crime-Doku auf YouTube zu schauen?
Ab und an arbeite ich ein paar Minuten fiebrig an einer Kurzgeschichte und habe langsam den Verdacht, dass man ihr auch anmerkt, dass ich fiebere. Andererseits: Betrunken schreiben kann jeder. Vielleicht ist unter Fieber schreiben mein Ding – aus dem Weg Sartres Amphetaminaffinität, Pollocks Trinkfreude, Nan Goldins Hang zu Heroin. Ich stelle vor: Fever Writing. Ist wie Action Painting, nur viel passiver.

Vielleicht ist es Zeit, Frieden mit meiner Grippe zu schließen. Mit mir, meinem Körper und seiner Unvollkommenheit. Vielleicht bin ich genau so gedacht. Und vielleicht kann Spiritualität dabei helfen, das zu verinnerlichen.

Dunkel erinnere ich mich an ein Werbe-Video der Mormonen. (Die Heiligen der Letzten Tage sind eines meiner Hobbys und üben eine Dauerfaszination auf mich aus – auf meiner To-do-Liste steht weit oben, südwestfälische Mormonen zu kontaktieren.)
Ich suche auf YouTube das Video, über die Geschichte einer wunderschönen Ballerina-turned-Designerin, die mit Gottes Hilfe eine schwere Krankheit durchstanden hat und mich daran erinnert, dass mein Wert nicht an meiner Fähigkeit hängt, Dinge zu leisten. Auch wenn ich manchmal gar nichts leisten kann.

Ich liege still und atme ruhig. Ich höre dem Regen zu. Ich bitte den heiligen Medardus, den Schutzheiligen der Fieberkranken, mein Fieber zu senken. Ich höre in Dauerschleife Leon Bridges’ River und denke über Erneuerung nach und über Gnade.
Ich schlafe weiter.

Nachtrag:

Medardus ist auch Schutzpatron der Stadt Lüdenscheid. Mehrere gewitzte Lüdenscheider haben mir schon verraten, dass die Lüdenscheider ihre Stadt gerne scherzhaft „Regenscheid“ nennen und ich, eine Stadt weiter, in Altena, kann diese Einschätzung nur unterschreiben. Es ist nass im märkischen Kreis. Ich habe mal paar Monate in England verbracht und kann mich nicht erinnern, dort soviel Regen erlebt zu haben.
Da passt es gut, dass der heilige Medardus auch Schutzpatron der Schirmemacher ist und nicht nur bei Fieber, sondern auch bei Regen um Hilfe angerufen wird.
Dass Medardus für Regen verantwortlich ist, ist anscheinend so offensichtlich, dass es in verschiedenen Ländern eine Art Siebenschläferregel zu seinem Gedenktag, dem 8 Juni,  gibt: „Wenn es an Medardus regnet, wird es 40 Tage nass“, wissen die Tschechen. Und die Lüdenscheider sowieso.

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