April in Zülpich (I)

Ich habe Felicitas an der Landstraße im Kreis Euskirchen aufgelesen. Eine Tramperin. Globetrotterin. Ich schätze sie auf Mitte 50.
„Seit wann machst du das?“
„Reisen?“
Ich nicke.
„Da warst du noch gar nicht geboren.“
Dass sie über alles recht gut bescheid weiß, merke ich schnell. Später wird sie mir erzählen, wie die Kinder in Kanadas Osten mit dem Gartenschlauch Wasser in den Hinterhof lassen, um Eishockey zu spielen. Wie weiß gestreifte Affen den Arbeitern in einer südafrikanischen Mine das Werkzeug stehlen. Sie kennt die wahre Geschichte des Rattenfängers von Hameln. Felicitas war dabei.

Heute möchte sie nach Rom. Piazzale del Faro. Ob sie dann jetzt einsteigen könne. Alles klar, sage ich. Ich fahre zwar nur bis Zülpich. Aber soweit kann ich dich mitnehmen. Grinsend sitzt sie da schon neben mir. Durch Zülpich verliefen die alten römischen Straßen. Von da aus dürfte es dann leicht zu finden sein. In mein Navigationsgerät gibt Felicitas ein neues Ziel ein. Diesen italienischen Leuchtturm? Mit drei Fingern streift sie ihr Haar hinters Ohr. Es ist eigentlich viel zu kurz dafür. Falten scheint sie vor allem vom Lachen zu haben. Der Apparat schlägt vor: Zülpich, Wassersportsee, Wohnmobilhafen? Felicitas bestätigt. „Da können wir Pause machen. Einen Espresso trinken.“ Sie klopft auf den kleinen, hellblauen Gaskocher, der an ihrem Gürtel hängt.

Auf einer schmalen Straße führt uns das Navigationsgerät über eine Kuppe. Dann fahren wir durch ein Stadttor. Es sieht nach Mittelalter aus. Dahinter geht es nicht weiter. Der Asphalt liegt offen wie eine historische Wunde. Mit dem Auto kommen wir da nicht durch. Meine Beifahrerin steigt aus, um sich ein Bild zu machen. Sie stemmt die Hände in die Hüften. Aus dem Absperrzaun und ein paar Steinen könnten wir eine Behelfsbrücke bauen, ruft sie mir zu. Und hat schon damit angefangen. Ich wende. Felicitas mosert, aber steigt wieder ein. Wir fahren zurück. Es wird ja noch einen alternativen Weg geben zu diesem Wohnmobilhafen.

Wir halten auf eine Fabrik zu, die Sportbekleidung herstellt, wie Felicitas weiß, als die Stimme aus dem Navigator uns eine geänderte Wegführung vorschlägt. Es geht durch ein Wohngebiet, in dem vor den Türen die Mülltonnen quillen. Ein gelber Sack flattert im Wind. Vögel in Vorgärten zwitschern. Ein Kind malt mit grüner Kreide Linien auf den Gehweg. Daneben schreibt es: „Abstand 1,50m.“ Nach einem Zickzack zwischen Garagen und Gärten hindurch endet der Weg wieder vor dem Stadttor. Dem mit dem Loch in der Straße.

Dritter Versuch. Felicitas schlägt meinem Navi vor, einen Umweg zu wählen. Landstraße über Merzenich. Motorradfahrer, die uns überholen. Spargel, der unter dunklen Planen auf seine Ernte wartet. Ich gebe mehr Gas. Dann blitzt plötzlich etwas Metallisches auf, das auf der Straße liegt. Gerade jetzt kommt uns ein Traktor entgegen, eine Yamaha will überholen. Ich bremse. Ich weiche aus. Wir landen im Gemüse. Felicitas krempelt die Ärmel hoch. Sie geht auf der Straße nachschauen. Sie hebt etwas auf. Kopfschüttelnd kommt sie zurück mit einer Maurerkelle in der Hand. Mit Mühe schieben wir den Wagen zurück auf die Straße. Nach einer Dreiviertelstunde führt uns die Route zum Stadttor mit seiner Baustelle. Felicitas lacht. „Alle Wege führen nach Zülpich.“ Fast feierlich klingt es, wie sie das sagt.

Ich beschließe, das Navi auszuschalten und fahre jetzt parallel zur Stadtmauer. Einmal um Zülpich herum. Irgendwann wird man ihn ja sehen, diesen See mit seinem Wohnmobilhafen. Laut Satellitenkarte muss er sich genau auf der anderen Seite des Ortes befinden. Baumkronen rauschen. Steinchen springen weg unter den Reifen. Wir passieren ein Waldstück. Fragen einen Spaziergänger, dessen Labrador sich auf den Weg gelegt hat. Der Mann schlägt uns vor besser zu wenden. Felicitas sagt danke und schließt das Fenster. Wir nicken uns zu – und ich fahre dann geradeaus weiter. Nach einer Weile, hinter einem Ortsausgangsschild, stoßen wir schließlich auf Spuren. Sie könnten von den Römern stammen. Oder von einem Camper, meint meine Beifahrerin. Und dann leuchtet da unter einer Pappel ein weiteres Schild, mit einem Symbol. Einem Wohnwagen. Felicitas wird schon euphorisch. Fängt an, Gianna Nanini zu singen. Ich biege in den Weg mit dem Wohnwagenpiktogramm ein. Wie ein Mittelscheitel führt er über einen Acker. Die Sonne neigt sich schon hinter den Bäumen.

Die Masten der Segelboote sind Strompfähle. Der Leuchtturm ist eine katholische Kirche. Anstelle des Wohnmobilhafens am See sitzen wir auf dem Parkplatz eines Anhängerverleihs und blicken auf ein Rapsfeld. Der Wind treibt Wellen durch das Gelb. In der Sonne, die untergeht, glänzen sie. „Ich mache die Orte“, erklärt mir Felicitas, „zu meinen Sehnsuchtsorten.“ Sie dreht ihren hellblauen Gaskocher auf.

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