21:51 Uhr, Essen PACT Zollverein

In den Mulden liegen Seifenreste, fein trapiert für Staunende. Sauberkeit als sinnliches Moment, weißkachelige Emotionen – ein Ort für Menschen ohne Makel, weiche Haut und fließenden Bewegungen. Im Aufführungssaal wird Kontrast gewollt: absolute Dunkelheit, bizarre Schreie, Reenactement am fremden Leib. Eine Verausnahmung des Körpers, des Frauseins, der Witz damit und Brüste, die, schmerzhaft rotierend, Bezüge aushebeln wollen – aber so ganz gelingt es nicht; selbst darin sind die Menschen schön.

Der Weg nach draußen wird fast zur Flucht, eine Flucht aus dem ästhetisch Perfekten, aus der weißfarbigstrahlenden Reinheit. Einkacheln könnte man sich hier, der Wille ist stark, die Umgebung natürlich – aber man selbst? Schweiß, Schmutz, schwarze Gedanken. Was auf der Bühne heraufbeschworen werden wollte, wird nie wirklich ankommen in dieser Welt, nur noch namentlich bekannt als Waschkaue. Die Reinkarnation ist bereits vollzogen, egal, wie oft Canaille gerufen wird.

Wie traurig das Aufatmen nach dem Verlassen des schönsten Ortes, die unbedingte Suche nach dem alltäglichen Kontrast. Der auch eintritt, unmittelbar: In einem matt-grauen BMW vor dem Eingang sitzt ein Mann, der bei heruntergelassenem Fenster Clubmusik hört, dabei nervös mit dem Kopf wippt, während – filmisch perfekt – weitere sechs Männer um die Ecke kommen, Bauarbeiterhelme und Sicherheitswesten tragen, und an dem fein gekleideten Premierenpublikum vorbeigehen. Niemand schaut, jeder ist für sich in seiner Gruppe und doch berühren sie einander. Das ist Schönheit. 21:58 Uhr


Waschkaue

Umkleide- und Waschraum auf einer Zeche. In der Regel besteht eine Waschkaue aus zwei etwa gleich großen Räumen, der Weißkaue und der Schwarzkaue. In der Weißkaue kam die Straßenkleidung der Bergleute unter, in der Schwarzkaue die Arbeitskleidung. Entsprechend kann man sich den Sauberkeitsgrad der Körper der Bergleute (vor der Schicht, nach der Schicht) vorstellen.


>PACT Zollverein<

Das choreographische Zentrum in der ehemaligen Waschkaue von Zeche Zollverein: PACT Zollverein in Essen. © Axel Hartmann
Das choreographische Zentrum in der ehemaligen Waschkaue der Zeche Zollverein: PACT Zollverein in Essen. © Axel Hartmann
Seit Anfang der 1990er Jahre wird die ehemalige Waschkaue der Zeche Zollverein als Aufführungsort für zeitgenössischen Tanz genutzt. Es ist das choreographische Zentrum NRWs, und das merkt man auch. Toller Ort, tolle Atmosphäre – und gute Stücke. Bei meinem Besuch habe ich die Uraufführung aus der Monument-Reihe von Eszter Salamon gesehen: „Monument 0.5: The Valeska Gert Monument„, eine historisch-empirische Aufarbeitung des Lebens der avantgardistischen Tänzerin und Kabarettistin Valeska Gert (1892-1978). Foto Titelbild: Ursula Kaufmann

 

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Wie Kiezgrößen entstehen – Eine Gebrauchsanweisung

Nimm ein Viertel, nicht groß. Ein Viertel kann schon eine Straße sein. Das ist legitim, ist mir mehrfach untergekommen. Wer das Ziel hat, schnell Bekanntheit zu erlangen, der suche sich am besten ein Ein-Straßen-Viertel. In der Straße sollte man aber nicht wohnen. Man hat ja nicht immer Muße, erkannt zu werden. Eine Wohnung in einer Nebenstraße ist oft günstiger und verstärkt das Mysterium um einen selbst (wo wohnt er/sie bloß?) und damit – natürlich – den Bekanntheitsgrad.

Wichtig ist es, so schnell wie möglich andere Kiezgrößen ausfindig zu machen. Den Kontakt sollte man nicht scheuen, es geht um alles. Und dann geht es auch erst mal so: Andocken, integrieren, absorbieren lassen. Dabei sein, also oft. Sich aber auch rar machen. Nicht zu oft, aber oft. Empfehlenswert ist es, sich in zeitlichen Schüben zu zeigen: Mal eine Woche täglich, dann wieder Tage nicht mehr. Zu Veranstaltungen oder Kneipeneinladungen erst auftauchen, wenn die anderen bereits angeheitert, aber noch nicht allzu betrunken sind. So entstehen Freundschaften, das hat etwas mit Spatien zu tun. Das ist lateinisch und bedeutet Zwischenräume. Kommt nicht von mir, hab ich mir von einem Freund geliehen. Was den Sympathiewert erhöht: Wortschatz des anderen annehmen. Aber: nicht alles. Gerne auch mal ironisch brechen, aber nicht übertreiben. Gleiches gilt für das Angehen gemeinsamer Projekte: Entgegenkommen, zum Teil. Dann klar formulieren, was man will. Dann machen.

Für den Nervenkitzel und vor allem für den eigenen Spaß: Improvisationsmomente zulassen. Nicht alles durchdenken, nicht alles verplanen. Dinge passieren lassen. Vom Hörensagen leben, das kommt dann schon.

Die anderen Kiezgrößen nicht verdrängen. Man lebt in friedlicher Koexistenz, eine Unterscheidung in den Künsten ist zu empfehlen. Nicht das gleiche machen wie die etablierte Größe. Was auch immer die jeweilige Kiezgröße so Besonderes kann, das kann nämlich alles sein. Von der Marke „verkannter Musiker“ über „verkannter Kunstlehrerkünstler“ bis hin zum Viertel-Juristen, der aussieht wie ein französischer Schauspieler und auch so guckt und der auch noch genauso leger über die Straße läuft in seiner ockerfarbenen Bluson-Jacke und diesem melancholisch-kecken Ausdruck in den Augen und seinen Haaren und … Nun gut.

Man sollte in jedem Fall genau beobachten und dann: was zusammen machen. Funktioniert nicht immer mit dem Wunschkandidaten, aber man sollte am Anfang nicht wählerisch sein. Das gleiche gilt für Straßen-Bekanntschaften: Alle Menschen grüßen, die man kennt und an einem im Viertel vorbeilaufen. Kurz quatschen. Drei Minuten aber maximal, dann weiter.

Das alles durchziehen für eine x Zeit, dann aber auch wissen, dass man gehen muss. Auch, wenn es schwer fällt. Sehr schwer. Zum Heulen schwer.

Je Viertel schaffen es immer nur ein bis zwei Kiezgrößen auf Dauer. Man kann davon ausgehen: Man selbst ist es nicht. Deswegen: fluktuieren, andere Viertel finden. Noch mal von vorne anfangen.

Bis dahin, eigene Erfolge wie folgt feiern:

den Kleidungsstil ändern, leicht aber nur. Bloß nicht zu viel. Das gleiche bei Bewegungsabläufen, Mimik und Gestik. Menschen in die Augen schauen. Scham ablegen. Draußen essen. Alleine unterwegs sein. Promenieren, im wörtlichen Sinn. Lesen. Schweigen.

Und: sich in Ruhe anschauen lassen.

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03:16 Uhr, Handy Lampe Boden

Keine Erinnerung verdrängt die Nacht.

Es regnete, und es regnete nicht. Feuchte Paletten und beige-braune Duschvorhänge vor Klospülungen, derbe Wassermotive. Aus den Containern elektronisches Wummern. In der Handynotiz steht „03:16 Uhr Handy Lampe Boden“. Es muss eine Geschichte dazu gegeben haben. Sie wurde mit der Notiz auserzählt. Ich möchte sie füllen, mit weiteren Notizen, bei denen es keiner weiteren Ausführung bedarf.

Etwa Stunden zuvor in der Kokerei Zollverein. Literaturgestalten bei Burger und Bier. Auf 23:34 Uhr terminiert, der Eintrag:

Gegenüber von Robert Menasse sitzen und Robert Menasse nicht erkennen, sich aber fragen, warum der Mann ein Buch von Robert Menasse vor sich liegen hat. Kurze Zeit später darauf hingewiesen werden, dass es sich bei dem Mann um Robert Menasse handelt. Robert Menasse aus Höflichkeit fragen, wie seine Veranstaltung war. Auf seinen Satz: „Woher soll ich das wissen? Das kann ich ja schlecht einschätzen“ antworten: „Also bitte, haben Sie denn keinen persönlichen Eindruck?“ Eine Schriftstellerfreundschaft wird das wohl eher nicht.

Vorgespult, Tage später, Nachtrag:

22:28 Uhr Als ich einmal Robert Menasse traf, den ich nicht als Robert Menasse erkannte und der dann drei Tage später mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde.

Zurück zur Nacht:

04:45 Uhr Die rechte Hand hebend, Handinnenflächen, -außenflächen im Wechsel drehend, seltsamer Move, ist das schon politisch? Der Boden hart wie Stein und Krümel von Zerbrochenem

Absatz (wahrscheinlich auch zeitlich):

Nebel, Rauch, plötzlich wieder Gesagtes

Und gestückelt, in den Wochen zuvor (Auswahl):

21:40 Uhr Dauergeweitete Pupillen und zorniger Zynismus

08:57 Uhr Nach drei Monaten alles sehen wollen, laufe ich nun an den Dingen vorbei.

22:56 Uhr Hornby sitzt mit BVB-Schal da, halb Jubel-, halb Buhrufe, Typ neben mir schläft, zu viel Fußball, Arsenal, obsessions or passions, Have you a clue about women now?, Hornby, der „Männererklärer“

21:25 Uhr Ab Dortmund: Iserlohn, 17:23 Uhr Gleis 3 oder ab Gelsenkirchen: 16:29 Uhr, Gleis 6, umsteigen in Dortmund auf den 17:23er. Zurück: 21:51 oder 22:51. Klempner anrufen

17:24 Uhr Eving, Brechten, Brambauer: Je weiter es raus aus dem Dortmunder Stadtgebiet und rein in die einst angelegten Arbeitersiedlungen geht, desto mehr Menschen stehen an offenen Fenstern. Postindustrielles Romantik-Motiv?

Ist postindustriell der richtige Begriff oder klingt es nur gut?

14:44 Uhr Wenn du dich an einen anderen Ort wünschst: Wer willst du dort sein?

21:55 Uhr Rosa Kotze

20:26 Uhr … und dann erschüttert es mich, dass es dunkel ist draußen.

21:51 Uhr – ist, glaub ich, Fußball, kein Sex

 


>Die Katze Erinnerung<

Nachts; Hof. ©mhu
Was war und was ist? Und was will Wirklichkeit? Manchmal ist es auch gut so. Für den Rest gibt es die Notizfunktion im Handy.  ©mhu

 

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19:03 Uhr, lit.ruhr VA29

Das Gefühl ist groß, Bewegungen bleiben eingeschränkt, verzweifelt quillt die Emphase aus den Augen der Gedrängten. Noch im Rausch der Überhitzung wird Zorn gekauft, wie viel, wie viel, jetzt sagen Sie doch mal: wie viel? Aufregung sticht in den Fingern – da! Einband gerissen, ach, ärgerlich. In solchen Momenten gehen Leben zu Grunde. Schieben, warten, halten. Sitzt da Baselitz? Wo ist Kluge? Ich hab hier ’nen Kunstdruck, schon lange, den müssen Sie mir signieren!

Base
litz

Auster
litz

Die Litze. Geht es auch um Helden, Tyrannen, Übermenschen? Um die „Stunde, in der das ‚Ich‘ entsteht“?* Ach nein, um Schmutzseiten, vielleicht.

Heute fühlt es sich anders an. Papier, Geduld und das Buch nah am Herzen. Kluge?
Alte Körper drücken weich, das Stehen im Pulk ist ein unabweislicher Kommentar auf die Menscheitsgeschichte.
Etwas fällt, Köpfe senken sich. Nach unten.
Von unten.
„Strategie von unten“?**

Unten ist der Boden so nah, da ist der Boden Boden aus sich heraus.

„Ich wusste immer, dass es Sie gibt“, hat er zu ihm gesagt, die Hände gedrückt, dann den Zeigefinger gehoben: jetzt Puccini, jetzt Seite 96, jetzt. Aber jetzt steht er in der Tür, will nach links, wird nach rechts geschoben, sanft. Der Blick wirkt verwaschen, in Gedanken an das gerade Gewesene. Geräuschlos setzt er sich neben den routiniert signierenden Künstler. Ein Automatismus, dem Kluge noch nicht beigekommen ist. Kurz wird hier unterschrieben, dort. Eigentlich gehört er nicht an diesen, er gehört an einen Schreibtisch, einen Arbeitstisch. Umgeben von Büchern, Zeichnungen, Notizen, Musik. „Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.“

Wir schauen uns an,
wir sind uns nicht sicher.

Momente, die vergehen. Momente, die bleiben. Ich nehme einen Namen mit. 19:07 Uhr

 


*Kluge, Alexander: Die Stunde, in der das ‚Ich‘ entsteht. In: Alexander Kluge: Das Labyrinth der zärtlichen Kraft. 166 Liebesgeschichten. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, 2009. S. 23f.

**Kluge, Alexander: Der Luftangriff auf Halberstadt am 8. April 1945. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, 2008.

„Das Problem ist, daß uns eines von Fontane trennt, neben dem vielen, was uns von ihm überhaupt nicht trennt: und das ist eine Radikalisierung aller Zeitverhältnisse. Fontane hat z.B. Bombenangriffe, die manchen Berlinern ja noch wohl in den Knochen liegen, nicht gekannt. Es gibt da, wenn man es bildlich ausdrückt immer zwei Strategien. Eine Strategie von oben und eine Strategie von unten. Über die Strategie von oben hat Clausewitz einiges geschrieben. Das ist die Strategie, die das Bomberkommando hat; und das hat ja auch die Mittel dazu. Was eine Frau mit zwei Kindern unten im Keller als Gegenwehr dagegenzusetzen vermag, das wäre Strategie von unten.“

>> Link zum Zitat
>>> Ein weiterer Link zum Thema „Strategie von unten„, wahllos gewählt.


>Alexander Kluge und Georg Baselitz auf der lit.ruhr<

Enkidu und Gilgamesch (2. und 3. von links). ©mhu
Enkidu und Gilgamesch (2. und 3. von links). ©mhu
Die Veranstaltung 29 (VA29) mit dem sperrigen Titel „Weltverändernder Zorn. Nachricht von den Gegenfüßlern. Alexander Kluge trifft auf Georg Baselitz“ des in erster Auflage ausgeführten internationalen Literaturfests lit.ruhr war einigermaßen gut besucht, was in Anbetracht der Tatsache, dass sich auf der Bühne im Museum Folkwang in Essen Urgesteine der jüngsten Kunst- und Kulturgeschichte befanden, für mich nicht ganz nachvollziehbar war. Einmal Alexander Kluge live erleben, das sollte man nämlich. Und Georg Baselitz ist auch ganz interessant. Ihr gemeinsames Buch heißt im Übrigen genauso wie die Veranstaltung und ist bei Suhrkamp erschienen. Und bis 7. Januar 2018 gibt die Ausstellung „Pluriversum“ Einblicke in die Arbeit von Kluge.

 

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17:11 Uhr, Gasometer Oberhausen

Drei Mal rufen sie den Namen, drei Mal rufen sie „L’Osteria“, laut, schnell, überspitzt, und es klingt, wie eine Beschwörung, ein Zauberspruch, dessen gewünschte Wirkung unmittelbar nach dem Gesagten eintritt. Allein: Sie tritt nicht ein. In Oberhausen gibt es kein L’Osteria – sagt die Mutter. Google sagt etwas anderes, die Jüngste unter den vier Geschwistern wird von ihrem Smartphone kalt angestrahlt, ihr Gesicht wirkt ätherisch, aber gegen die Mutter ist kein Ankommen. Entweder man müsse nach Bochum oder Herne oder eben nach Hause. Am besten nach Hause, zu Hause gäbe es noch Eintopf. Aber erst einmal soll es da rauf.

Bis 17:45 Uhr sei das noch möglich, ist auf einem Schild zu lesen, die Warteschlange vor dem Panorama-Aufzug sieht länger aus. 15 Personen passen in den Glaslift, weil man die meisten Kinder aber anscheinend nicht als ganze Personen wertet, werden es bei jeder Fahrt mehr. Platt drücken sich die Kleinen die Nase an der Aufzugsscheibe. Unter ihnen liegt die Welt, Eiskappen schmelzen und Blitze kündigen die nächste Matrix an. Ein Erdzeitalter dauert zehn oder 15 Minuten, in jedem Fall wird der Globus, der die dritte Ebene der Ausstellungshalle dominiert, in regelmäßigen Abständen grau, dann bilden sich Raster und die Erde entsteht neu. 120 Meter ist der Gasometer hoch, der Panoramalift steigt und mit ihm das mulmig-erhabene Gefühl des gleichzeitigen Klein- und Großseins.

Dieses atmosphärische Heraustreten aus der Welt: Sie ist intendiert. Es ist der Abschluss einer Zufriedenheit, die einen befällt, sobald man den Gasometer betritt und sich einreiht in den Rundgang, der wirklich rund ist, der zentrisch durchschritten werden muss, wie ein abgehbares Mandala, im Halbdunkel Menschen, Tiere, Bäume und Organismen mit den Augen sammelt und den Sinnen. Und irgendwann auch gar nicht mehr weiß: War ich schon hier? Oder dort? Alles geht auf Eindruck, auf Welthaltigkeit und auf ein Verständnis von Schönheit, das durch Vollkommenheit besticht –  und gleichzeitig nichts in Frage stellt.

Gut, dass es dann noch ein Oben, ein Außen gibt. Auf dem Dach des Gasometers haben Tränen eine andere Bedeutung, und der Blick auf das Freizeitareal, das die Stadt „Neue Mitte“ genannt hat und das selbst an Sonn- und Feiertagen Flaniermeile für die Oberhausener*innen ist, holt einen wieder runter – in den Kommerz und den dazugehörigen Freizeitgestaltungsgedanken.

„Gibt es den Benjamin-Blümchen-Park eigentlich noch?“, fragt ein Junge. „Ich glaube, der wird gerade umgebaut“, antwortet der Vater. Sein Kopf steckt zwischen Gittern, sein Blick geht über das Centro, das Legoland, über die König-Pilsener-Arena. Im November wird es dort eine Schlagerparty geben. Beim Hinabsteigen ist es also ratsam, in Mandalas zu denken. 17:48 Uhr

 



>Gasometer Oberhausen<

Hinter Bahngleisen, die auch als Busstrecke genutzt wird: der Gasometer. ©mhu
Hinter Bahngleisen, die auch als Busstrecke genutzt wird: der Gasometer. ©mhu
Der einst größte Gasbehälter Europas mit der bis November andauernden Ausstellung „Wunder der Natur“ steht im ehemaligen Industriegebiet von Oberhausen – die „Neue Mitte„. Kommt man am Hauptbahnhof in Oberhausen an, ist der Weg dorthin ein einfacher: Alle Busse und Straßenbahnen Richtung „Neue Mitte“ halten an Bussteig 1. Wenn man den Bus nimmt, geht es über Gleise ratternd zum 2,5 Kilometer entfernten Gelände, auf dem man gefühlt wirklich alles machen kann: Flanieren, einkaufen, Tiere sehen, andere Länder bereisen, (Industrie-)Kultur erfahren, Musicals besuchen, ins Kino gehen, zu viert auf Parkbänken sitzen und über das Leben sinieren, erste Dates haben oder schon das dritte und rutschen. So viele Rutschen. Und genau so habe ich mir Oberhausen auch vorgestellt, liegt aber wahrscheinlich auch an dem gleichnamigen Song der Missfits. Und daran, dass der „Strukturwandel“ hier so konsequent umgesetzt wurde, dass man sich wirklich ein bisschen wie im Freizeitpark vorkommt.

 

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05:36 Uhr, Nacht, die nicht zu Ende geht

Der Schlaf ist gegangen, vor Tagen schon. Er ist gegangen, und mit ihm die Kalauer, Revierwitze, Oberflächenkontakte und das konzeptionell bedingte Gefühl der Stärke. Zwischen den Lidern krabbeln enttäuschte Erwartungen. Ihre Lederhäute tragen Dornen, fortwährend gebären sie abgenutzte Metaphern, gewagte Traumräume. Ein verschämter Blick durch die Tür: Die Statik stimmt nicht, es würde schmerzen, zu sehr.

Bleiben, wo man ist?
Kastanienschutz.
Die Stadt wird gelbrotbraun – grau, saisonbedingt. Und weil es dazu gehört, ist es schon da, dieses Gefühl des Bereuens: falsche Entscheidung, falsche Form.

Schon kommt die Krähe, Vorbote eines inneren Krieges.

Mächtig fliegt sie durch die Straßen, im Schnabel: altes Glück. Sie lässt es fallen, hebt es auf, steigt höher. Die Kastanie knallt hart, auf Autodächer und Gestein, so oft, bis die Fruchthülle bricht und die Krähe spitz in das Weiche hackt.

Und hackt.
Und.

Nacht, die nicht zu Ende geht. Stadt, die keine andre wird.
Verletzte Augen und plötzlicher Trotz. Statik hin oder her, rein da! Jetzt.

Und dann: Sonne.
Sonne, die durch einfach verglaste Fenster dringt.
Warm und offen. Körper, die beieinander liegen, und von draußen herbei gewehte Akkordeonmusik, Kaffeegerüche, Halbsätze, zart.

Ein Versprechen, aber auch:
eine nicht ganz durchdachte Metapher, verkitscht, romantisiert.
Und überhaupt: Fenster als Sehnsuchtsmotiv, jedes Mal, so ermüdend. Man müsste erblinden, um diese Schwelle noch übertreten zu können.

Oder endlich einmal den Mut aufbringen, ich zu schreiben. 06:05 Uhr


>Stendhal-Syndrom<

„Als Stendhal-Syndrom werden gewisse psychosomatische Störungen bezeichnet, wenn diese im zeitlichen Zusammenhang mit einer kulturellen Reizüberflutung auftreten. Zu den Symptomen zählen Panikattacken, Wahrnehmungsstörungen und wahnhafte Bewusstseinsveränderungen.“
Bekannteste Städte-Syndrome: Paris-Syndrom, Jerusalem-Syndrom. Und jetzt neu: Pott-Syndrom.

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