Der Arbeitsvorbereiter (Teil II)

Mein Radius ist nicht besonders groß, sagt Marc, der im Nachbardorf geboren und in Müllenbach aufgewachsen ist und immer hier gelebt und immer hier gearbeitet hat, der hier geheiratet hat und hier wohnt mit seiner Frau. Bereits seine Eltern und Großeltern waren in Müllenbach verwurzelt. Marcs Leidenschaft ist Geschichte, die Weltgeschichte wie die regionale Geschichte, was auch ein bisschen damit zu tun hat, dass sein Nachbar Manfred Berges war, ein Historiker. Der hat sich wie Harry Böseke für das Bergische Land interessiert und zu verschiedenen Themen geforscht. An einem Ort verwurzelt sein, schließt Neugierde und Weltoffenheit nicht aus.

Ohnehin kommt die Welt von selbst ins Bergische. Schon in Harry Bösekes Buch über die Bergische Eisenstraße kann man eindrucksvoll nachlesen, wie die Arbeit in der Region immer auch von Migranten geprägt war. In den Gruben arbeiteten bereits im 19. Jahrhundert Fachkräfte aus Italien, die technisch versierter waren als die hiesige Bevölkerung, die meist aus der Landwirtschaft kam. Auch Marc hat in seinem Unternehmen mit Menschen aus aller Welt zu tun. Sein Chef sitzt in Illinois, USA, er hat Kollegen, die von Dänemark, Norditalien oder Polen aus zu Videomeetings zugeschaltet sind.

Wo Atomsprengköpfe lagerten

Brucher Talsperre

An der Brucher Talsperre machen wir Pause, trinken Wasser und Tee und essen unsere mitgebrachten Brote. Viele Sonntagsspaziergänger haben das schöne Wetter genutzt und spazieren gemächlich um den See, Marc trifft einen alten Schulfreund, man grüßt sich. Die Talsperre ist künstlich angelegt, vorher soll hier eine Mühle gewesen sein. Das Oberbergische, sagt Marc, war das Ruhrgebiet des Mittelalters. Man muss sich die Gegend so vorstellen, dass eigentlich an jeder Ecke eine Mühle war, wo Werkzeug, Schießpulver und Textilien hergestellt wurden. Die wurden auch mit Wasserkraft angetrieben. A propos Schießpulver: Es gab sogar eine Zeit, sagt Marc, da waren in Marienheide atomare Flugabwehrraketen stationiert. Im Ernstfall wären die US-Atomsprengköpfe auf die Raketen montiert worden.

Die Sprengköpfe lagerten da aber nicht, oder, sage ich. Doch, sagt Marc, die waren da, die wurden allerdings von amerikanischen Soldaten bewacht und verwaltet, denn das war bis 1987 amerikanisches Hoheitsgebiet.

Ehrenamt als Schöffe in Köln

Neben seinem Job in der Prozesssteuerung hat Marc auch ein Ehrenamt inne, und zwar als Schöffe an der Jugendstrafkammer des Landgerichts Köln. Die Kommunen müssen eine bestimmte Anzahl an Schöffen bereitstellen, erzählt Marc. Er sei damals einem Aufruf der Stadt Köln gefolgt. Man könne aber auch zu diesem Ehrenamt verpflichtet werden, wenn es nicht genug Freiwillige gebe. Seit einigen Jahren fährt er etwa fünf Mal im Jahr nach Köln in die Luxemburger Straße und beschäftigt sich mit straffällig gewordenen Jugendlichen. In diesem Jahr ist er als einer von zwei Schöffen sowie einer hauptamtlichen Richterin bei der Kleinen Jugendstrafkammer. Ich bin sozusagen auch Richter, aber ohne richtige Ahnung. Gerade hier auf den Dörfern, sagt Marc, gibt es viele, die möchten die Probleme am Stammtisch lösen. Die haben dann so gewisse Vorstellungen, wie mit gewissen Delinquenten umzugehen ist. Wir lachen und in unserem Lachen schwingt ein Fatalismus mit.

Bei der Kleinen Jugendstrafkammer geht es um Strafen von maximal 1-2 Jahren, also um die kleinen Dinge, sagt Marc. Besonders interessant findet er, wenn das eigene Ressentiment mit den Prinzipien der Gesetzgebung und Rechtsprechung kollidiert. Gut und böse ist nicht immer so geordnet, wie man das vielleicht gerne hätte. Hinzu kommt, dass die Beweislage selten eindeutig ist, oft steht Aussage gegen Aussage. Und dann, sagt Marc, gibt es eben die Gesetzeslage. Man kann nicht, nur weil man persönlich Lust dazu hat, jemanden für zehn Jahre ins Gefängnis sperren.

Oberhalb der Brucher Talsperre gehen wir durch die Bahnunterführung; hier war früher der Güterbahnhof Holzwipper. In Müllenbach gab es Steinbrüche, erzählt Marc, und so hat man über eine Lorenbahn die Grauwacke zum Bahnhof transportiert, verladen und über Köln in alle Herren Länder verschickt.

Der alte Güterbahnhof strahlt eine gewisse Melancholie aus. Auch das Wort Grauwacke strahlt eine gewisse Melancholie aus. Und die Bäume schauen und schweigen wie Zeugen, die die Aussage verweigern.

Persönlich verspürt man durchaus mal den Impuls, Unrecht zu rächen, dann wird einem wieder bewusst, wie gut es ist, dass es Gesetze gibt und dass im Mittelpunkt des Strafrechts die Resozialisierung steht. Dass es objektive Kriterien gibt, die sich zum Beispiel strafmildernd auswirken. Ich möchte schon mehr als Laienwissen haben, sagt Marc. Ich lerne dann immer sehr viel von der fachlichen Einschätzung durch die hauptamtliche Richterin. Man erfährt also nicht nur viel von den Schicksalen und Lebensläufen anderer Menschen, sondern auch darüber, wie man selbst tickt.

Schwarzpulver in Ohl

Harry Böseke: Die Bergische Eisenstraße

Der Bus zurück fährt erst in einer halben Stunde, aber immerhin fährt er. Um uns die Wartezeit zu verkürzen, schauen wir noch beim Bergisch-Märkischen Pulvermuseum vorbei – das einzige Museum dieser Art weltweit, beheimatet in der schmucken Villa Ohl, dem schönsten Haus am Ort. Es hat um diese Jahreszeit noch geschlossen, aber auf der Webseite des Pulvermuseums erfährt man etwas über die Zeit, in der man mit der Herstellung von Schwarzpulver im Bergischen noch Geld verdienen konnte. Zahlreiche Kriege und Konflikte im Mittelalter – Dreißigjähriger Krieg, Schwedenkriege, aber auch gewalttätige Auseinandersetzung mit der Grafschaft Mark – waren eine Goldgrube für die Mühlen. Zudem wurde das Schwarzpulver für die Jagd und vor allem für die Arbeit in den Steinbrüchen benötigt. Schwarzpulver besteht aus Schwefel, Salpeter und Holzkohle und hat die Eigenschaft, den Fels nur zu lösen und nicht zu zertrümmern, schreibt Harry Böseke in seinem Buch über die Bergische Eisenstraße.

Für die Region waren die Pulvermühlen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Vor zweihundert Jahren gründeten dann die Pulverfabrikanten Cremer und Buchholz ihre erste Fabrik; von Wipperfürth-Ohl aus belieferten sie die ganze Welt mit der explosiven Mischung, wie es in einem WDR-Beitrag über das Museum heißt.

Pulvermuseum in Wipperfürth-Ohl

Mit explosiven Mischungen wird auch heute noch Geld verdient, auf der ganzen Welt. Wahrscheinlich sehr viel mehr, als in die Brucher Talsperre passen würde, würde man sie mit Geld statt mit Trinkwasser füllen. Aber eben nicht mehr im Bergischen.

Der Arbeitsvorbereiter, Teil I lesen Sie hier

Weiterführende Links zur Straße der Arbeit

Die Straße der Arbeit III von Müllenbach nach Wipperfürth-Ohl
Übersichtskarte (Sauerländischer Gebirgsverein, Bergisches Land)

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