Zwischenruf: Schnipsel III

Als Regionenschreiber ist man ja oft auf der Jagd. Nach DEM Satz, der wirklich etwas von der Umgebung erzählt, DEM Moment, in dem Menschen etwas offenbaren. Die Jagd macht müde. Deshalb setzt man sich. Und wenn man dann sitzt, ereignen sich Satz oder Moment manchmal völlig unvermittelt. Viel öfter noch ereignet sich gar nichts. Und am häufigsten ein Weder-Noch, das erstaunlich dringend aufgeschrieben sein will. Verstreute Notizen.
(Anm.: Auch eine liebgewonnene Gewohnheit vom letzten Mal; Schnipsel I & Schnipsel II)

Wuppertal, Südstraße, Ecke Gesundheitstraße. Die ältere Dame, die mürrisch die Anhöhe erklimmt und dabei ihren Rollator wie einen lästigen Einkaufswagen vor sich her schubst. Sie schimpft beständig gegen die Mittagshitze an, scheucht zwei Schulkinder aus dem Weg und hält inne, als sie den Scheitelpunkt der Straße erreicht hat. Sie dreht sich um, niemand ist hinter ihr, sie sagt: „Dann muss man sich halt etwas einfallen lassen, damit die Kunden nicht alles ausprobieren.“

Wuppertal, Bahnhofsstraße. Der Mann im Anzug, der verschwitzt das Geschäft betritt, sich umblickt wie ein gehetztes Reh, der den Ladenbesitzer anspricht: Er müsse jetzt scannen. Scannen? Ja. Er müsse jetzt scannen, sein Zug habe nämlich Verspätung. (Die nur ihm selbst zugängliche Logik, die dafür absolut zwingend scheint)

Wuppertal, Willy-Brandt-Platz. Das kleine Mädchen, das seinem Vater glücklich seine Saurier-Tätowierungen zeigt – Rubbel-Tattoos aus dem Zeitschriftenladen, die sie auf jede verfügbare Fläche geklebt hat. Der Papa muss gucken: Ein grüner Dino auf dem Handrücken, ein gelber Dino auf der Schulter, ein Flugdino auf dem anderen Arm, ein T-Rex auf dem Schienbein. Tochter, glücklich: Das mach ich auch, wenn ich groß bin! Vater, erschrocken: Tattoos? Tochter: DINOSAURIER!

Wuppertal, Schloßbleiche. Der Mann, der seinen Spazierstock ans Geländer lehnt. Mühsam den obersten Hemdknopf schließt. Der den Hut richtet, die Ärmel, der mit geschwollenen Fingern seinen Kragen überprüft. Er greift wieder zum Spazierstock, atmet ein, räuspert sich. Und marschiert gemessenen Schrittes flußaufwärts. 

Wuppertal, Nützenberger Straße. Wie man manchmal Widerstand leistet, indem man alte Befehle befolgt. Oder besser: Wie sich der Golden Retriever weigert, das Geschäft zu betreten, indem er Männchen macht. Das Geschäft ist ein Laden für Klaviere und vielleicht hat er dort drin schlechte Erfahrungen gemacht, vielleicht schreckt ihn der Geruch von blankpoliertem Holz oder falschen Noten. Vielleicht ist es auch einfach nur eine Laune, aber anders als sein Herrchen will er die Schwelle partout nicht überschreiten, macht jetzt sogar Sitz und gleich darauf Platz und hechelt ausnehmend folgsam. Es nützt ihm nur alles nichts, weil die Leine an ihm zerrt, die Leine, dieses arglistige Ding, die wird er sich, wenn dieser Tage einmal niemand hinsieht, vornehmen müssen. 

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Bergisch Babel III

Wuppertales (Warmlauschen)

(Anm.: So hat das beim letzten Mal auch schon angefangen, Bergisch Babel I & Bergisch Babel II)

 

„Ja kommste? Ja wat haste denn? Ja kommste jetzt mal? Ja willste nich? Ja wohin willste denn? Wohin willste? Haste wat gefunden? Ja wat haste denn gefunden? Ja zeigst du’s mir? Ja zeigst du’s mir gleich? Ja aber da ist doch nix? Da ist doch gar nix? Da ist doch nix, jetzt komm aber mal! Komm jetzt her, Frauchen wird kalt!“

 

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„Und dann gibt es ja auch diese schönen Masken.“
„Ach.“
„Die in Wuppertal hergestellt werden.“
„Aha?“
„Die hab ich letztens gekauft. In blau. Und in türkis.“
„Sehr schön.“
„Die sind halt ein bisschen gröber.“
„Ja?“
„Ja. Aber das gehört sich auch so.“

 

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„Die Mama muss weg.“
„Aber warum denn?“
„Die Mama muss weg!“
„Schau doch mal, hier ist gibt es doch Eis.“
„Will kein Eis!“
„Und Döner.“
„Was ist Döner?“
„Sowas wie der Mann da hat.“
„Will kein Döner!“
„Bist du gar nicht hungrig?“
„Nein!“
„Wollen wir dann vielleicht nachhause gehen?“
„Nein!“
„Was dann?“
„Die Mama muss weg!“
„Wohin soll die Mama denn gehen?“
„…“
„Schau, jetzt geht die Mama weg, ist das richtig so? So?“
„…“
„Soll die Mama vielleicht gar nicht weggehen?“
„Doch!“
„Aber warum?“
„Das haben die im Film gesagt!“

 

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„Haben Sie auch Waschmittel?“
„Aber sicher, der Herr.“
„Auch das richtige?“
„Kommt ganz drauf an, was Sie meinen.“
„Das weiße mein ich.“
„Hier sind alle Sorten, die wir …“
„Nein, nein, nein, das weiße mein ich doch! Nicht das bunte Zeug hier.“

 

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„Du, ich bins. Ich steh an der Bahn und wollt mich kurz melden. Wir sind jetzt durch. Volles Rohr. Einmal die ganze Nummer. Voll schade, dass du nicht dabei sein konntest. War nämlich wieder sehr schön gewesen. Wirklich sehr schön. Echt au-ßer-ge-wöhn-lich. Hätt ich vorher nicht gedacht. Diesmal kam aber auch alles zusammen. Das kann man ja nicht planen. Also, insgesamt eben voll toll. Ich freu mich mega. Und jetzt geht’s nachhause. Der Zug kommt auch gleich. Hoffentlich bist du bald wieder dabei.“

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