April in Zülpich (III)

Ich, das Chamäleon,
war nirgends zu sehen,
krallte mich fest auf der Karte.

Ich roch das Nichts,
ich vermied die Nähe
und schlüpfte in die Worte,
die Städte waren,
Länder, Meerengen, Gebirge.

Ich suchte auf meinen Streifzügen durch
Buchstabenketten
einen Milimeter Morgengrauen,
eine winzige Falte Zuhause.

Eine dünn eingezeichnete Straße führte dorthin.

nach Michael Wallner: April in Paris

Mehr Gedichte mit dem Textmarker gibt es hier: neonstift

Mehr von Pascal Bovée

April in Zülpich (II)

Mit dem Stadtplan von Paris versuche ich mich in Zülpich zu orientieren. Crossmapping nennt sich das. Ein Tipp von Felicitas. „Wenn du lieber etwas anderes finden willst, als du eigentlich suchst.“ Um die Métro-Station namens Tolbiac hat Felicitas einen Kringel gemacht. Tolbiac sei der französische Name für Zülpich, hat sie erklärt. „Vom lateinischen Tolbiacum.“

Ich folge der Promenade, die um die Stadtmauer führt. Dahinter liegt diese Geschichte. Ich gehe erstmal außen herum. Spatzen zirpen. Pusteblumen werden verweht. Eine Hummel fliegt in Zeitlupe vor meinen Augen vorbei, von links nach rechts kreuzend wie Maja und Willi Ende der 70er Jahre. Vor der Zeit geschützt scheint dieser Ort.

Ein kleines Mädchen wirft seinen pinken Roller ins Gras. Mit seinem Marienkäferhelm fügt es sich ganz selbstverständlich in die Landschaft unter den hohen, grünenden Bäumen ein. Hinterher kommt der Vater mit der noch etwas jüngeren Schwester an der Hand. „Was steht da?“ Die Tochter mit dem Marienkäferhelm heißt Amalia. Sie zeigt auf eine Tafel mit einem Vers. Er hängt unter einem Kreuz an einem Turm der Stadtmauer. Zwei Treppen, beide von einer Schranke bewacht, führen von den Seiten hinauf zu der Inschrift. Der Vater liest vor: „Zülpichs wehrhafte Mauern künden die Namen der – “ Dann bricht er ab, nuschelt es nur noch zu Ende, weil seine Töchter bereits die Stufen zu dem Denkmal erklimmen, das sich „Ehrenmal“ nennt. Ich lese zu Ende: Zülpichs wehrhafte Mauern künden die Namen der Helden, die / Ein lebender Wall / Fielen für Heimat und Volk. „Die Neugestaltung des Ehrenmals freundlich unterstützt“ haben das Jagdbombergeschwader 31, die Luftwaffeninstandhaltungsgruppe 23, ein Oberst a.D. und einige lokale Firmen. Für Heimat und Volk. Die Art und Weise des Gedenkens scheinen sie nicht neu gestaltet zu haben.

Drei junge Männer in schwarzen T-Shirts setzen sich auf eine Bank vor der Mauer mit dem Wehrturm, um zu rauchen. Auf einem der T-Shirts steht Star Wars. Wäre mir das an einem anderen Ort aufgefallen? Es ist normal. Ich bin damit aufgewachsen. Mit Star Wars, dem Film. Und mit Star Wars von Ronald Reagan. Mein Vater kam aus einem Ort mit solchen Wehrtürmen und Stadttoren aus Backstein nach Deutschland. Ende der 70er Jahre war das. Er ist nicht wie Biene Maja geflogen, er war bei der Luftwaffe. Militärtraditionen fühlen sich fremd an, merkwürdig – und zugleich ist das Teil von mir, von zuhause. Es gehört dazu. Wie das Unbehagen.

Auf dem Smartphone suche ich nach einer Bibliothek, um dort vielleicht mehr über die Zülpicher Stadtgeschichte herauszufinden. Die nächste steht angeblich elf Kilometer entfernt in Euskirchen. Ich gehe in die Geschichte hinein, durch das Tor. Das erste, was ich sehe, ist die Spielhalle Mega Fun. Per Aushang sucht sie Service-Personal. Aber Spielsucht ist gerade nur online möglich, deshalb kommt dieser Job nicht infrage. Auch wenn man, das weiß ich aus Erfahrung, dort viel über eine Stadt lernen kann. Auch über Soldaten. Und über sich selbst. Ich betrachte mein Spiegelbild im Fenster von Mega Fun. Wie ich mit dem Hintergrund, den Bäumen, dem Backstein verschwimme. In der Hosentasche habe ich Felicitas Karte, den Stadtplan von Paris. Ich könnte es damit probieren. Etwas anderes finden.

Ich falte die Karte auf. Hier ganz in der Nähe liegt, will sie mir sagen, die Bibliothèque Nationale. Einfach zwischen den Türmen hindurch, so wie eben und dann kommst du auf einen großen Platz. Ich gehe in dieser Richtung eine schmale Straße entlang, mit Ladenlokalen zu beiden Seiten. Rechts ein Zweiradhandel mit Kindermotorrad im Eingang, eine Apotheke. Links eine Eisdiele, wo die Apothekengehilfin gerade die einzige Kundin ist. Ein Stück weiter eine Zoohandlung ohne Tiere. „Heute wegen gestern geschlossen“, sagt ein Aufkleber am Schaufenster. Auf einem anderen mit dem Slogan „Wir helfen Tieren in Not“ hat die Sonne den abgebildeten Hund aufgefressen. Im Versicherungsladen lackiert sich die Kauffrau die Nägel. Kunden sind keine in Sicht. Ich bleibe kurz stehen, überlege, wogegen ich mich versichern lassen könnte, aber ich traue mich nicht hinein. Ein römischer Legionär bewacht hier den Eingang. Er ist aus Pappe und hält eine Pappe hoch. Was darauf mal stand war womöglich Latein. Heute hat er mir nichts zu verkünden.

Ich komme zum schönen Papiermacherbrunnen. Hier hat die Buchhandlung wieder geöffnet. Ist das hier der Platz auf meiner Karte? Der Ort der Bücher? Die Papiermacher schöpfen aus einem Bottich, der überläuft. Leise plätschert das Wasser an ihren Füßen vorbei. Dann blinkt es wie Kirmes. Es ist Amalias Roller, der über das Pflaster rattert. Seine Räder leuchten beim Fahren. Amalia lehnt ihn gegen das Schaufenster der Buchhandlung. Neben ihr drückt sich ihre Schwester die Nase platt. Sie hat drinnen etwas entdeckt, dass sie unbedingt haben will. Der Vater schüttelt den Kopf. Er bugsiert die beiden am Brunnen vorbei. „Ihr wolltet doch eben noch ein Eis.“

Als sie weg sind, schaue ich nach, was so interessant war in dem Schaufenster. Neben den Kinderbüchern liegt Spielzeug. Am meisten interessiert mich ein „bunter Plopper“. Er ist pink wie Amalias Roller. Eigentlich springt er hoch, wenn man ihn umstülpt und auf den Boden stellt. Aber man kann ihn auch an etwas befestigen, wenn man ihn anders herum dreht. Ganz fest mit Unterdruck würde der Plopper dann auf einer glatten Oberfläche haften und wie ein Pickel aussehen. Zum Beispiel auf dem Schild mit der Ehre, außen an der Stadtmauer. Ich gehe hinein zu dem Plopper. Und kaufe mir bloß einen Textmarker.

Draußen am Brunnen falte ich die Karte noch einmal auf und suche die Métro-Station Tolbiac. Sie muss ein Stück weiter nach rechts sein. Dort hinter der Pizzeria Pinocchio. Die residiert in einem gotischen Rathaus mit einer Laube über dem Eingang. Wenn ich dem Stadtplan vertraue, ist das die Place d’Italie. Hier essen zu gehen, bedeutet, so lange zu lügen, bis deine Nase 1,50 misst.

Ich komme auf einen anderen Platz. Kein Bibliotheksturm steht hier, aber die Miniatur, ein Bücherschrank von RWE in verrosteter Optik. Käsmarkt steht auf einem Straßenschild. Ist es hier? Ist dieses Loch im Boden des Platzes die Métro-Station? Ausgrabungen, sagt mir eine Info-Stele. Vielleicht verlief sie früher über den Käsmarkt, die römische Straße. Von Tolbiacum nach Lutetia, als Untergrundlinie mit Pferden geplant, Stationen Käsmarkt, Place d’Italie, über Porte de la Villette bis La Courneuve 8 Mai 1945.

Im Bücherschrank stehen:

  • Die letzten Tage von Pompeji
  • Der Tod in Venedig (2x)
  • Mann im Dunkel
  • Von Mäusen und Menschen
  • Das Parfüm (3x)
  • Semester der verlorenen Zeit
  • April in Paris

Der Schrank ist von einem breiten Tesastreifen wie von einem Gürtel umschlungen. Aktuell sei die Buchausgabe untersagt, steht auf einem Verbotsschild. Niemand kann von Paris lesen in Zülpich, niemand vom Tod in Venedig, von diesem verlorenen Semester. Nicht in einem alten Buch jedenfalls.
Ein Bettler, ich nenne ihn Clochard, läuft auf dem Platz hin und her wie ein Flipperball. Fragt erst da nach Kleingeld, dann dort, dann hier. Der alte Mann, der auf der Türschwelle seines Hauses steht, winkt bereits von weitem ab. Die Freundinnen auf der Bank schütteln auch schon die Köpfe. Das Betteln auf Abstand ist schwer. Und Flaschen stehen jetzt selten auf Plätzen herum. Ich stelle mir vor, die Bundesregierung verkündet ihre Fördermaßnahme für die Obdachlosen – ein neues Pfand für Masken und die Stadt Zülpich, mit freundlicher Unterstützung der lokalen Firmen, baut ein Denkmal an der Stadtmauer für die Obdachlosen, die sie gesammelt haben.

Mich übersieht der Clochard, denn ich stehe hinter den Büchern. Durch die Glastür des Schrankes sehe ich ihn an. Zwei Glastüren eigentlich, denn von beiden Seiten kann man die Bücher entnehmen. Wenn kein Klebeband es verhindert. Dann kommt der Clochard auf mich zu. Gegenüber stützt er sich mit der linken Hand an der rostigen Hülle ab. Mit der rechten reißt er das Tesa herunter. Seine Augen sind hell wie Laternen. Sie durchsuchen die Reihen, die Titel. Zwischen den Büchern her sehen sie mich an. Lächeln ein mildes Lächeln. Dann nimmt der Clochard ein Buch heraus, schlägt es auf und beginnt, über den Platz zu flanieren, laut daraus rezitierend. Wörter, die klingen wie Medikamente. Es ist ein Wörterbuch Lateinisch – Deutsch.

Ich nehme mir auch ein Buch aus dem Schrank und hole den Textmarker aus der Tasche.

Mehr von Pascal Bovée

April in Zülpich (I)

Ich habe Felicitas an der Landstraße im Kreis Euskirchen aufgelesen. Eine Tramperin. Globetrotterin. Ich schätze sie auf Mitte 50.
„Seit wann machst du das?“
„Reisen?“
Ich nicke.
„Da warst du noch gar nicht geboren.“
Dass sie über alles recht gut bescheid weiß, merke ich schnell. Später wird sie mir erzählen, wie die Kinder in Kanadas Osten mit dem Gartenschlauch Wasser in den Hinterhof lassen, um Eishockey zu spielen. Wie weiß gestreifte Affen den Arbeitern in einer südafrikanischen Mine das Werkzeug stehlen. Sie kennt die wahre Geschichte des Rattenfängers von Hameln. Felicitas war dabei.

Heute möchte sie nach Rom. Piazzale del Faro. Ob sie dann jetzt einsteigen könne. Alles klar, sage ich. Ich fahre zwar nur bis Zülpich. Aber soweit kann ich dich mitnehmen. Grinsend sitzt sie da schon neben mir. Durch Zülpich verliefen die alten römischen Straßen. Von da aus dürfte es dann leicht zu finden sein. In mein Navigationsgerät gibt Felicitas ein neues Ziel ein. Diesen italienischen Leuchtturm? Mit drei Fingern streift sie ihr Haar hinters Ohr. Es ist eigentlich viel zu kurz dafür. Falten scheint sie vor allem vom Lachen zu haben. Der Apparat schlägt vor: Zülpich, Wassersportsee, Wohnmobilhafen? Felicitas bestätigt. „Da können wir Pause machen. Einen Espresso trinken.“ Sie klopft auf den kleinen, hellblauen Gaskocher, der an ihrem Gürtel hängt.

Auf einer schmalen Straße führt uns das Navigationsgerät über eine Kuppe. Dann fahren wir durch ein Stadttor. Es sieht nach Mittelalter aus. Dahinter geht es nicht weiter. Der Asphalt liegt offen wie eine historische Wunde. Mit dem Auto kommen wir da nicht durch. Meine Beifahrerin steigt aus, um sich ein Bild zu machen. Sie stemmt die Hände in die Hüften. Aus dem Absperrzaun und ein paar Steinen könnten wir eine Behelfsbrücke bauen, ruft sie mir zu. Und hat schon damit angefangen. Ich wende. Felicitas mosert, aber steigt wieder ein. Wir fahren zurück. Es wird ja noch einen alternativen Weg geben zu diesem Wohnmobilhafen.

Wir halten auf eine Fabrik zu, die Sportbekleidung herstellt, wie Felicitas weiß, als die Stimme aus dem Navigator uns eine geänderte Wegführung vorschlägt. Es geht durch ein Wohngebiet, in dem vor den Türen die Mülltonnen quillen. Ein gelber Sack flattert im Wind. Vögel in Vorgärten zwitschern. Ein Kind malt mit grüner Kreide Linien auf den Gehweg. Daneben schreibt es: „Abstand 1,50m.“ Nach einem Zickzack zwischen Garagen und Gärten hindurch endet der Weg wieder vor dem Stadttor. Dem mit dem Loch in der Straße.

Dritter Versuch. Felicitas schlägt meinem Navi vor, einen Umweg zu wählen. Landstraße über Merzenich. Motorradfahrer, die uns überholen. Spargel, der unter dunklen Planen auf seine Ernte wartet. Ich gebe mehr Gas. Dann blitzt plötzlich etwas Metallisches auf, das auf der Straße liegt. Gerade jetzt kommt uns ein Traktor entgegen, eine Yamaha will überholen. Ich bremse. Ich weiche aus. Wir landen im Gemüse. Felicitas krempelt die Ärmel hoch. Sie geht auf der Straße nachschauen. Sie hebt etwas auf. Kopfschüttelnd kommt sie zurück mit einer Maurerkelle in der Hand. Mit Mühe schieben wir den Wagen zurück auf die Straße. Nach einer Dreiviertelstunde führt uns die Route zum Stadttor mit seiner Baustelle. Felicitas lacht. „Alle Wege führen nach Zülpich.“ Fast feierlich klingt es, wie sie das sagt.

Ich beschließe, das Navi auszuschalten und fahre jetzt parallel zur Stadtmauer. Einmal um Zülpich herum. Irgendwann wird man ihn ja sehen, diesen See mit seinem Wohnmobilhafen. Laut Satellitenkarte muss er sich genau auf der anderen Seite des Ortes befinden. Baumkronen rauschen. Steinchen springen weg unter den Reifen. Wir passieren ein Waldstück. Fragen einen Spaziergänger, dessen Labrador sich auf den Weg gelegt hat. Der Mann schlägt uns vor besser zu wenden. Felicitas sagt danke und schließt das Fenster. Wir nicken uns zu – und ich fahre dann geradeaus weiter. Nach einer Weile, hinter einem Ortsausgangsschild, stoßen wir schließlich auf Spuren. Sie könnten von den Römern stammen. Oder von einem Camper, meint meine Beifahrerin. Und dann leuchtet da unter einer Pappel ein weiteres Schild, mit einem Symbol. Einem Wohnwagen. Felicitas wird schon euphorisch. Fängt an, Gianna Nanini zu singen. Ich biege in den Weg mit dem Wohnwagenpiktogramm ein. Wie ein Mittelscheitel führt er über einen Acker. Die Sonne neigt sich schon hinter den Bäumen.

Die Masten der Segelboote sind Strompfähle. Der Leuchtturm ist eine katholische Kirche. Anstelle des Wohnmobilhafens am See sitzen wir auf dem Parkplatz eines Anhängerverleihs und blicken auf ein Rapsfeld. Der Wind treibt Wellen durch das Gelb. In der Sonne, die untergeht, glänzen sie. „Ich mache die Orte“, erklärt mir Felicitas, „zu meinen Sehnsuchtsorten.“ Sie dreht ihren hellblauen Gaskocher auf.

Mehr von Pascal Bovée

Möchtest Du Post bekommen?

Gerne schicke ich Dir eine Karte! Such Dir einen Ort aus (siehe Liste unten) und ich sende Dir einen Umschlag mit Deinem persönlichen Text von dort.

Die Auflage ist limitiert – jeden Text gibt es nur einmal. Er hat die Form eines japanischen Kurzgedichts (Haiku oder Tanka) und greift Eindrücke vor Ort auf. Bisher sind 21 solcher kurzen Texte/Karten entstanden, jeweils an einem anderen Schauplatz in der Region Aachen. Ab Freitag versende ich zwei Wochen lang jeden Tag einen davon per Post an die erste Bestellerin oder den ersten Besteller. Gratis natürlich.

Möchtest Du Dein eigenes Haiku oder Tanka geschickt bekommen? Dann schreib mir Deine Adresse mit einem Hinweis zum Text Deiner Wahl an: schreiber@regionaachen.de

Hier die alphabetische Liste der 21 Kurzgedichte nach ihren Schauplätzen:

  • A44, Immerath (alt), (1 Haiku, 1 Tanka)
  • Änderungsschneiderei, Düren (1 Haiku) [bereits bestellt]
  • Buchhandlung, Kreuzau (1 Haiku) [bereits bestellt]
  • Buslinie 52, Aachen (1 Haiku) [bereits bestellt]
  • Carl-Alexander-Park, Baesweiler (1 Haiku, 1 Tanka) [Haiku bereits bestellt]
  • Elisenbrunnen, Aachen (1 Tanka) [bereits bestellt]
  • Good Morning Vietnam (Imbiss), Aachen (1 Haiku) [bereits bestellt]
  • Hochsitz (A44), Jülich (1 Haiku) [bereits bestellt]
  • Kosmetikladen, Düren (1 Haiku)
  • „Lago Laprello“, Heinsberg (1 Tanka, erhältlich auf Niederländisch und Deutsch) [NL bereits bestellt]
  • Langweilerstraße, Niedermerz/Aldenhoven (1 Tanka)
  • Ludwig Forum für Internationale Kunst, Aachen (1 Haiku, 1 Tanka) [beide bereits bestellt]
  • Rurtalradweg, Kreuzau (1 Haiku)
  • Spargelfeld, Merzenich (1 Tanka)
  • Spiel- und Grillplatz, Gey/Hürtgenwald (1 Haiku) [bereits bestellt]
  • Sportplatz, Jackerath (1 Haiku)
  • Wassersportsee, Zülpich (1 Haiku)
  • Wilhelmina-Turm, Vaalserberg (1 Haiku, erhältlich auf Niederländisch und Deutsch)

Mehr von Pascal Bovée

Auf der Suche nach…

Folge 5: … verlorenen Schätzen

Das Foto zeigt Fossilien auf dem Boden
Sie schlummern in den Böden, vergessen, vergraben und verheißungsvoll. Die Geschichte unserer Region ist so vielseitig: Sie reicht von Fossilienfunden bis zum Westwall. Sie lassen die Geschichte wieder lebendig werden.

Pinsel, feine Spatel und kleine Schüppen. Sylvia Günther vom Amt für Bodendenkmalpflege des Landesverband Rheinlands hat für Ausgrabungen besonderes Equipment. „Man kann halt nicht mit dem Spaten einfach wahllos in den Boden stechen!“, sagt sie. Doch ganz so vorsichtig muss ihr heutiges Archäologieteam auch nicht sein. Denn Günthers betreut nicht die Erstausgrabung, sondern ein extra Programm für Kinder und Schulklassen. „Der erste Fund ist natürlich immer ein richtiges Highlight.“ Günther fährt mit einem Spatel durch eine Kiste mit Sand. Hier hat sie vorab Scherben aus dem Mittelalter und der Römerzeit vergraben. „Von denen finden wir Unmengen in der Eifel“, sagt sie.

Das Foto zeigt eine Frau vor mit Sand gefüllten Kästen
In Nettersheim hingegen lassen sich eher andere Dinge finden. Dinge aus einer Zeit vor 380 Millionen Jahren. Damals in der Devonzeit lag Nettersheim südlich des Äquators und war keine hügelige Landschaft mit Wiesen und Feldern; nein, Nettersheim lag mitten in einem flachen, warmen Meer. Versteinerte Korallen, Meeresschneckenfossilien und allerlei Überreste anderer Meeresbewohner kann man heute noch auf dem Fossilienacker finden. Für Schulausflüge ist der Acker deshalb zu einem richtigen Eldorado geworden. Aber auch die Archäologin Ulrike Müssemeier kann sich nie davon abhalten, selbst ein paar der Urschätze mitzunehmen. Ich bin immer wieder beeindruckt von dem Reichtum der Funde in der Eifel“, sagt sie. Kaum eine Region in Deutschland sei historisch gesehen so vielseitig. Genau deshalb hat Müssemeier auch in diesem Jahr die Organisation der Eifler Archäologietour übernommen. Die Tour feiert dieses Jahr zehnjähriges Jubiläum und reicht von Fossilien bis hin zum Westwall und den Denkmälern der Nazivergangenheit.
Das Foto zeigt zwei Frauen vor einem Gebäude

Und manchmal da gibt es auch in der Eifel noch die wahren Überraschungsfunde wie vor zwei Jahren in Zülpich-Bürvenich. „Ich sollte der Kirche eigentlich nur eine Fassadenerneuerung verpassen“, sagt Max Ernst. Der Architekt ist nicht nur spezialisiert auf historische Bausanierung, sondern auch verwandt mit dem Künstler Max Ernst. „Zunächst war der Auftrag Routine, aber dann stellten wir fest, dass der ganze Putz abmusste“, erzählt Ernst. Zum Vorschein kam ein uraltes Gemäuer, das Zeichen von unterschiedlichsten Bauphasen trug. „Ich war damals unglaublich ehrfürchtig und stolz so einen historischen Fund direkt vor meiner Haustüre gemacht zu haben“, sagt Ernst heute. Unteranderem konnten Archäologen und Historiker herausfinden, dass sich in dem Gemäuer ein normannisches Haus verbirgt und sogar riesige Bogenfenster die Kirche einst schmückten. Über zwei Jahre hat er die Kirche saniert. Heute trägt sie zwar wieder einen ockerfarbenen Putz, „aber nur, damit das alte Gemäuer darunter erhalten werden kann.“
Das Foto zeigt einen lächelnden MannArchitekt Max Ernst vor der neuen Fassade.
Dokumentiert und gesichert sind schon einige archäologische Funde unserer Region. Und dennoch: die Eifel verbirgt noch viele Schätze in ihren Böden, versteckt die Geheimnisse unter alten Fassaden und legt manchmal bei Lust und Laune einen Acker voller Geschichten aus der Vorzeit frei. Wer genau hinsieht, bemerkt sie; die einst verloren Dinge, die auffordernd rufen: „Finde mich!“

Mehr von Marie Ludwig

Der Liebesengel

Folge 7: Nadine kommt – Tupper war gestern

Das Foto zeigt mehrere Silikonvibratoren
Nadine wirft ihre blonden Haare über die Schulter, legt einen schwarzen Rollkoffer auf den Boden und zieht an den Reißverschlüssen. Sie öffnet ein rosafarbenes Satintäschchen und holt ihn hervor: einen pinken Silikonvibrator. Warum? Weil sie es kann: Nadine ist ein „Liebesengel“ und veranstaltet Toypartys in der Region.

Nadine öffnet als nächstes ein Täschchen mit ihren „Einsteigern“ und holt ein paar eiförmige Gebilde mit Gummischwänzchen hervor. Liebeskugeln. „Die fühlen sich nicht nur gut an, sondern trainieren auch den Beckenboden“, erklärt sie. Nach einer Schwangerschaft und im Alter wird dieses Training immer wichtiger, „damit man keine Ups-Momente hat.“ Nadine weiß das alles, nicht nur, weil sie es sich angelesen und erfragt hat, nein, sie testet jedes Produkt, das sie verkauft auch selbst. „Ich plappere natürlich nicht alles heraus, was bei mir im Schlafzimmer so passiert – aber ich werde oft gefragt, wie die Toys denn so sind.“ Nadines Mann sieht das Ganze gelassen. Nur wenn ihre „Entspannungsgeräte“ wieder geladen werden müssen, und alle Steckdosen im Haus – auch die in der Küche – mit dem Spielzeug belagert sind, beschwere er sich. Nadine lacht. Sie habe inzwischen Mehrfachsteckdosen besorgt.

Das Foto zeigt verschiedene Sexspielzeuge
Angefangen hat alles mit der Einladung einer Freundin zur Toyparty. „Ich dachte mir damals, klar komm ich da mit!“ Peinlich berührt war Nadine nie vom Thema Sex. Schon von ihren Eltern wurde sie immer sehr offen erzogen. „Ist doch einfach was ganz Normales“. Wie Essen und Reden halt, findet sie. Nach der Party habe ihre Freundin sie gefragt, warum sie das nicht auch mache. Das war im Sommer 2014. Kurz darauf wurde Nadine zum „Liebesengel“. Mittlerweile ist sie jedes Wochenende unterwegs. Unterwegs mit ihrem schwarzen Koffer.

Bei einer Dildoparty lädt eine – meist weibliche – Gastgeberin ihre Freundinnen zu sich nach Hause ein. Dann kommt Nadine – und das kostet zunächst gar nichts. Wenn alles bereitsteht, legt sie los, erzählt von den praktischen Liebeskugeln, reicht glitzerndes und nach Zuckerwatte schmeckendes Körperpuder durch die Runde und stellt Duftkerzen auf, mit deren Wachs man sich auch massieren kann. „Meist ist da schon das Eis gebrochen“, erzählt sie. Weiter geht’s mit den Dildos und Vibratoren. Nadine macht den pinken Vibrator an; über fünf verschiedene Programme hat dieses Exemplar. Sie hält ihn an die Nasenspitze: „So können die Mädels die Geräte am besten testen.“

Mädelsabende, Jungesellinnenabschiede, aber auch Pärchen-Treffen und Partys für homosexuelle Männer bietet Nadine an. Viele Männer hätten allerdings oft Vorurteile gegenüber den Toys: „Sie fühlen sich schnell ersetzt“, weiß Nadine. Dabei gebe es gerade für den Mann und auch für Paare besonders erregendes Equipment. Für Heteromänner macht Nadine jedoch keine Partys. Ihr Werbematerial als „Liebesengel“ werde von manchen Männern bewusst falsch verstanden. „Ich muss mich da selbst schützen.“ In eine unangenehme Situation kam sie noch nicht. Meist seien die Partys unglaublich fröhlich und man bekomme immer interessante Anekdoten erzählt. Einmal habe sie eine Party in einer Runde Gynäkologinnen in Aachen veranstaltet. Die Frauen hatten schon so einiges erlebt: In einem Nachtdienst sei ein junger Mann zu einer Gynäkologin in die Ambulanz gekommen. Er sagte, er hätte da ein Problem – hinten. Sie setzte ihn ins Wartezimmer zu anderen Patienten – wahrscheinlich Durchfall oder so –, doch als sie ihn aufrief, war der Mann weg. Nach zwei Stunden war er plötzlich wieder da: ‚Was haben sie denn gemacht?‘, habe sie ihn gefragt. Der Mann antwortete kleinlaut: ‚Ich saß im Auto und habe gewartet, dass das Ding in mir aufhört zu vibrieren.‘ Im Wartezimmer war der von seinem Po verschluckte Vibrator schlichtweg zu laut.

Unangenehm. Aber auch ein bisschen lustig. Damit diese Dinge nicht jedem passieren, erklärt Nadine immer wie die Geräte richtig zu nutzen sind. Und dafür kommt sie höchstpersönlich: Mit ihrem schwarzen Rollkoffer voller Entspannungsgeräte, mit Geschichten, über die man herrlich kichern kann und die einem vor Augen führen, dass ein vibrierendes Gerät eigentlich genauso harmlos ist wie Tupperware.

Mehr von Marie Ludwig