Wie Aachen zu mir kam – Verzweiflung, eine Vorgeschichte (3)
11. Juli 2017
Folge 3
Einer ist fast zwei Meter hoch, stechender Blick, kurzes dichtes dunkles Haar, Augenringe, tief gebeugt, um dem anderen besser folgen zu können. Der marschiert vorneweg, ist eine halben Kopf kürzer, dünnes Haar, spöttisches Lächeln und in den Hüften doppelt so breit. Er hat meine Handbewegung sofort registriert und nach einer kurzen Irritation und drei, vier weiteren Schritte, bleibt er mitten in der Kneipe stehen, der Lange auch, der Kurze dreht sich auf einmal um und geht entschlossen auf mich zu. Der Lange folgt ihn wie ein Schäferhund.
„Hi!“ sagte der Kurze.
Jetzt war ich verdutzt.
„Hi!“ grüße ich zurück, bevor ich nüchtern zugebe:
„Sorry, ich glaube, ich habe Euch mit jemandem verwechselt…
„Macht nichts!“ sagt der Lange: „ Seid ihr hier öfter?“
„Hannes!“ stellt sich der Spöttische mit den runden Hüften vor.
„Manfred“, der Lange mit dem leidenden Blick und fährt fort:
Er sei Privatdozent, unterrichtet an einer kleinen Wirtschaftsakademie in Aachen, wohne aber in Köln und sei jeden Tag auf Rädern.
„Was? Aachen? Schon wieder!“ hätte ich fast gerufen, schaffe aber doch meine Zunge im Zaum zu halten und höre mich nur sagen
„Ach, Aaaachen…!“
Aachen verfolgt mich jetzt auch. Überall. Zwei Tage, nachdem ich von meinem Glück erfahren habe, für ein Stipendium als Regionalschreiberin in Aachen ausgewählt worden zu sein, war ich in Düsseldorf bei einer Messe. Auf dem Weg zurück suchte ich die nächste Bahnverbindung nach Köln und stieg in einen Zug nach Aachen ein und verpasste Anschluss, landete in Mönchen Gladbach! Was natürlich meinen deutscher Mann bis heute amüsierte… Drei Tage später traf ich bei einer Lesung eine sympathische Dichterin aus Aachen, die mir versprach, „ihr Aachen“ zu zeigen, wenn ich in die Stadt ankomme. Vier Tage später begegnete ich bei einem Projekt im Seniorenheim einer älteren Dame, die mich mit den Projektteilnehmern zu sich auf ihr Zimmer nahm, um uns eine ganze Stunde vor ihrer dramatischen Kriegskindheit natürlich in Aachen zu erzählen…
Nun hat sich auch noch mein „Mujo“ als Köln Aachener-Tagespendler entpuppt.
Ein bisschen „blöd“ sei es schon, meint Manfred. Vor allem für die Beziehung… Seine Frau halte das manchmal nicht aus… Als er erfährt, wo ich herkomme, fragt er sofort, wie oft ich in meine Heimat fahren muss. Um bei mir zu bleiben…
„Sie meinen nicht verrückt vor Sehnsucht?“
Er nickt.
„ Na ja, mindestens ein Mal im Jahr. Zwei Mal wäre natürlich besser “, sage ich.
„Siehst Du!“ sagt der Hannes der heute Abend offensichtlich als alter guter Kumpel eine wichtige Rolle spielen darf. Er darf Manfred trösten.
Seine peruanische Frau ist verschwunden. Abgehauen, abrupt, aus heiterem Himmel… in die Heimat. Nach einem Streit, vermute ich. Manni kann seine Verzweiflung nicht verstecken. Und ich, eine fremde Frau, die noch bei ihrem deutschen Mann sitzt und mit ihm spricht und Kölsch trinkt, scheinen jetzt Mannis letzte Hoffnung zu sein…
nächste Folge: Versagen