Manchmal in Jülich
19. August 2017
Manchmal ist die Zeit reif
Sich mit seinem Schatten zu treffen
Auf der Straße
Im Spiegel eines leeren Ladens
Beim Ausführen seines Hundes
In seiner Stadt
In Jülich
Manchmal springt ein Hund ins Bild
Ein Schnappschuss der Touristin
„Entschuldigen Sie“,
sagt das Herrchen
Als Ouvertüre seines Lebens-Laufs
Die Überlebensbiografie voller Brüche
Transportiertes Wesen
Der Kampfhund, ein Kuscheltier
Seine Stadt und sein Hund,
Er blinzelt – stolz wie Oskar – auf Jülich und Alfa,
Er streichelt das kräftige Tier,
Das ihn, dürre Stange, über die sonnige Jülicher Straße zieht
Unter dem blauen Käppi glühen seine schwarzen Augen,
Lachen die weißen Zähne
Sein Rottweiler, Muskelpacket, bringe ihn manchmal
Zu seinen Lieblingsplätzen:
Der Zitadelle und dem Campus der Fachhochschule,
In Jülich
Der Kampfhund schnüffelt an der Touristin
Sie zuckt, zieht sich zurück,
Keine Angst, sein Hund sei sanft,
wolle spielen
Das Kuscheltier sei gut erzogen, sagt der Herr
Er habe mit Alfa alle Hundeschulen besucht
Teuere Schulen
wie die Kampfhundejahressteuer
Sein Vater verdrehe heute noch die Augen
Seine Freunde auch
Warum Hund in die Schule, und er, das Herrchen, ohne Abschluss
Er habe seine Schule abgebrochen
Früher sei er
„ – sagen wir mal so – “
zu temperamentvoll gewesen,
Früher vor Alfa, habe er seine Fäuste sprechen lassen
Als hoffnungsvoller Boxer und Fußballer
In Jülich
Nun bringe Alfa seine kaputte, nie zusammengewachsene Hüfte,
auf die Straße
Der Kampfhund mit Hochschulabschluss spare ihm eine Menge Pillen
Sein Kuscheltier stille seinen Dauerschmerz, bringe ihn auf Trab
Sein Teuer-Freund heile seine gestohlenen Illusionen
Versöhne ihn mit seinen verlorenen Träumen
Ihn kenne jeder in Jülich,
Und jeder, der vorbei geht,
grüßt ihn
Er, der Herr, grüßt zurück
Lächelt
Süß. Bittersüß
Mit elf sei er nach Jülich gekommen
Als Sohn eines Albaners und einer Belgraderin,
Nach dem Krieg im Kosovo
Sein Zuhause sei nun Jacqueline, seine Frau, Alfa und sein Job
In Jülich
Er schaffe bei Pfeifer & Langen
Er verwandle Rüben in Zucker
Sechshundert Tonnen am Stück
Im Takt der Maschinen
Auf Knopfdruck und mit ein bisschen Kopf
Als Schichtarbeiter in der Zuckerfabrik
Wie der deutsche Schwiegervater mit dreißig Jahre Akkordarbeit
Sein Vorbild
Und: seine kaputte Hüfte mit Dauerschmerz mache mit
Mit Alfa, seiner Frau und der Liebe
Manchmal am Rand der Geschichte
Manchmal ist die Zeit reif
Sich mit seinem Schatten zu treffen
Auf der Straße
Im Spiegel eines leeren Ladens
Am Rand der Geschichte
In einer Stadt
In Jülich
Manchmal springt der Gedanke mutig ins Bild
Er, das Modell. Sein Hund. Die Fotografin.
„Entschuldigung“, meint sie vor einem leeren Laden
Er, achtundzwanzig Jahre erst, schlau, jung, gutes Deutsch
Er könne sein Schulabschluss nachholen, studieren… noch kostenlos
Seine Bildung wäre günstiger als die Hundeschule seines Kampfhundes
In Jülich
Ja, er wisse es, lächelt er, alle sagen das…
Es sei aber… zu spät
Keine Zeit… leider
Er müsse schaffen
Akkord am Fließband
Als Schichtarbeiter in der Zuckerfabrik
Er bauche Geld… viel Geld
Fürs Leben, seinen Alfa, für seinen Passat, den Polo seiner Frau…
Seine Schätze
Früher sei er – „sagen wir mal so“ – zu temperamentvoll gewesen…
Heute habe er ein süßes, bittersüßes Leben
In Jülich