Peer-Moll und meine neue Alte 

Die Lesung am vergangenen Sonntag lief gut, die Zuhörer und ich, wir hatten schöne 60 Minuten, doch eines wurmt mich noch immer: die Stahlsaiten.

Meine Gitarre, mit der ich zwischen den gelesenen Texten das eine oder andere Lied trällerte, passte mit seinem fulminanten Klang nicht zu den gezupften Liedern und da ich als kreativ Schaffender tatsächlich einmal Geld in der Tasche habe, Danke NRW, könnte ich einen Teil davon doch in eine Klampfe investieren? Gedacht, getan! Das unendliche Internet spuckt mir einige Musikgeschäfte in der Umgebung aus, ich entscheide mich intuitiv für «Der Musikflohmarkt Wuppertal». Die Internetpräsenz besteht aus nur einer einzigen Seite und nach Öffnungszeiten suche ich vergeblich. Das klingt für mich nach «Hier dreht sich alles um die Instrumente» und nach «meistens bin ich sowieso im Laden»; all das fällt irgendwie aus der Zeit und ist mir auch deshalb sehr sympathisch.
Ich rufe also kurz an: «Ja, ich bin jetzt noch so bis 13:00 Uhr im Laden, dann kurz weg …», «passt!», unterbreche ich meinen Gesprächspartner in Wuppertal, «… ich fahre direkt los!»
Trotz des dauer-trüben Wetters ist meine Laune oben, über die leere Landstraße schwebe ich gemütlich zu meiner neue Gitarre; dass ich fündig werde, ahne ich schon.

Dort angekommen trete ich ein und ein ebenso gut gelaunter und netter Mann sitzt entspannt auf einem Hocker. «Wir haben telefoniert, Dimitri!», sage ich und strecke ihm die Hand entgegen. Der Raum ist mehr Instrument als Gemäuer, überall hängt potentielle Musik von der Wand, dazu sitzen die Ziehharmonikas still in Regalen, sie warten geduldig bis sich einer erbarmt und sie bespielt. Auch die Trommeln schweigen ausnahmsweise, die Flöten bleiben unter sich. All diese Instrumente betören mich, meine Augen werden groß, das frivole Orchester und sein väterlicher Dirigent strahlt mich an. «Ja, hallo. Peer.»

In Musikgeschäften war es mir als Kind schon so, als tauchte ich in eine Parallelwelt ab. Es war ein verheißungsvolles Gefühl, als stünde man in der Schlange beim Kiosk, nur noch stärker. Dort sah und hörte man Neues und Berauschendes. Vielleicht spielte dort jemand in einer abgelegenen Ecke eine Gitarre an und hat dabei diesen weit nach innen gerichteten Blick im Gesicht stehen. Dort roch es nach Instrumenten und Verstärkern, nach Holz und meist ein wenig nach abgestandenem Rauch. Die Menschen dort hatten außerdem immer dieses ehrliche «du» auf den Lippen. Ein «du», welches so authentisch klang, weil das «ich» viel herumgekommen war. Ein «du», welches so selbstverständlich über die Lippen kam, weil man versteht, welche Schatten ein «Sie» werfen kann. Musikgeschäfte waren für mich seit je her Emanzipation und nicht zuletzt Freiheit. Darüber sinnend, sehe ich meinen Gitarrenlehrer, dessen Namen wir kaum ohne Kichern aussprechen konnten, da er «Fick» hieß und ich sehe, wie er geduldig dort sitzt und wartet, bis wir ausgelacht haben. Wie die schulterlangen Haare das schmunzelnde Gesicht umrahmen. Und das auch er diesen tief nach innen gerichteten Blick beherrschte, sehe ich nun.

Jetzt erkläre ich Peer zunächst, was ich so mache und welches Instrument ich in etwa suche. Er hört aufmerksam zu und greift zielsicher nach einer Gitarre, auf der ich sogleich zu träumen beginne. Wir sitzen dabei ruhig auf unseren Hockern und lauschen der Sprache des Instrumentes.
Ziemlich bald bricht es aus mir heraus, «ich nehm‘ sie!», und wir sitzen noch eine terele zusammen und unterhalten uns. Hin und wieder kommen Kunden herein und bringen verschiedene Wünsche mit, fragen nach Blockflöten und einer Klarinettenreinigung, nach einem Akkordeon oder einfach nur nach Plektren. Peer weiß stets Bescheid! Sollte er einmal nicht weiterhelfen können, verweist er an einen Kollegen und beweist damit, was für eine ehrliche Haut er ist.

«Wie ist das mit der Konkurrenz im Internet?» Es sei definitiv schwerer geworden, von einst zwölf Musikgeschäften in Wuppertal seien nur noch drei übrig geblieben, ich schüttele ratlos den Kopf. Musikgeschäfte, ihr dürft nicht verschwinden! In diesem Moment spüre ich ja ganz deutlich, wie wichtig dieser Kontakt, die Beratung ist. Mehrmals erzählt Peer, dass er auch Anfängern einfach verschiedene Gitarren in die Hände gibt und erklärt, wie man ein e-Moll greift, um den klanglichen Unterschied zu demonstrieren. Peer! Abgesehen davon, dass das der Inbegriff von gutem Service ist, hast du gerade e-Moll gesagt?! E-B-G?! Mein absoluter Lieblingsakkord!! Vielleicht nimmst du ihn auch als Beispiel, weil er so wunderbar einfach zu greifen ist, auf der anderen Seite ist das E sogar in deinem Namen übermächtig. Nein! Das kann kein Zufall sein, deine basslastige, ruhige Stimme, sie klingt ja auch irgendwie nach e-Moll!

Von den Instrumenten, dem Geruch, von Peer und den Akkorden bin ich wie benebelt und will die Gitarre kaum aus der Hand geben, «wem gehörte sie denn eigentlich?» Ich suchte explizit nach einer gebrauchten, man bekommt mehr für sein Geld und die Gitarre ist schon eingespielt; außerdem braucht man ja auch nicht immer alles neu!
Peer kneift ein Auge zusammen, «einem Herren», drückt er dabei heraus und muss sich eingestehen, nicht mehr berichten zu können. Peer, besten Dank, ich bin doch Schreiberling und meine Fantasie wartet nur auf Lücken zum Füllen:

Ein wenig bitter war es schon, im Kopf saß das Wissen über all jene Zupfmuster und Bassläufe, über Akkordwechsel und die Kadenzen, die er so sehr liebte, doch Heinrichs Hände waren nicht mehr gewillt den Anweisungen folge zu leisten. An diesem Tag bröckelte die Entscheidung in feinem Staub von der Wand, die Zeiger die Uhr mahnten ihn mit überdeutlichen Rotationen zur Vernunft; der Enkel konnte das Geld gebrauchen und so wollte er sie schließlich verkaufen, die Gitarre auf der er schon so lange seine Seele aufspannte. Als sei es ein kleines Kind, setzte er das Instrument auf seinen Schoß, streichelte mit der Hand über die Saiten und drehte zur selben Zeit die Spannung aus ihnen heraus.
«Sei nicht so melancholisch!» Seine Frau, vital und keck wie eh und je, mahnte ihn von der Küche aus quer durch den Korridor. Sie kannte ihren bereits grauen und doch irgendwie noch bunten Hund und seinen Hang zur Melancholie. Er warf ihr im Augenwinkel gespitzte Lippen entgegen, meist hatte sie doch recht, und nun wird ihm mehr Zeit bleiben, um mit ihr zu spielen.

Trotzdem tat es ihm gut, dieses letzte Geleit. Es sang einerseits vom Erlöschen, es tänzelte trunken auf einem sinkendem Schiff und klang dabei doch gleichermaßen nach Sonnenuntergang im lauen Spätsommer.
«Wohin du wohl kommst?»

Zu mir Heinrich, erst zu Peer, dann zu mir und in die Welt; ich werde sie in Ehren halten!


Das bunte Orchester und seinen Dirigenten finden
Sie auf der Klotzbahn 10-12 in Wuppertal oder einfach unter
https://www.der-musikflohmarkt-wuppertal.de

 

Hier jeweils ein Klangbeispiel um den Unterschied zwischen den Stahl- und den Nylonsaiten zu demonstrieren … natürlich in e-Moll ;). 

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