Der Klang des Wortes – Fehlerjäger 02
15. Oktober 2017
„Sprache ist eine Waffe!“ Kurt Tucholski
Um Integration, Inklusion und Assimilation mache ich mir keine Sorgen mehr. Dafür gibt es ein System: Ämter, Lehrer und Fehlerjäger. Viel Geld und Projekte. Die Turbomaschine färbt die bunten Vögel grau, die schwarze Schafe weiß. Die Fehler werden korrigiert, die Wilden gezähmt, die Unebenen glattgebügelt. Eifrig, auf allen Ebenen.
Der Klang des Wortes
Mein Lebenslauf
brüchig, holprig, eifrig
lange Vokale, raternde „rrrr“
Verkratze die feinen Ohren
Verben wie Attentäter,
locken am Ende des Wortes mit versteckter Botschaft
Mich
Wollen fangen, quälen, küssen, killen,
Nicht
Dative und Akkusative spinnen Netzte
falsche Spuren verführen
Verschwörungen mit Präpositionen ausüben
Mit Trotz, Sturz, Schmerz
Der Klang des Wortes
Mein Verräter
Schaut nicht auf mein Maul!
An Fremdsprachenasenasenbluten verwachsen
Denkt Fehler in Versen erblühen
Hoffnung auf Heilung
Abweichungen schreiben meine Biografie
Mankos hören euer Blut in meinen Versen singen
Wer in meinem Auge ein Krümelchen sieht und in seinen beiden zwei Holzbalken übersieht, muss kein Heuchler sein, der sofort zu einem Priester gehen muss. Der Richter urteilt nach Gesetz und Regel, exakt so wie er verurteilt wird. Vom Leben. Wie jeder. Der Jäger, der die Fehler der anderen mit Kerze am heiligsten Tag ausspioniert, wird seinen eigenen nicht entkommen. Wer in meinem Auge ein Krümelchen sieht, braucht meine Nähe und Umarmung, damit die beiden Balken aus seinen Augen verschmelzen in unsere Sünde. Alle „heiligen Bücher“, ob Bibel, Koran oder Duden, verurteilen auf’s schärfste jeder Art des „Fremdgehens“.
Deutsch geht fremd
mit mir
Unsere Affäre begann in einem klapprigen Schnellzug,
Der Zug fuhr über hohe Berge, durch weite Täler
ins Land der Denker und Verbrecher,
um meine Ohren flog ein Wirbel wilder Silben.
Ich verstand nichts. Keinen Buchstaben.
Aus dem Wirrwarr der Geräusche sprang ein Wort heraus,
„Jawohl!“
Ich dachte, ich verstünde es.
es klang für mich wie: „JA VOL! “ – „ich Ochse!“
Der Jägerhut schräg gegenüber schien mir
seinen Ärger anvertrauen zu wollen
– in meiner Muttersprache!
„Jawohl!“
„Ja, vol: ja- ich, vol- Ochse“
Ich warf ihm einen kurzen Blick zu.
Er zog seine linke Augenbraue
hoch und wiederholte:
„Jawohl!“
Ich zwinkerte ihm zu und verzog mich hinter meine Lektüre:
Deutsch als Fremdsprache, ein Lehrbuch für Anfänger.
Am Anfang war das Wort. Der Klang des Wortes. Über mich fielen die fremden Buchstaben wie ein Wasserfall. Ich wusste nicht einmal, wo ein Wort zu Ende geht, und wo das andere beginnt. Ich stolperte über die exotischen Klänge, hoffte auf etwas Vertrautes. Manchmal dachte ich, ein Wort unter Tausenden erkannt zu haben. Es fühlte sich an, als ob ich ein bekanntes Gesicht auf einer einsamen Reise begegnet wäre. Mein Herz schlug schneller, der Blick wurde kühner, das Lächeln selbstbewusster. Und dann stellte sich doch heraus: „nichts als Schimäre“. Das Wort: „Jawohl“ , „Zutritt“, ein Irrtum.
„Wir sind zu zweit in Sozialamt gegangen und irgendwo an der Tür haben wir gesehen ein Schild „Zutritt verboten!“ Mein Deutsch hat gesagt, komm, wir dürfen rein. Ein Sachbearbeiter hat uns angestarrt: „Was macht ihr bitte hier? Habt ihr nicht gesehen, Zutritt verboten? Mein Deutsch meinte, aber wieso, da steht Zutritt verboten, aber wir sind doch zu zweit….“ Vladimir N. aus Russland
Liebe braucht zwei. Streit auch.
Für den Muttersprachler ist Deutsch
wie die Luft.
Selbstverständlich.
Als Gast muss ich ständig denken
An Regeln.
An Grammatik, Syntax, Phonetik
Ohne die Hausordnung zu beachten
Bin ich, der Gast, schnell raus
Deutsch und ich, ein ungleiches Paar, gehen ein Vierteljahrhundert durch dick und dünn. Deutsch, die Schöne, Strenge, Genaue, Harte. Ich weich und improvisationsfreudig.
Deutsch, hat viele Gesichter. Ich auch. Ich öffne ihm mein Herz und er, mein heimtückischer Liebhaber, schlägt zu. Ich mache alles, was er von mir will, gehorche bis zur Selbstaufgabe. Und er lacht über mich. Gemein.
Ich wühle ständig zwischen den harten Konsonanten, breche die Zunge an Umlauten, dringe immer tiefer in die Konjunktive, entziffere mühsam die Phonetik, Semantik, Linguistik. Manchmal versuche ich dem Deutsch meine Regeln aufzudrängen. Die Sprache wehrt sich. Sofort. Mit Händen und Füßen. Ihre Großzügigkeit, immer neue Worte zu bilden, dürfe nicht missbraucht werden. Ich teste die Grenze, springe über den Zaun, will meinen Erlebnissen einen passenden Namen geben, sage: Fremdsprachenasenblutenfehlerjägermeister…
Juhuuuuu! Ein neues Wort, mein Patenkind, wird vom Computerschreibprogramm akzeptiert! Mein Jubel aber nicht!? „Juhuuuu“ wird hier rot markiert. Das Programm erlaubt das Wort nur mit einem „u“ am Ende des Wortes. Im restlichen „uuuuuus“ steckt aber mein Gefühl! Meine Freude, das Erfolgserlebnis, der Sieg! Ich, die Täterin, tue, was ich will. Ignoriere das Programm, beschimpfe es als Besserwisser, als Klugscheißer mit der roten Tinte und juble aus der ganzen Lunge: Juhuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu!
„Sprache ist eine Waffe!“
Deutsch als Fremdsprache ist eine Landmine,
Wer sich mit ihr einlässt, lebt gefährlich.
Entweder ich entschärfe sie
Oder: sie explodiert
Um Integration, Inklusion und Assimilation mache ich mir keine Sorgen mehr. Dafür gibt es ein System: Ämter, Lehrer und Fehlerjäger. Viel Geld und Projekte. Die Turbomaschine färbt die bunten Vögel grau, die schwarze Schafe weiß. Die Fehler werden korrigiert, die Wilden gezähmt, die Unebenen glattgebügelt. Eifrig, auf allen Ebenen.
Der Klang des Wortes
Mein brüchiger Lebenslauf
mein Verräter.
brüchig, holprig, eifrig
Ich schieße mit meinem raternden „rrrr“
Verkratze die feinen Ohren
Eure Verben wie Attentäter,
locken mich am Ende des Wortes mit versteckter Botschaft
Wollen mich fangen, quälen, killen, küssen,
Deutsch und ich
Wir haben es überlebt.
Und aus unserer Affäre sind ein paar kleine freche Kinder entstanden.