Die Kneipe
12. Oktober 2021
Ulli, pass auf, es ist so. 2019. Schon 2019 hab ich da manchmal mutterseelenallein am Tresen gesessen. Da kann ich mein Bier auch zuhause trinken. Setz ich mich vor den Spiegel, dann ist mehr los. Und billiger ist das auch.
Also komm mir nicht mit Corona. Corona haben alle gehabt. Aber da war schon vorher niemand, Ulli. Keine Sau. Und deshalb sag ich, der Lothar macht nicht mehr lang. Der macht nicht mehr lang, und das ist gut so. Der hat fertig, der Lothar. Weißt du, wie alt der ist? 60, 61, sowas. Und wenn die vergessen haben, dem in die Rentenkasse zu zahlen, was sie sehr wahrscheinlich vergessen haben: ein ganz armes Schwein.
Naja, so ist das. Früher haben wir alle gedacht: Hallo, wir sind die Könige! Das ist halt vorbei. Aber Stammgäste nimmst du nicht aus, Ulli, dabei bleibt es. Die Stammgäste sind dein Kapital. Das hat der Lothar nie verstanden. Da hast du einmal dein Portemonnaie vergesssen, einmal schwach auf der Tasche, da ging der Hahn zu. Und deshalb ist da keiner mehr hin, mein Lieber. Corona, von wegen.
Jetzt hat er es noch mit einer neuen Kellnerin versucht. Meint die, sie wär bildhübsch, hat sie selbst gesagt. Ich hab die ignoriert, mein Gott, es gibt schönere. Ist nicht meine Welle, sag ich zu meiner Frau. Ich sag: Zahl du bei der, und dann gehen wir. Und das haben wir gemacht. Und sind dann runter zu der neuen. Die gefällt mir ja nicht. Gar nicht gefällt die mir, schon das Interieur. Aber die nehmen für frisch Gezapftes einen Euro. Null vier!
Klar, Ulli, klar. Das ist der Einstiegspreis. Aber so hab ich das auch bei der Gans erlebt, die waren ewig auf eins fuffzig. Die hatten da immer ein Dreißig-Liter-Fass. Und in zwei Stunden haben die locker zwölf Fässer durch. Dann hatten die mal die Brauerei gewechselt. Das ging auf eins siebzig, aber das hielt sich auch lange. Und jetzt sind sie auf zwei. Aber was krieg ich sonst für zwei? Nichts, Ulli, nichts! Ich will nur mein Bier trinken, in Remscheid.
Und der Lothar, der versteht es einfach nicht. Der lässt ihn verkommen, den schönen Laden. Wirst sehen, am Ende steht der da, mit seiner Zicke von Kellnerin, und zählt aber die Penunze. Das wär früher nicht passiert. Als noch der eine die Kneipe gemacht hat, der eine mit dem Bart. Der, wo immer selbst noch die Leiter hoch ist. Weil oben der Fusel steht.
Weißte doch selber, wie der heißt! Der ist jetzt in Günzburg. Günzburg, Ulli! So sind halt die Zeiten. Ich warte einfach darauf, dass der Lothar die Miete nicht mehr zusammenkriegt. Das ist bald soweit, und dann: Bing! Wechselt die Truppe.
Der ist ja gar nicht Hauptpächter. Der Hauptpächter sitzt auf Malle. Ewig schon. Weiß aber keiner genaues. Ich war neulich auch da. Malle, mein ich. Geht ja jetzt wieder. Und was soll ich sagen! Weißt du selbst, Ulli, weißt du selbst. Die haben Kneipen. Schweden! Finnen! Deutsche! Iren! Holländer! Alle in einem Laden. Und was du sonst noch denken kannst. Pool. Billard. Dart. Wahnsinn. Nur essen kannst du da nicht. aber da musst du dich halt entscheiden. Ob du essen willst oder trinken, Ulli. Im Leben.
Na. Wir wollen mal sehen, wie lange der Lothar es noch macht. Leid tut er mir schon, das geb ich zu. Aber ich hab’s ihm immer gesagt. Jetzt ist es zu spät. Jetzt kommt erstmal der Weihnachtsmarkt, mein Lieber. Und Weihnachtsmarkt, das ist ein Gemetzel, das weißt du. Da kommt keiner gut raus.