03/2022, zwei
8. Mai 2022
Je älter ich werde, desto mehr Kosmetikprodukte reibe ich mir jeden Tag in die Poren. Äquivalent dazu vergrößerten sich über die Jahre die Transportfahrzeuge, die ich für meine Umzüge mieten musste. Mein Kulturbeutel hingegen ist seit ungefähr 1000 Jahren derselbe geblieben. Ich glaube, ich habe gelernt, die Fläschchen und Tiegelchen immer besser ineinander zu schachteln.
Gleich mehrere Erkenntnisse über mein Älterwerden lassen sich aus dieser Handvoll Sätzen herausfiltern: Meine Selbstpraxis wird sublimer. Ich bin in den letzten Jahren wohlhabender geworden (insofern man Wohlstand als persönliche Besitzmehrung beschreiben möchte). Und ich werde effektiver.
Ich erinnere, wie ich für mein erstes Aufenthaltsstipendium packte. Meine gesamten Habseligkeiten, die ich für drei Monate brauchen sollte, passten in einen Reiserucksack und einen kleinen Kabinenkoffer. Dazu schickte ich mir selbst ein Paket mit Büchern an den Residenzort. Abgeschlossen war das Umtopfen. Mein WG-Zimmer konnte ich ohne Weiteres für drei Monate untervermieten, sparte während meiner Abwesenheit also noch einen großen Teil meiner Fixkosten ein. Topdeal, fand ich damals.
Aus Reiserucksack, Kabinenkoffer und DHL-Paket ist diesen März, acht Jahre später, ein Carsharing-Kombi geworden. Aus dem WG-Zimmer eine komfortabel große Drei-Zimmer-Wohnung, die ich nicht mir nichts dir nichts untervermieten kann. Aus der materiellen Genügsamkeit von damals, nun ja, eine von Pandemie und Radsport doll verstärkte Ausdifferenzierung in so ziemlich allem, was mit, nennen wir es, häuslichen Tagesbedarfen zusammenhängt.
Ernährung zum Beispiel. Während der letzten Monate ist Essen immer mehr zu einer Art Treibstoffaufnahme für mich geworden. Ich habe sehr viel Zeit damit verbracht, zu recherchieren, was mein Körper braucht, um bei vielen, vielen Stunden wöchentlichen Trainings auf dem Rad leistungsfähig zu sein, leistungsfähiger zu werden und sich so schnell wie möglich von den Anstrengungen zu erholen.
Um das Ausmaß zu verdeutlichen, um zu zeigen, wie es in den Strandtaschen und Kartons aussieht, die ich in den Kombi-Kofferraum stelle, möchte ich hier einmal exemplarisch das Porridge-Rezept veröffentlichen, das fester Teil meiner Frühstücksroutine ist. Dieser Beitrag ist also sozusagen mein Debüt als Food-Blogger. Endlich, ich habe nichts anderes verdient.
Pandemic Power Porridge, 1 Portion
Zutaten
- 2 EL Haferkleie, mit Keim
- 2 EL Amaranth, gepufft
- 1 TL Leinsamen, geschrotet
- 1 TL Flohsamenschalen
- 1 TL Weizenkeime
- 1 TL Hanfsamen
- 200 ml Hafermilch
- Kurkuma
- Pfeffer
- Muskatnuss
- Kardamom
- Zimt
Topping
- Apfelmark
- Walnüsse
- Kakao Nibs
- Obst nach Saison
- Bei erhöhtem Energiebedarf: 1 EL Leinöl
Zubereitung
Hafermilch in einen Topf gießen, zusammen mit Getreide, Saaten und Gewürzen aufkochen, kurz quellen lassen, Maße in einen tiefen Teller geben, Topping zufügen.
Enjoy. Feel the power. Feel the flow.
Und ja, ich habe das alles mitgenommen, ohne einmal daran zu zweifeln, ganz im Gegenteil. Und ich habe die Nahrungsergänzungsmittel noch gar nicht aufgezählt. In der Lage zu sein, meine Routinen auch an fremdem Ort fortzuführen, ist Haltestange in der U-Bahn der Angst, die beim Gedanken an den Ortswechsel durch meine Darmröhren rumpelt. Die berühmte Linie U-Angst nach Sankt-Nimmerlein, in ihrem Innern riecht es nach Panikwölkchen und Bammelschweiß.
Wenn das alles so schlimm für dich ist, warum zur Hölle hast du dich für dieses Stipendium beworben, warum hast du es angenommen, niemand zwingt dich — könnte man fragen, völlig zu recht, und während meine zusammengepackten häuslichen Bedarfe während der Fahrt hinten im Kombi vibrieren, frage ich mich im Grunde andauernd dasselbe.
Die Antwort ist, ich habe nicht damit gerechnet, wusste schlicht nicht, dass meine während der Pandemie entwickelten Gewohnheiten eine derartige Gravitationskraft entfalten würden. Vielleicht bin ich auch einfach älter geworden, schwerer zu verpflanzen, und habe es bisher nicht gemerkt oder mir nicht eingestehen wollen. Der Schock, den der Kriegsausbruch ausgelöst hat, fügt sein Übriges hinzu. Es ist durchaus als Versuch der Selbstläuterung zu verstehen, dass ich meiner Veränderungsfurcht hier so viel Raum gebe, und ich schäme mich angemessen, das sei versichert.
Nachdem ich das Auto ausgeladen habe, stelle ich in der Wohnung ein paar Möbel um, finde Orte für Kaffemühle und Olivenöl. Ich markiere mein Revier, bald wird es vermutlich nicht mehr fremd riechen, wenn ich zur Tür reinkomme, und dann kommt auch schon der Frühling. 150 Meter die Straße runter liegt ein Erdbeer- und Spargelbauer, es gibt einen Hofladen. Ein großer Edeka, DM, Apotheke, eine Eisdiele, alles da, keine 10 Minuten zu Fuß entfernt. Rennradfahren und Schreiben, als Beruf, was für ein Luxus, was für ein Glück.
Ich habe richtig Bock auf den ersten Porridge.
Mit dem Cerankochfeld werde ich schon klarkommen.