Münsterland am Meer
1. August 2017
Ort: Baumberge | Datum: Mi, 19.07.2017 | Wetter: sonnig, 31°C
Das übliche Nachmittagstief. Die Arme der Wasserpflanze schwingen sanft in der kaum spürbaren Strömung. Die Schnecke am Meeresgrund zieht gemächlich ihre Bahn. Muscheln gähnen den Fischen entgegen. Letztere dümpeln im Wasser, bewegen nur leicht die Flossen. Ein Grollen. Der Blick zur Wasseroberfläche: Nichts deutet auf einen Sturm hin. Aber die Strömung schlägt um. Ein Blick in die Ferne: eine Trübung? Bewegung im Wasser. Die Muscheln schnappen zu. Die Schnecke verzieht sich in ihr Haus. Die Wasserpflanze greift krakend um sich. Flossen schlagen schneller. Die Trübung rollt heran, eine Welle aus – Dunkel.
So war das. Oder so ähnlich. Vor etwa 75 Millionen Jahren. Heute stehen wir mitten drin im Meer, auf dem Grund. Uneben von frischem Bruch. Die Werksteinbänke vor uns. Darüber verschiedene Schichten. Tonmergel, taubes Gestein. Etwa zehn Meter hoch ragt es vor uns in die Nachmittagssonne. Oben auszumachen ein paar Gräser und Buschwerk. Wir stehen in einem der letzten aktiven Steinbrüche in den Baumbergen.
Baumberger Kalksandstein. Der Marmor des Münsterlandes. Hierher kamen die Baumaterialien für den höchsten Hof im Münsterland, den wir eben passiert haben, Hof Meier. Und für das Schloss, den Dom und den Erbdrostenhof in Münster. Ohne den Sandstein sähe es wohl in weiten Teilen des Münsterlandes anders aus.
Marmor des Münsterlandes
Wir sind heute die Einzigen hier im Steinbruch. Jupp, 12 Kinder und ich. Etwa acht Kilometer von unserem Startpunkt, dem Bahnhof Billerbeck und dem Bulli entfernt. Es sind Sommerferien. Heute soll der wärmste Tag der Woche werden. Wir stehen im Schatten am Eingang des Steinbruchs. Laut Temperaturanzeige unserer GPS-Geräte wurde die 30°C-Marke soeben geknackt. Neben uns ein übermannsgroßer, feinsäuberlich abgespaltener Kalksandsteinblock. Dahinter geht es weiter bergab. Abraum, gebrochenes Gestein, Berge davon. Beige, gelblichbraun und gräulich.
Relikte aus einem Land vor unserer Zeit
Jupp zieht aus seinem Wanderrucksack die laminierte Abbildung eines Fossils. Ein Fisch, mit allem Drum und Dran. So einen hat man hier gefunden, in den Baumbergen. Ihn hatte das Seebeben überrascht. Weite Teile des Meeresbodens von einer Sekunde auf die andere eingeschlossen. Muscheln, Seeigel und Tintenfische. Unter Jupps Führung gehen wir selbst auf Erkundungstour, drehen Steine um, suchen am Boden, im Geröll. Helle Ablagerungen in der ansonsten dunkleren Bodenschicht. Zerriebene Muscheln. Jupp fährt die Linie mit dem Finger nach.
Der Steinbruch ist auf unserer Wanderung heute nur eine Station. Wir suchen nach Buchstaben. GPS-Geräte weisen uns den Weg durch die Baumberge, das Münsterländer Meer. Immer wieder blaue Fähnchen auf dem Display entlang der Strecke. Entlang von Feldern und Waldstücken. Überwachsene Hügel. Ehemalige Steinbrüche. Schließlich auch spürbar bergauf. Neben einem Meer nun auch noch Berge im Münsterland. Hier irgendwo ein weiterer Zettel, eingerollt in eine kleine Kapsel. Meist irgendwo am Wegesrand. Und schließlich, am Longinusturm, das Puzzlen nach dem Lösungswort. Im Schatten des Turms. Mit Blick aufs Meer.
Josef Räkers ist Diplom-Geograph und für die Baumbergeregion zuständiger Wegewart. Er hat als Projektleiter den Baumberger Ludgerusweg, dessen Verlauf wir heute streckenweise gefolgt sind, konzipiert und umgesetzt. Und die interaktive Schatzsuche mit GPS-Geräten. Kindern und Jugendlichen so die Geschichte der Region und ihre Natur spielerisch nahezubringen ist ihm ein besonderes Anliegen. Im Oktober führt er im Rahmen des Münsterland Festivals durch die Baumberge. Auf der Suche nach dem Meer und dem Marmor des Münsterlandes.