Einblicke und Ausblicke

Ort: Zwischen Haus Rüschhaus und Burg Hülshoff | Datum: Sa, 29.07.2017 | Wetter: sonnig und bewölkt, 21°C

Von dem Fenster über den Ställen, links von dem weißen zweiflügeligen Tor, konnte die Droste den Hof überschauen. Ein Schritt ans kleine Fenster, ein Blick hinaus aus ihrem „Schneckenhäuschen“. Wenn Hufschlag oder Kutschengeklapper nahte, die Gräfte überquerte und auf dem Vorplatz zum Halten kam. Noch bevor die Küche unten betreten wurde und Stimmengewirr durch ein weiteres Fenster in ihre Stube drang, wusste sie bereits, wer den Hof besuchte. Heute hätte sie uns auf dem kopfsteingepflasterten Vorplatz beobachten können, wie wir die Fassade betrachten. Eine Begegnung der Blicke.

Vor uns liegt das Rüschhaus mit seinen zwei Gesichtern. Hierhin zog die Droste mit 29 Jahren nach dem Tod ihres Vaters, erzählt mir Jochen. Der Bruder Werner übernahm den Familiensitz und Geburtsort der Droste, die Burg Hülshoff. Das herrschaftliche Wasserschloss. Annette und ihre Mutter sowie ihre Schwester Jenny wurden, letztere bis zu ihrer Hochzeit, in der von Johann Conrad Schlaun gebauten Sommerresidenz sesshaft. Ein Landsitz mit großem Bauerngarten und Obstbäumen. Mit barocker Pracht im Gartensaal und westfälischem Schinken in der Küche.

Die Droste erkundete die Landschaft, machte sich oft auf zur fünf Kilometer entfernten Burg. Nicht mit der Kutsche. Jochen erklärt mir, dass das Rüschhaus keine eigene Kutsche besaß. Für besondere Gelegenheiten wurde eine geliehen. Annette war meist zu Fuß unterwegs. Ich muss an Jane Austens Stolz und Vorurteil denken. Die Droste als Lizzy Bennet mit Rocksäumen voller Erde und Kletten? Ihr Blick auf Natur und Umgebung sind in jedem Fall prägend für einen Großteil ihres literarischen Werks. Auch in ihren Briefen berichtet die Droste immer wieder von ihren Ausflügen. Wer ihr Werk kennt, kann auch heute Bezüge zur Landschaft ausmachen.

Du starrtest damals schon
So düster treu wie heut‘,
Du, unsrer Liebe Thron
Und Wächter manche Zeit;

(Aus: Die Taxuswand)

Libellen zittern über ihn,
Blaugoldne Stäbchen und Karmin,
Und auf des Sonnenbildes Glanz
Die Wasserspinne führt den Tanz;

(Aus: Der Weiher)

Während Haus Vögeding so aussieht, als könnten die Droste und Levin Schücking gleich um die Ecke biegen, um hier zu Rasten und eine Creme aus Gänseeiern zu essen, hat der Hof Hüerländer seinen Standort wegen des Baus der Autobahn seit der Erwähnung in den Briefen der Droste geändert. Hier wird Minigolf gespielt, als wir den Weg entlangkommen. Ein Stück renaturierte Münstersche Aa hingegen könnte sich dem, was die Droste damals gesehen hat, wieder annähern. Als sie dort bei Hochwasser gestanden und abgesehen hat, ob die Überquerung des Flusses auf ihrem Weg zur Burg möglich ist. Ein Raum im Wandel.

Entlang von Weihern, Wiesen und Waldstücken. Stromtrassen, Windkraftanlagen und der Autobahn. Panoramen und Details. Schweifender und fokussierter Blick. Hier wird demnächst auch ohne kundige Führung ein Einblick in Werk und Welt der Droste sowie darüber hinaus möglich sein. Zwischen Gräftenhof und Wasserschloss soll eine Droste-Landschaft entstehen. Ein Raum des Dialogs. Zwischen Landschaft und Literatur. Zwischen Werk und Rezeption sowie der künstlerischen Auseinandersetzung durch Autorinnen und Autoren der Gegenwart. Aber auch mit Blick auf die Veränderungen von Natur und Kulturlandschaft. Wandel und Brüche.

Nahe der Burg überqueren wir einen kleinen Bach. Hier hat zu Zeiten der Droste eine Wassermühle gestanden, die sie mit ihren Geschwistern in der Kindheit oft aufgesucht hatte. Sie haben in der Bruchlandschaft gespielt. Eine unbeschwerte Kindheit, wie in Bullerbü? frage ich Jochen. Na, dann aber doch auch mit einer Portion Jane Austen. Die Droste nahm auf der Burg am Unterricht ihrer jüngeren Brüder teil. Unüblich für die Zeit, aber die Eltern bestanden darauf, dass auch die Tochter gefördert wurde. Nichtsdestotrotz hatte man sich als Anna Elisabeth Franzisca Adolphine Wilhelmine Louise Maria von Droste-Hülshoff zu verhalten.

Wir folgen schließlich dem Verlauf der alten Allee des Anwesens, die auf ein weißes Tor zuläuft. Wenn die Droste-Landschaft fertig ist, wird dieses Tor geöffnet. Heute gewährt es zumindest schon mal einen Einblick in das Dahinter.


Dr. Jochen Grywatsch, Leiter der Droste-Forschungsstelle und Geschäftsführer der Annette von Droste-Gesellschaft, hat mir Einblicke in Leben und Werk der Droste und ‚ihre‘ Landschaft gegeben. Außerdem einen Ausblick in die geplante Droste-Landschaft und den Ausbau der beiden Dichterorte. Haus Rüschhaus in Münster-Nienberge und die Burg Hülshoff in Havixbeck sollen durch die Annette von Droste zu Hülshoff-Stiftung unter der Federführung des LWL zu einem Droste-Kulturzentrum und Zukunftsort Literatur ausgebaut werden.

Die Zitate aus dem Werk Annette von Droste-Hülshoffs sind dem Droste-Portal entnommen.

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