Lebensmittel – LandWIRTSCHAFT: Die Politik in der Suppe
21. September 2017
«[Ich würde mir zunächst wünschen,] den Erzeugern Dank abzustatten, dass sie unser Land in einer hervorragenden Form und einem hervorragendem Zustand halten und die Ernährung sichern.»
Als Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, seine Rede zur Präsentation des Agrarberichtes 2015 mit diesen Worten eröffnet, runzelt sich meine Stirn unwillkürlich, ich pausiere das Video und frage mich was er mit einem hervorragendem Zustand meint. Was er mit «Ernährung sichern» meint, verstehe ich. Die riesigen Metallhallen der Discounter, die überall, auch in der letzten Ecke Deutschlands zu finden sind. Doch über welches Land im hervorragendem Zustand spricht er?
Die EU-Kommission hat längst ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, da die Nitratrichtlinien nur unzureichend umgesetzt wurden. Bereits seit dem Jahr 2008 weisen zwischen 17 und 19% aller Messstellen zu hohe Nitratwerte nach.
Die Irritation und die Fragezeichen auf meiner Stirn verfestigen sich im Laufe der Rede, die hin und wieder vom lakonischen Klatschen eines nahezu leeren Bundestages unterbrochen wird. Der abgeordnete Friedrich Ostendorff nennt die Floskeln des Ministers später «leere Worthülsen», während auch die insgesamt 63 Sitze der Grünen größtenteils unbesetzt bleiben. Eine Farce!
Die Rede schreitet voran, Fachjargon vom feinsten, immer wieder wird mit der Wirtschaft auf Lebensmittel geschossen, schnell verstehe auch ich als Landwirtschaftslaie, dass es in diesem, für uns grundlegenden Lebensbereich längst nicht mehr um Ernährung geht. Zumindest sieht die Politik das so: Die Land- und Ernährungswirtschaft hat eine Bruttowertschöpfung von 161 Milliarden Euro. Das ist 6% der Wertschöpfung aller Wirtschaftsbereiche. Wirtschaft. Wirtschaft. Wirtschaft. Das ist wohl der Grund, weshalb unsere schöne Erde, und eben nicht nur «unser Land», mit Chemikalien verpestet wird. Wirtschaft. Wirtschaft. Wirtschaft. Wachstum. Gewinn. Wirtschaft.
Der Irrsinn geht weiter. Stolz erklärt Schmidt, jeder vierte Euro werde im Export verdient, dieser sei jedoch keine Einbahnstraße, verlautbart er mit breiter Brust und randloser Brille. Recht hat er, der Agrar-Schmidti. Woher sollten wir sonst auch unsere Mangos oder Avocados, unsere Bananen und Kokosnüsse bekommen?
Wirtschaft. Wirtschaft. Wirtschaft. Import. Export. Wirtschaft.
Befasst man sich weiter mit dem Agrarbericht, stößt man auf eine gefährliche Entwicklung, die man sachlich-harmlos als «Strukturwandel» bezeichnet. Das bedeutet, dass die Zahl der Betriebe sinkt, während deren Größe, Tierbestand und der Grad an Spezialisierung steigt. Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft. Wie lange dauert es wohl noch, bis wir gleich den größenwahnsinnigen Farmern in Übersee, Tierhaltung und Landwirtschaft im aberwitzigem Maßstab und Steaks zu Schleuderpreisen haben? Also in Mecklenburg-Vorpommern ist bestimmt noch ein bisschen Platz! Herr Backhaus, wie schaut es aus? Könnten Sie noch ein bis zwei Millionen Schweine aufnehmen?
Neben diesem wahnwitzigem Wachstum gibt es außerdem noch eine ganz andere Entwicklung, welche erschreckender nicht sein könnte: In den USA ist das mehr als umstrittene Saatgutunternehmen Monsanto gerade auf dem Weg das sogenannte «Digital Farming» einzuführen. Das sieht dann so aus, dass der Farmer nicht mehr alleine auf seinem Trecker auf weiter Flur sitzt und romantisch in die ferne starrt, nein, er starrt jetzt auf ein Tablet und in eine App, welche ihm genau erklärt was zu tun ist. Wie man sich vorstellen kann, gewinnt am Ende nur einer in jedem Fall; Monsanto. Während der Farmer also schon bald nicht mehr zwischen Roggen und Weizen unterscheiden kann, wird er bald jedoch genug Geld haben um für diese Information zu bezahlen … was für ein scheiss!? Wenig denken steht in den verunsicherten Staaten von Amerika momentan leider unmissverständlich im Trend.
So, durchatmen, genug Weltuntergangsstimmung verbreitet. Es gibt auch gute Nachrichten. Der Anteil an Betrieben, welche ökologische Landwirtschaft betreiben, steigt weiter an. Dieser lag im Jahr 2015 bei mehr oder weniger stolzen 8,7%. Ökologischer Landbau heißt Suche nach Gleichgewicht aus Pflanzenbau und Tierhaltung, heißt im Idealfall Suche nach Symbiose aus Flora, Fauna und nicht zuletzt Mensch. Massentierhaltung und Pestizide, sowie chemischer Dünger sind hierbei ausgeschlossen.
Diese Betriebe finden außerdem neue Wege um ihre Nahrungsmittel an den Mann zu bringen, sei es über einen eigenen Hofladen oder auch die solidarische Landwirtschaft. Im Zuge des nächsten Artikels werde ich mir einen dieser ökologischen Höfe genauer anschauen:
Die Bioland Gärtnerei Nermins Garten am Benninghofer Weg 78 liegt unweit der B7 bei Mettmann. Die Namensgeberin und Wirtin Nermin hat zwei Daumen, einen grünen und einen ökologischen; das schmeckt man! Am kommenden Samstag, dem 23. September, hat Nermins Garten Sommer- und Erntedankfest. Kommen Sie vorbei!
Ich möchte abschließend noch mal auf den Häuptling kleine Gerste zurückkommen. Häufiger kam Schmidt während seiner Rede in Erklärungsnot und warf daraufhin die Bitte in die Runde, man solle, sofern man eine Lösung habe, ihm diese doch nennen. Hochtrabend wollte er so wohl auf die Komplexität des Themas aufmerksam machen und zeigt damit doch nur, dass jene Menschen, die unser Land maßgebend Führen sollten, doch selbst intensiver Führung bedürfen. Dabei ist es ganz simpel lieber Herr Minister: Die Vernunft. Es bedarf der Vernunft um zu sehen, dass der Wachstumswahn, auf den unsere Gesellschaft baut und welcher sich längst schon in der Nahrungsmittelerzeugung breit gemacht hat, die falsche Richtung ist.
Doch wieso sage ich dir das Christian? Du bist ja ein Spitzenpolitiker und hast wahrscheinlich schon zu viel Smalltalk im Kopf und zu viele Anzüge im Schrank um einen Schritt zurück zu gehen oder dessen Dringlichkeit auch nur sehen zu können. Wer weiß, vielleicht überzeugst du uns ja auch alle vom Gegenteil, doch darauf können wir uns nicht verlassen. Deshalb ist jeder von uns aufgerufen, das Thema Ernährung ernst zu nehmen.
Wieso gehen wir überhaupt in die Discounter, die die Welt bedeuten? Wieso gehen wir nicht einfach zum nächsten Bauern und holen uns zumindest das, was er anbietet, regional und zahlen dadurch keine Transporter und Buchhalter und all die unnötigen Mittelsmänner und Bonzen bei Aldi, Rewe und co. Faulheit? Zeitmangel?
Setzen Sie hier Ihre Ausrede ein: ____________. (Meine ist das Hamsterrad des Alltags und die Faulheit!)
Puh, jetzt habe ich Hunger. Im Kühlschrank liegt noch die Leberwurst und das schlimmste wäre die Verschwendung.
Leberwurst. Streichzart. Grob. Bio:
Schweinefleisch (63%), Schweineleber (23%), Speck, jodiertes Speisesalz, Zucker, Dextrose, Gewürze (mit Senf), Kräuter, Antioxidationsmittel. Kann Spuren von Sellerie enthalten. Und eine ordentliche Portion Schuld.
Mal ganz nebenbei. Ein Thema, dass hier aus nervlichen und zeitlichen Gründen nahezu ausgelassen ist, ist das mindestens genauso wichtige Wohl der Tiere. Erst kürzlich stand die hiesige Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz Christina Schulze Föcking im Zentrum des medialen Interesses. Auf jenem Hof in Burgsteinfurt, der bisher unter ihrer, nun der Leitung ihres Mannes steht, wurden verheerende Verbrechen gegen die “Tierlichkeit“ nachgewiesen. Laut Experten sei die Haltung von Schweinen nach EU-Recht in Deutschland ohnehin nicht umzusetzen, Verstöße werden schlichtweg geduldet, auch oder vielleicht vor allem bei der Landesministerin persönlich. Das finde ich total abgeföcked!
Sommerfest am kommenden Samstag, 23.9. ab 14:00 Uhr
Nermins Garten
Benninghoferweg 78
80422 Mettmann