eigenblutbehandlung mit vögeln
22. April 2020
nach dem aufwachen ins spochtdress und dauerläufig zur tremoniawiese getrabt. es ist frischer als die letzten tage, aber die sonne scheint schon schön. als ich am lidl vorbeilaufe sehe ich zum ersten mal eine schlange. sehen ein bißchen aus, wie teilnehmer eines staffellaufs – nur mit taschen statt stäben – wie sie da sicherheitsabständig rumstehen. auf der wiese immer mal wieder vereinzelt jogger, gassigeher oder radfahrer. man weicht sich unauffällig elegant aus, schaut sowieso weg oder demonstriert durch anlächeln sportgeist oder gelassenheit. als ich die wiese runterlaufe kommt mir an der gleichen stelle wie vorgestern die joggerin entgegen, die im laufschritt zwei kinder in einem sportbuggy den kleinen hügel hochschiebt. wir sagen hallo oder so. beim nächstenmal müssen wir uns virtuell einen ausgeben.
die schlange ist inzwischen doppelt so lang. aber die meisten haben wohl jetzt eh nicht so viel zu tun oder scheinens jedenfalls mit fassung zu tragen. könnten gut stille post spielen. erinnerungen an fernsehbilder von der DDR, westpropaganda. ich hatte das schon geahnt und mich frühzeitig fürs wochendene eingedeckt. nicht hamstern, aber vorratshaltung. meine eltern sind wie ruthchen kriegsgeneration und ich hab sowieso keinen bock täglich einzukaufen. da brauch ich keine krisenkanzlerin die mir das anempfiehlt.
auf der kuithanstraße laufe ich an einem mehrfach gefalteten zettel vorbei. der war mir doch schon beim hinweg aufgefallen. als asphaltbibliothekar ist man ja immer im dienst. hatte mir das konzept 1998 ausgedacht, damit ich zum kunstmachen nicht extra arbeiten gehen muss, sondern es gleich nebenbei miterledigen kann. FLUXUS ist LUXUS. also laufe ich wieder zurück, verneige mich vor dem bürgersteig und stecke das objekt meiner begierde mit spitzen fingern tief in die känguruhtaschen meiner alten kapuzenjacke. eigentlich hebe ich jetzt nur noch mit der von mir verpönten greifkralle auf. ist schließlich große kunst und kein müll. aber: keine regel ohne ausnahme, und ich wasch mir eh gleich die flossen und sing dabei schön häppi börsdeh. um 8 dann heuchlerisches gutmenschenklatschen. ich geh lieber auf meine einsame miniterasse mit blick auf die mülltonnen im hinterhof und lass euch einen fliegen.
kurz bevor ich unter der s-bahnbrücke west ins unionsviertel einlaufe fliegt eine elster mit einem großen zweig im schnabel über die straße. auf ihrem baum in den schrebergärten ist schon ein beachtliches nest zu sehen. dem schwarzweißen rabenvogel ist die pandemie scheißegal. endlich mal ein bißchen ruhe vor uns quälgeistern in der heimischen baum-corona. und die egoistischen haustiere schicken herrchen und frauchen gnadenlos ins risikogebiet supermarkt. los, jetzt könnt ihr endlich eure liebe beweisen – ich will futter!
die elster gilt in europa als unglücksbote, in asien als glücksbringer und bei den native americans als ein mit den menschen befreundetes geistwesen. da es hier im kiez so viele asiatische migranten hat, entschließe ich mich sicherheitshalber ihrer lesart zu folgen.
die tage war eine an mich und thomas kapielski gerichtete vogelkundliche email von unserem gemeinsamen freund hans-joachim knust aus hannover eingetroffen: soeben den zilpzalp auf dem balkon gehört. noch etwas ungeübt und schüchtern, aber da. schönen frühling & ornithologische grüße, euer knusti.
2018 hatte ich mit tanja für den mainzer kunstverein walpodenstraße 21 e.V. die fulminante gruppenausstellung DO THE BIRD konzipiert und in der walpodenkademie ausgerichtet. kunsti & seine frau sascha hatten unser großes schaufenster mit einer wunderbaren vogelinstallation bestückt und zur vernissage einen genialdilletantischen klugscheißer-vortrag mit super 8 filmen und musik zum thema gehalten. der oben erwähnte frühlingsbote zilpzalp oder weidenlaubsänger klingt genau so wie er heißt. ganz im gegensatz zum ruf der großtrappe. diese hatte knusti nicht ohne grund als soundinstallation auf die galerietoilette verbannt. so mancher austellungsbesucher hatte auf dem weg zu unserem nun gar nicht mehr so stillen örtchen den rückzug im festen glauben daran angetreten, dass dieses bereits von einem unter heftigsten blähungen leidenden mitmenschen besetzt sei.
ebenfalls in der ausstellung vertreten: der landart-künstler krd HUNDEFAENGER, der ebenso wie ich ungefragt in bad kreuznach geboren wurde. ich hatte seine vogelkotbilder bereits 2016 in meinem artzine ANTIPODES veröffentlicht und gerade ist das empfehlenswerte radiofeature BIRDSHIT wegmarkierungen eines lebenskünstlers über den eingenwilligen künstler, der vogelfedern in bäume hängt, auf deutschland radio kultur gepackt worden.
zuhause angekommen kommt bald der magische moment. ich habe mir gerade meinen starken morgenkaffee mit drei kardamomkapseln gemahlen und aufgebrüht: jeden morgen in der früh, trink ich meine kaffeebrüh… endlich entfalte ich den gefunden zettel. wird er auch beschrieben sein? ich muß lachen als ich die schrift wiedererkenne. absolute premiere: der asphaltbibliothekar hat gerade zum ersten mal seinen eigenen einkaufszettel auf der straße gefunden!
mehr schräge vögel & ostereier in herne: https://youtu.be/i3fh-pa3B7g