Strg-Alt-Entf

Strg-Alt-Entf

Eine Schreibblockade kommt meist unverhofft. Wie ein liebes zahmes Kätzchen schleicht sie sich zur Tür herein, kratzt zunächst am Teppich, reibt sich an der Wand zerstreut einem die Aufmerksamkeit, macht dass man durch seine Behausung tigert ohne zu wissen was man sucht. Einen Moment der Unaufmerksamkeit weiß sie auszunutzen, tapst heran, legt sich einem auf die Tastatur um sich dort zu wärmen und verschwindet nicht mehr. Da sitzt sie nun und schnurrt. Desorientiert durch den Raum rauchend, sich verzweifelnd fragend ob man je wieder Hände und Hirn an einer gleichmutig klickenden Tastatur wird erfreuen können, während der Kater sich immer fester in sein neues Bett krallt. Das Schlauste was man dann machen kann ist, den Schreibtisch oder woauchimmer man schreibt, zu verlassen und wiederzukommen, wenn das Kätzchen von selbst sich einen neuen Platz gesucht hat.

Zu den dümmeren Sachen die man in diesem Falle machen kann gehört, den Computer aus dem Fenster zu werfen oder die Festplatte in die Mikrowelle zu legen. Einige Gespräche mit Kollegen über jenes Phänomen Schreibblockade lassen mich wissen, dass die Kreativität zwar das ein oder andere Mal den Schreibfluss stoppen kann, sich aber dennoch anderweitig ungebrochen Bahn brechen weiß. Ist die Verzweiflung über die Blockade aber noch nicht im Bereich der Verwirrung und der Wut, sondern eher moderat, so wird weniger zerstört, doch zumeist mehr mäßig geweint und ebenfalls noch nicht tagsüber gesoffen, sondern vorallem geräumt und geputzt.

Was man nicht alles tut um ein Kätzchen zu verscheuchen.

Lautes Polieren der Töpfe ist dem einen das Mittel der Wahl, eine andere muss jetzt dringend alle Türen streichen und die Zargen ölen, denn nur dieses schon seit 5 Jahren anhaltende Knarren der Türen führte, vollkommen einleuchtend, da klatscht die flache Hand der Denkerstirn ein lautes „AHA“, zum Stocken des Gedankenflusses! Es muss frei fließen, alle Fenster auf! Wo man schon dabei ist, kann man diese dann ja schnell auch noch putzen, bevor man sich an den frisch belüfteten Schreibtisch setzt. Der Nächste bemerkt auch für ihn selbst ungewohnt plötzlich, dass der eine Schrank nicht zum anderen passt und verliert sich in Ikea-Katalogen oder auch gerne gesehen, in den unendlichen Weiten der Bestellseiten für Büro-Organisations-Produkte. Denn nur ein solch unaufgeräumter Schreibtisch konnte besagtes Blockade Kätzchen anlocken. Nicht wenige verwechseln in ihrer Verzweiflung Schreibtisch- mit Psycho-Hygiene. Kurzum: Alles wird neu sortiert, geschoben und beklebt in der Hoffnung bald endlich wieder saftig durchtippen zu können!

Manchmal muss man aber sofort schreiben, oder will und kann grad eben nicht warten bis das Kätzchen sich von alleine verzogen hat. Also versucht man mühsam um das Kätzchen herum und darunter und darüber ein paar Tasten zu drücken und es ist dann kein Wunder wenn einem die Wörter nicht richtig gelingen wollen. Hin und wieder gelingt es zwar solch eine Kätzchenblockade durch hartnäckige Störungen und vehementes Tastendrücken zu vetreiben, welcher Mensch würde nicht auch, drückte man mit der nötigen penetranz auf seiner Matratze herum, alsbald genervt das Bett verlassen. Es kann aber auch passieren, dass dies das Kätzchen zum Trotz reizt und man es folglich sehr lange nicht loswird. Es gilt also abzuwägen zwischen Vorsicht, Sorgfalt, Einfühlung und roher Gewalt bei der Bekämpfung von katatonischen Tipppatschehändchen und akutem Mutismus der eigenen Schreibstimme.

Bald schon folgen Kampfpanik in den Augen und Angstschweiß im Gesicht wenn man sich nur in die Nähe seines Computers wagt wo das einstige kleine Kätzchen hockt, nun jedoch zu einem fetten Kater gewachsen, der einen unversöhnlich anblickt und man weiß es wird seinen Platz verteidigen.

Auch hier empfiehlt es sich wie sonst auch, dringlichst solch eine Blockade NICHT mit Wasserwerfern oder Pfefferspray zu bekämpfen. Das Betriebssystem nimmt bei radikalen Maßnahmen wie diesen heftig schaden. Eher eignet sich dieser Tipp:

Um vom besetzten Computer zu verschwinden und die Synapsen ein Wenig zu lockern eignet sich der Einkauf, als kurze effizientere und modern Form des Spaziergangs, hier ist speziell der Einkauf von Bier gemeint. Und folgend der Genuss der Beute.

Als ich in den Supermarkt gehe um mir Bier gegen meinen Laptop-Kater zu kaufen, ist es Freitag früher abend und ich fühle mich mit meinen zwei Flaschen Hannen Alt eher langweilig.

Hinter mir in der Schlange stehen zwei Menschen die ich im ersten Augenblick für „so alt wie ich“ halte, beim näheren Blick und ehrlicherer Selbsterkenntnis doch bezeugen muss, dass sie sicherlich eher 10 Jahre jünger sind. Also so 20. Das ist für jeden Menschen älteren Semesters natürlich lächerlich, aber ich befinde mich in dem Alter in dem man sich zu wundern beginnt, dass Menschen die deutlich jünger sind als man selbst, an deren Geburtsjahr man sich erinnern kann tatsächlich schon laufen können, nicht nur das, sogar trinken dürfen, einen verhaften können, oder ihre Fußballkarriere bereits fast beendet haben. Hinter mir also zwei „Wannabes“ geboren etwa im Gründungsjahr der Spice-Girls:

Sie haben zwei große Flaschen Schnapps auf das Band gelegt und eine Flasche Cola. Ich kenne dieses Gemisch von früher, das Rezept geht so: verdünne die Cola in einer möglichst großen Flasche so lange mit Fusel bis sie so blond ist wie eine Limo. Das ist ein beliebtes Getränk zum Vorglühen und besticht durch seine Weekend-Kick-Off Fähigkeiten. Deswegen heisst das Getränk „Freitags-Fanta“.

Die Jungs haben sich schick gemacht, sie tragen Karohemden, in die Hosen gesteckt, haben etwas Gel in die Haare gewalkt und sie riechen bis zu mir nach vorne nach den Deo-Attributen „fresh“ oder „sports“. Es ist wieder irgendeine Sauerei mit der Davidoff Cool Water nicht die Männer von den Boys separiert sondern die stinkenden Idioten von denen mit Stil und Geschmack. Ich möchte hart sein, aber nicht zu hart: der ultimative Idiotenindikator ist nicht natürlich nicht zwingend das Parfüm sondern eher die verwendete Menge. Ein sparsam dosiertes Davidoff mag sicher den Reiz eines Karohemdes markant zu unterstreichen fähig sein.

Ich lehne mich für heute aber mal nicht so weit aus dem Fenster, denn ich selbst trage eine Jogginghose und Schlappen und seit ich angefangen habe gegen das Kätzchen auf meiner Tastatur zu kämpfen habe ich glaube ich nicht mehr geduscht. Der Geruch der Jungs beruhigt mich eher, da er alles übertüncht, was ich evtuell gerade ausdünste. Gestank ist ja eines der banalsten Tabus die es noch gibt und wie soll man heutzutage bei einer Tätigkeit wie einkaufen noch wirklich rebellisch sein, außer klauen und stinken und einfallslosem Randalieren bleibt da nicht viel, auch am Niederrhein nicht. Man könnte ja jenseits der Alt-Bier Grenze demonstrativ Kölsch kaufen, aber ein Großkonzern Supermarkt sagt auch dort freundlich Danke und verteilt Herzchenaufkleber, wo früher vielleicht mal Stadtteilverbot war.

Die Davidoffs hinter mir schwadronieren über Parties, über alles mögliche, dann sagt der eine er werde dieses Jahr zu seinem Geburtstag „was anmieten“ um es dann richtig krachen zu lassen. Angesicht der Flaschen die die Beiden auf das Band legen, denke ich dass dann Heroin in Spiel sein müsste, sie sehen zwar nicht danach aus, aber nach „Freitags-Fanta“ kommt nicht mehr viel auf der Wegbeam-Skala.

-Ja, geil, wann ist das nochma?“ Fragt ihn der andere.

-Erst im November, aber das wird der Hammer.

-ööä November, hamma ey, Karnevalskind.

-Nä, der 23. nisch der ülfte (Anm. d. R. ülf=11) leider. Das wär ja die volle Gönnung

-Nee, das heisst dass deine Eltern disch Karneval gemacht haben. Zähl dochma Ende Februar, Mächz, Aprüll, Mai, Junni, Julli, Ogust, ne September, Oktober..November..bäm, durch den Kanal.

Der Dialiekt ist hier wie man hört, sparsam erhalten, aber doch vorhanden. Das unterscheidet ein bisschen die dialektale Färbung der älteren Menschen, von denen der Jungen. Die Älteren sagen hier noch Noffember, mit einem starken „ff“ welches das nachfolgende „ember“ kräftig nach vorne schickt. Die Jungen sagen Nowämbah!

Ich zähle im Kopf auch die Monate mit bis mich die Kassiererin darauf hinweist, dass sie jetzt Geld von mir braucht.

Ich nehme mir vor das mal zu recherchieren, ob es in Karnevalsgegenden tatsächlich mehr Kinder gibt die im November geboren wurden, als anderswo. Statistisch müsste es ja so sein. Bei wirklich Karnevals-Begeisterten kann ich mir diese Form der Empfängniskontrolle schon allein daher gut Vorstellen, da es ja für die Frau bedeutet, dass sie so schwangerschaftsbedingt kein Karneval aussetzen müsste weil alle Schwangerschaftsmonate außerhalb der Session liegen.

Mit diesem Gedanken nehme ich das erste Alt-Bier meines Lebens vom Einkaufsband mit und gehe nach Hause, also in mein Atelier und fange an gegen den Kater auf meiner Tastatur anzutrinken und anzurecherchieren.

Ich habe Hannen-Alt gekauft. Die Flasche ist wirklich schön, blau und weiß und als Wappen haben sie eine Faust, die auf einen Tisch, oder auf etwas anderes haut.

Das Design sieht aus als wäre es eine erfundene Marke für eine Film-Szene die im Bauarbeiter-Mileu der 1970er spielt. Oder wie man sich im Westen eine Arbeiter Bier Marke im Osten vorgestellt hat oder als wäre Heiner Müller kein Dramatiker sondern ein Grafiker gewesen. Ein Freund von mir ist Zimmermann, er kann eine Bierflasche auf 21 verschiedene Arten mit einem Zollstock öffnen, dessen Faust sieht auch so aus.

Hannen Alt ist aber echt, nicht erfunden. Ich möchte das überprüfen und stelle die Karnevalskinderrecherche hinten an und schaue wo am Niederrhein dieses Bier hergestellt wird. Der offizielle Internetauftritt verheimlicht einiges und verrät dennoch viel: Es gibt nur einen Verweis auf Carlsberg. Das dänische Unternehmen war 1988 eine der ersten ausländischen Firmen überhaupt, die eine deutsche Brauerei aufgekauft haben. Mittlerweile gehören der Carlsberg Gruppe unzählige Biermarken, darunter Astra, Holsten und Lübzer.

Hannen Alt ist bis dahin eine weiten Weg gegangen, von der ursprünglichen Brauerei in Korschenbroich von wo aus sie seit den 1920er Jahren den Altbiermarkt beherrschten, zogen sie in den 1960er Jahren nach Mönchengladbach wo auch noch heute der Firmensitz ist, produzieren und abfüllen lassen sie aber in Krefeld bei Königshof.

Mein Hannen-Alt hat einen ganz gewöhnlichen Kronkorken, der im weiten Bogen durch den Atelierraum fliegt, als ich die Flasche mit einem Feuerzeug öffne. Danach findet er er einen ganz besonders hilfreichen Platz als formschöner Keil unter einem wackelnden Tisch. Praktisch so ein Kronkorken.

Faustkampf.

Das Bier schmeckt malzig, ein bisschen bitter. Nach 3 Minuten ist die Flasche zur Hälfte leer, was auch auf einen gewisse Süffigkeit hindeuten dürfte.

Gut auch, dass dank Hannen-Alt mein Tisch nicht mehr wackelt. Die Hannen Flaschen sahen aber mal anders aus. Sie hatten dieses Plop-Deckel mit Drahtbügel. In den 60er Jahren führte man aber flächendeckend die Euroflasche ein, das sind die mit Kronkorken wie wir sie heute kennen. Die Bügelflaschen verschwanden, auch weil sie in der Anschaffung teurer waren als die neuen Euroflaschen, denn diese wurden auf viel leichtere und kostengünstigere Plastikkisten genormt. Die schweren Holzkisten in denen die Bügelflaschen ausgeliefert wurden, hatten ausgedient.

Doch die Brauereien und die Kunden ziemten sich, sie mochten ihre altmodischen Bügelflaschen und wollten sie behalten. Was einen bei Altbiertrinkern nicht wundern sollte, haben diese doch nicht mal in den 1870ern die Umstellung auf das „neue Bier“ („Pils“, my friend was the new shit in 1875) mitgemacht, wieso sollten sie dann so plötzlich bereit sein innerhalb weniger Jahre auf neue Flaschen umzusteigen? Doch Hannen Alt ging nicht nur mit dem Trend sondern stramm voran und stellte um.

In einem Spiegel-Bericht von 1967 den ich im Stadtarchiv der menschlichen Zivilisation, also dem Internet gefunden habe, steht folgendes:

Für einen Kinderspielplatz in Willich bei Krefeld spendete Günther Dicker, Direktor der Hannen Brauerei 10 000 Mark. Dafür darf er auf dem Kirmesplatz der Stadt neun Millionen leere Bierflaschen stapeln, die seine Firma nie mehr benutzen wird.“

( https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46290007.html )

Neun Millionen entrümpelter Bierflaschen! Auf dem Kirmesplatz! Was für ein Spektakel. Dort wo sonst das Dosen umwerfen mit dem Soft-Ball stadtfindet! Wo sind die Flaschen hin? Leider ist der Artikel ohne Foto, also machte ich mich auf die Suche….

 

 

Theater Krefeld. Sind hier die 9 Millionen Bierflaschen gelandet, eingeschmolzenes Altglas, welches nun als dekorative Fenster prächtiger Kulturinstitutionen als transparenten Wind und Wetterschutz dient?

 

Nach einigen Anrufen im Krefelder Stadtarchiv stieß ich schließlich Im Netz auf das Krefelder Fotoarchiv. Der Online Dienst bietet alte Pressefotos zum gebührenpflichtigen Download oder zum Bestellen als Abzug an. Man bekommt dort die komplette Breitseite aus mehr als 50 Jahren fotografischer Lokalberichterstattung, ich kämpfte mich vorallem durch die Jahre 1965 bis 1967:

Reitturniere, Spatenstiche, Supermarkteröffnungen, Männer in Anzügen, Frauen in Kostümen, Frauen in Kleidern, umgestürzte Bäume, Katzen auf Bäumen, recht viele Bilder von verunfallten Autos, Feuerwehrmenschen, Polizisten, Ringer, Boxer, Badmintonspielerinnen, Karneval, Schützenfest, Schwimmsport, ein Mann der ein Tigerbaby vom Bahnhof Krefeld aus durch die Stadt trägt, Einblicke in Privatwohnungen, in Konferenzen in Berufsalltage. Alles in kontrastreichem schwarz-weiss fotografiert und mit für unsere heutiges Auge ungewohntem ästhetischem Anspruch an solide Form von Komposition und Licht. Es ist eine faszinierende Reise in eine vollkommen andere Zeit. Wie naiv diese, eher wie Figürchen aussehenden Menschen in ihrer aufgeräumten Welt wirken.

Es ist fast als schaue man sich eine gut ausgestattete sorgsam inszenierte Modelleisenbahnsammlung an, dessen Besitzer sich aber weniger für die Bahnschienen und die kleinen Waggons, sondern vorallem für die Interaktion der dazugehörenden Plastikfigürchen interessierte.

 

Nach stundenlangem wühlen aber fand ich schließlich dieses Bild:

Leere Bügelflaschen frieren auf der Ersatzbank wie Ersatztorhüter beim FC Bayern. (c) www.krefelder-fotoarchiv.de ; Rudolf Brass

 

Meine drei Flaschen Hannen Alt sind nun leer und der Kater ist verschwunden.

 

 

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