„GHOST“
6. März 2020
erste eindrücke sind wichtig, zumindest sagt man das so. besonders wichtig ist festzuhalten, dass ich meine nicht direkt in den blog, sondern in ein worddokument vorschreibe. der grund dafür: kein wlan. es ist fast bisschen zu klischeehaft, aber seit ich gestern angekommen bin, funktioniert das internet nicht. das einzige netzwerk, das mir mein handy im schloss anzeigt, ist eins mit dem namen „GHOST“. das ist lustig, aber leider ist auch damit keine verbindung möglich. ob es am dorf liegt oder an den dicken wänden, das weiß ich nicht; vermutlich liegt es wie immer und überall am router.
vollkommen auf mich und mein glücklicherweise pralles datenvolumen (monatsanfang) zurückgeworfen, wohne ich jetzt also im schloss, richte mich ein, schaue durch große, schöne fenster und stelle mir fragen. zum beispiel würde ich mich gerne darüber informieren wo man hier geld abheben kann oder wie weit der nächste bahnhof weg ist. weil ich nicht schnell 43 tabs öffnen und googlen kann, um antworten zu finden, stelle ich mir einfach noch mehr fragen, zum beispiel frage ich mich was genau ETFs sind, wo und wie die aubergine wächst, würde gerne mehr über alpakas (meine nachbarn) herausfinden oder einfach so, wie sonst auch, sämtliche tiefergehenden gedankengänge und tierferliegenden gefühle, die einen überkommen, wenn man allein ist und zeit hat, wegscrollen.
dann zum dorf. vorhin laufe ich das erste mal durch den ort und sehe auf dem weg vor allem roten klinker. alles ist in mattem, dunkelroten klinker gehalten: eine pizzeria (geschlossen), eine kirche, eine brennerei, noch eine kirche. die häuser wirken ein bisschen müde, nicht bereit für die woche, aber naja, denke ich, es ist montag. auch der einzige bäcker auf der „hauptstraße“ sieht geschlossen aus, obwohl er laut angegebenen öffnungszeiten geöffnet ist. ich laufe weiter und komme an „Steffies Haare“, „Fitness am Kamin“ und einer „ERGO“-versicherung filiale vorbei. es könnte auch eine straße im norden sein oder in ostfriesland oder in holland. auf einem vereinzelten plakat an einer laterne wird für ein schützenfest am 21. märz geworben, 8 euro, die veranstaltung gibt es auch bei facebook. die SPD, so sagt sie in einem glaskasten gegenüber einer der kirchen, möchte hier finanzen stärken, wohnraum schaffen, bildung ausbauen, klima schützen.
vor dem aldi unterhalten sich zwei mittelalte frauen über corona, aha denke ich, das dorfgespräch, und finde es im selben moment peinlich, sowas zu denken. generell finde ich es peinlich, über etwas zu urteilen, das ich nicht kenne, für mich ist das hier gerade einfach paradise, ich lächle jeder und jedem, der/die mir entgegen kommt überfreundlich zu, wahrscheinlich denken sie, dass etwas nicht stimmt mit mir, es ist schließlich grau und montag. der aldi selbst ist so wie jeder andere aldi auch, ein bisschen größer vielleicht als die, die ich kenne. eine kleine frau in jogginghose bugsiert zwei überquellende einkaufswagen in richtung kasse; irgendwie hektisch stapelt sie ca sieben pakete butter in einen der beiden. ob das prepping wegen corona oder ein normaler einkauf auf dem dorf ist, frage ich auf instagram. die antworten scheiden sich 50/50.
[06.03.]mittlerweile hab ich wlan, sie haben mein netzwerk „KleinKoeln“ genannt. ich finde das süß, der empfang ist mittel bis schlecht. was das hier für ein dorf ist und was es ausmacht, das weiß ich nach fünf tagen nicht. was ich weiß, ist, wo man geld abheben kann (bei rewe im nächsten dorf), dass das hier eine kleinstadt ist, bestehend aus sieben gemeinden, dazwischen viel straße und feld. ich selbst bin tiefenentspannt, mittlerweile mobil (e-bike) und liebe, stand jetzt, alles: die naheliegende autobahn, die nachts laut ist, viel lauter als in der stadt, den park hinterm schloss, die alpakas, die tatsache, dass nichts passiert, obwohl das hier nrw ist. vielleicht liebe ich es auch, weil es nrw ist. ein mitbewohner im schloss sagt, man müsse sich in die dorfgemeinschaft hineinsaufen, wenn man teil von ihr sein will. der müll wird mittwochs abgeholt.