social distancing
15. März 2020
die apokalypse kündigt sich seit längerem an, aber jetzt, wo sie da ist, kommt es doch plötzlich. alles fühlt sich unwirklich an; spitzt sich über die woche zu, entwicklung dynamisch, situation außergewöhnlich. ich hänge an den lippen von virolog*innen, expert*innen und sogar von angela merkel. als die sich zu wort meldet, und dann auch noch in einer live pressekonferenz, wird vermutlich auch dem letzten, an die schweigende kanzlerin gewöhnten millennial klar: es ist nicht normal. tschüss, machs gut und see you.
tage im corona-tunnel, ängste weginformieren. der ursprüngliche plan, am wochenende nach köln zu fahren für einen gig und um freund*innen zu sehen ergibt sich im stand der dinge. klicke mich durch instagram stories: absage, absage, absage, bleibt gesund, seid solidarisch, noch eine absage. kollektive verzweiflung der kreativen, versammelt um ein lagerfeuer fehlender finanzieller sicherheit und ungewisser zukunft. die stimmung ist dramatisch.
stattdessen also telefonieren und schreiben mit leuten, das internet bleibt, hoffentlich bleibt es. trotzdem wird mir klar, dass das hier eine andere soziale isolation wird, als gedacht. auf eine art quarantäne war ich eingestellt. eine schreibresidenz im generellen und dieser ort im speziellen erfüllt auch ohne virus alle voraussetzungen für sehr eingeschränkten menschlichen kontakt. ich muss mich also nicht wirklich umstellen, im gegenteil, für „so wenig soziale kontakte wie möglich“ ist dieses schloss wie gemacht, sehr schön sogar, vielleicht geht es nicht besser. tagsüber sind die räume hell und weit, abends warm und gemütlich, der himmel manchmal rosa oder orange, an der grenze zum kitsch im wassergraben gespiegelt. in meiner kleinen stadtwohnung wäre das alles nicht so gut bis gar nicht zu ertragen. fast beruhigend außerdem die tatsache, dass es gerade allen so geht. allumgreifender rückzug, europa steht still, zusammen allein, ohne zusammen zu sein.
das postulierte „stay home“ fällt unter diesen umständen also leicht. trotzdem weiß ich, dass manchmal schon ein sehr grauer tag zuhause ausreicht, um aus alleinsein einsamkeit, aus leichtigkeit schwermut zu machen. das hat erstmal nichts mit dem dorf zu tun, es wäre in der stadt vermutlich ähnlich; schlecht und einsam fühlt man sich hin und wieder schließlich überall. die einsamkeit in der großstadt ist allerdings – das kann ich bisher sagen – eine andere, sie nistet sich in der hektischen anonymität des nahen beieinanders ein, tarnt sich als oberflächlicher kontakt oder als rückzugsmaßnahme, wenn das draußen zu viel wird. hier hat sie mehr platz, schwirrt durch die luft, ist offensichtlicher, ehrlicher, lauter. vielleicht lässt sich besser mit ihr umgehen.
um aus dem corona-tunnel auszubrechen und für lebensmittel fahre ich in den nachbarort und laufe ein bisschen rum. als ich das erste mal hier war, war mehr los. heute wirkt es leerer, trostloser und ich habe nach 10 minuten das gefühl, mir den ort erschlossen zu haben. die hauptstraße säumt einzelhandel: elektronik fachgeschäft, mode-boutiquen zielgruppe frauen 50+, kirche (auch in diesem ort gibt es mindestens zwei), fahrschule, ein grieche, ein döner, in dem auch pizza und burger verkauft wird. das ganze wirkt wie von einem deutschen mittelschichtsmann zusammengestellt. wie um den gedanken zu bestätigen entdecke ich dann eine art craft beer geschäft, das an die brauerei angeschlossen ist und hier von allen läden am urbansten aussieht. ich gehe schnell weiter. mein ursprünglicher plan, mich ins einzige café des ortes zu setzen, fällt der gegebenen lage zum opfer. was der gegebenen lage sonst noch zum opfer fällt, wird stündlich mehr.
ich laufe weiter in das, was bis vor kurzem wohl der ortskern war. lotto totto, ein eiscafé, ein italiener (intermezzo), ein schreibwarengeschäft und ein cbd-shop. hier ist kaum jemand. der neue mittelpunkt hamminkelns scheint dahinter zu liegen : rewe, dm und takkofahion, dazwischen parkplatz (voll). vor dem supermarktregal (ganz normal gefüllt) frage ich mich ob die regale wohl manchmal auch die leere in uns fotografieren, kaufe mehr ein als sonst, es ist mir unangenehm, auf dem rückweg schneiden die riemen des viel zu schweren rucksacks in die schultern. zurecht, denke ich.