Do it yourself!
18. Mai 2020
Ein paar Tage brauche ich schon, um meinen virtuellen Besuch in der Wunderkammer der Zukunft zu verarbeiten. Die Veranstaltung glich einem Ritt durch Space Mountain. Das ist Pflicht, wenn wir das Disneyland besuchen, dann fordern die Kinder auch immer eine Fahrt im Tomorrowland ein. Man wird darin mit einer Geschwindigkeit von 75km2 in zahlreichen Saltos während zweieinhalb Minuten 36 Meter hoch geschleudert. Wenn ich in dieser Attraktion sitze, muss ich immer die Augen zumachen, sonst überlebe ich den Tripp nicht.
Die Attraktion inspirierte sich an Jules Verne „Von der Erde zum Mond“. In seinem Roman von 1865 hat Verne tatsächlich viele Einzelheiten der echten Mondfahrt vorausgenommen. Max Thinius imaginiert, ähnlich wie Verne, die Zukunft. Genau wie im Space Mountain brauche ich erstmal Dunkelheit, Isolation. Um den wilden Ritt des Vortrags von Max zu überstehen, lasse ich meine Kamera in der Videokonferenz erstmal ausgeschaltet und höre nur aufmerksam zu. Max Thinius ist Futurologe und hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Zukunft zu gestalten, indem er als Berater und Seminarleiter auftritt. Er erzählt beispielsweise von E-Residenz in Estland, der dänischen Brauerei Mikkeller, die sich auch für eine pazifistische Vision der Zukunft einsetzt.
Es geht um eine digitalisierte Welt und die vollkommen neuen Möglichkeiten, die diese bietet. Online wird zuzusagen ein Selbstmade-Kit angeboten, der dem Benutzer erlaubt, sich selbst in einem bestimmten Bereich zu perfektionieren. Orte werden zunehmend dezentralisiert. Wir können heute auf dem Land leben und weiter mit der Stadt verbunden bleiben. Vor der Industrialisierung heizten die Menschen ihre Unterkunft mit Brennmaterial. Während die Industrialisierung die Menschen vom Land in die Stadt trieb wurden die lokalen Heizanlagen von zentralen Heizkraftwerken übernommen. Die Digitalisierung kehrt diesen Prozess um, erklärt Max Thinius, in der Zukunft werden wir uns beispielsweise über Solarenergie selbst versorgen können. Die Vernetzung schützt vor einem eventuellen Ausfall. Es ist eine Zukunft, die bereits existiert und die vielen Menschen Angst macht. Vor einigen Jahren wurde dies in dem Begriff der Urbanisieserung veranktert.
So stellt der Historiker und Museumsleiter Dr. Eckhard Trox die Frage nach Herrschaft und Dienerschaft im digitalen Zeitalter. Auch darauf hat Max Thinius eine Antwort, er erzählt von moderner Sklaverei, in der Giganten aus dem Netz sich unserer Daten bedienen, uns praktisch ausbeuten und zu modernen Sklaven machen. Aber das ist kein Grund sich der Digitalisierung zu verwehren, sie ist eine Zukunft, die bewusst gestaltet werden muss und das ist die Arbeit von Max Thinius.
Gerade in der Coronakrise haben wir gesehen, wie wichtig Digitalisierung ist, auch, um einen Ausgleich zu schaffen, gegenüber der rasanten und umweltzerstörenden Mobilität. Die Konzepte von dem Futurologen Max bieten auch eine Entschleunigung. Er gibt das Beispiel, wie er in Kopenhagen in einer Gemeinschaft aktiv sein kann, ohne selbst immer physisch anwesend sein zu müssen.
Dies scheint aktuell in der Klima- und Coronakrise eine Grundvoraussetzung zu sein, um weiter in einer offenen und friedlichen Welt zu leben. Wir können alternative Konzepte mit moderner Innovation sehr gut verbinden.
Während des Corona-Lockdowns habe ich das selbst mit der Schule meiner Kinder sehr intensiv erlebt. Am Anfang war da Panik. Die Lehrer begnügten sich damit, uns Lernpakete zu schicken. Verzweifelt saßen wir vor Aufgaben wir Bruchrechnen, Restedivision oder Partizipien. Wutanfälle wechselten sich ab mit Anfällen von Hysterie. Mit der Zeit aber wurde das Material innovativer, es gab Links zu Videos auf Youtube, die den Kindern, sowie auch mir, das Bruchrechnen spielerisch erklärten. Eine Freundin schickte mir den Dokumentarfilm „être et devenir“ (sein und bekommen), indem es um Familien geht, die ihre Kinder nicht in die Schule schicken. Die Vision, dass Kinder auch begleitet und frei lernen können und nicht nur in Institutionen, hat mir geholfen, meine Panik zu überwinden und die täglichen Emails der Lehrer als eine Art Do it yourself Kit zu nehmen, mit der ich das Lernen der Kinder innovativ gestalten konnte. Ich weiß heute, dass meine Kinder nicht dauerhaft in die Schule gehen müssen, sie können digital lernen. Theoretisch könnten wir morgen nach Lüdenscheid ziehen, meine Kinder von dort weiter eine französische Schule virtuell besuchen. Wir müssten dazu gar nicht in große Städte, nach Düsseldorf, Frankfurt, Berlin oder Hamburg, ziehen. Also dort, wo französische Familien leben müssen, wenn sie nach Deutschland zum Arbeiten kommen, und sicher gehen möchten, dass ihre Kinder weiter vom französischen Lernsystem mit direkten, sei es auch nur virtuellen, Kontakt gefördert werden.
Die „Wunderkammer der Zukunft“ ein Projekt Museen der Stadt Lüdenscheid verbindet auf innovative Weise lokale Wirtschaft, Industrie, Stadtplanung und Kultur. Sie dient dazu über unsere Zukunft zu reden und Impulse zu setzen. Lüdenscheid leuchtet und strahlt weit in die Zukunft hinein.