Der Typ

Du, ich bin einfach nur froh, wenn ich heute hier rausgeh. Ich komm hier jeden Tag mit guter Laune. Sagen alle: Sonnenschein. Und so will ich auch wieder gehen.
Aber der Typ? Der Typ?!
Ich versteh ja alles erstmal. Vielleicht Drogen. Oder Familie. Sicher hat der es auch nicht leicht. Das ist aber noch kein Grund.
Nein, Doris, nein. Du machst dir keine Vorstellungen. Der vergrault mir die Leute. Das ist mal das erste. Und das zweite ist: Der riecht. Das hab ich denen auch gesagt. Ich so zum Ordnungsamt: Ich kann da gar nicht rangehen! Wobei, erstmal war ja immer noch Polizei.
Ich erstmal die Polizei angerufen, aber die Polizei kommt nicht raus. Die kommt einfach nicht raus, Doris, die kann nur Knollen eintreiben, sonst nichts! Aber Knollen eintreiben, das können die. Du, ich muss mal auf die Uhr gucken. Hab noch Pause, aber nicht mehr lang.
Jedenfalls, ich also dann Ordnungsamt angerufen. Und die sind auch gekommen, sechzehn Minuten später. Da hast du nur gehört: Mit dem kann man nicht umgehen, woll? Ja, vielen Dank, das hab ich auch schon gemerkt.
Die haben den dann weggeschickt. Eine Stunde, dann stand der wieder da. Wieder Krawall gemacht, wieder die Leute angeschrien. Unmöglich, Doris, unmöglich! Der macht da eine Riesenwelle. Ich sag ja, der tut mir auch leid.
Aber was das soll? Der steht mir direkt am Eingang! Ich so: Ist der von der Konkurrenz? Jetzt hab ich noch fünf Minuten. Dann muss ich wieder rein. Weiß nicht, was ich heute noch machen soll. Doris, mir ist ganz schwindlig!
Aber ja.
Aber ja.
Gibt immer zwei Seiten, woll?
Aber wenn vor deinem Laden einer ausrastet, über Stunden, da kriegst du es einfach mit der Angst.
Wir jedenfalls: Nochmal das Ordnungsamt. Und da geht keiner ran. Und wir: Wieder angerufen. Bescheid gesagt, Viertelstunde, kommt keiner. Und natürlich kommt auch sonst keiner mehr. Würd mich da auch nicht in die Nähe trauen.
Hab gedacht, nicht, dass der mir noch, ich weiß nicht, Doris, was ist mit den Leuten? Also wieder beim Ordnungsamt geklingelt. Kommt keiner, woll?
Nein.
Ich schwöre.
Ich. Schwöre. Es. Dir.
Doris! Die haben gesagt: keiner frei.
Wir schreiben jetzt einen Brief.
Wir schreiben einen Brief, der geht direkt an den Bürgermeister. Die Brigitte, die kennt sich da aus. Der geht ins Rathaus, bis ganz nach oben, und dann sehen wir mal. Hat die Brigitte gesagt. Und ich sag: Mir reichts für heute. Ich geh da nicht wieder rein. Doris, ich war gestern beim Arzt. Du weißt nie, wie lang das Leben noch geht. Schau dir die Jessica an. Der Jessica, der haben sie es letzte Woche einfach ins Gesicht gesagt. Was meinst du, wie sich ein Mensch da fühlt? Was meinst du, was da los war.
Ich hab morgen erstmal Friseur. Das ist auch nötig. Und dann sehen wir weiter. Da war nur noch ein Termin freu. Aber der geht ja in einer Stunde durch bei mir. Und wenn ich Montag wieder in den Laden komm, und wenn dann da immer noch der Typ ist, und wenn der dann immer noch schreit, dann weiß ich auch nicht, woll?
Ich mach jetzt Schluss.
Aber schnell, sonst guckt noch mein Chef.

Mehr von Tilman Strasser