Der Arbeitsvorbereiter (Teil I)

Ich fahre mit dem Bus nach Müllenbach, Fahrtzeit: 21 Minuten. Über Nacht hat es geschneit, die kahlen Hänge sehen gespenstisch aus. An der Haltestelle Dorfmitte muss ich aussteigen. Vom Bus aus sehe ich Marc schon in der überdachten Bushaltestelle stehen.

Müllenbach ist die Wiege der Straße der Arbeit. Marc zeigt mir das Haus der Geschichten, das Haus, in dem bis vor wenigen Jahren Harry Böseke, Erfinder der Straße der Arbeit und Autor des gleichnamigen Buches, gewohnt hat. Einmal im Monat kamen die Leute nach Müllenbach, um antiquarische Bücher zu leihen oder zu tauschen, Lesungen und Vorträge zu hören, es gab Kaffee und Kuchen. Es war immer was los. Auch Marcs Mutter war im Haus der Bücher aktiv gewesen. Es gibt in der Gegend kaum jemanden, der Harry Böseke und das Bücherdorf nicht kannte. Als Harry starb, starb mit ihm auch das Bücherdorf. Nur seine Bücher gibt es noch. Und die Straße der Arbeit. Und auf der laufen wir jetzt Richtung Börlinghausen.

Metamorphosen eines Familienbetriebs

Marc ist gelernter Industriemechaniker, das ist ein Schlosserberuf in der Industrie, er hat nach Lehre und Gesellenprüfung verschiedene Weiterbildungen und schließlich auch seinen Meister gemacht – der klassische Werdegang, sagt Marc. In den letzten 30 Jahre war er durchgehend in der Industrie tätig. Die Industrielandschaft hat sich stark verändert in dieser Zeit, viele Firmen haben Personal abgebaut oder ihre Produktion in andere Länder ausgelagert, und entsprechend oft hat auch Marc das Unternehmen gewechselt. Im Laufe der Zeit ist er von der Herstellung in die Konstruktion und Planung aufgestiegen. Aktuell arbeitet er in der Arbeitsvorbereitung und plant und steuert die Prozesse. In diesen Bereichen ist immer stärker digitalisiert worden. In der Firma, in der ich den Beruf gelernt habe, gab es EDV bereits in den 1990er Jahren, das waren riesige Apparate, die hatten diese 13-Zoll-Monitore in Gelb, grüne Schrift, keine Grafik. AS400 hießen die. Davor gab es eine Lochkartenanlage, das habe ich aber selbst nicht mehr miterlebt.

Seit zwei Jahren arbeitet er in einem Unternehmen, das Bremsbeläge für Lkw herstellt. Schon sein Vater war dort 45 Jahre lang angestellt. Damals war es noch ein Familienbetrieb. Der hat dann aber einige Metamorphosen durchgemacht, wurde an einen Konzern verkauft, dann an den nächsten Konzern. Aber es gibt das Unternehmen immer noch, und durch einen Zufall ist Marc nun ebenfalls hier gelandet. Er steht allerdings nicht mehr selbst in der Halle, sondern steuert die Arbeitsvorbereitung und Fertigungssteuerung. Weil diese Prozesse mit SAP gesteuert werden, unterhalten wir uns die nächste Viertelstunde über Fußball und den FC Hoffenheim, deren Hauptsponsor der Gründer von SAP Dietmar Hopp ist.


Hier könnte ein Exkurs darüber stehen, ob man Fußball als Arbeit bezeichnen kann.

Marc hat die Wanderroute, die ich ihm gemailt habe, komplett abgespeichert und weiß auswendig, wie wir gehen müssen. Eine perfekte Arbeitsvorbereitung.

Wir hatten früher deutlich mehr Industrie hier in Marienheide, sagt Marc, das waren Quoten von 70 Prozent im verarbeitenden Gewerbe, mit Fabriken, die 600 bis 700 Angestellte beschäftigten. Er fasst die Geschichte der Arbeit im Oberbergischen so zusammen: Früher gab es hier überwiegend Landwirtschaft, dann haben die Leute in den Gruben und Steinbrüchen gearbeitet, nach dem 2. Weltkrieg sind sie in die Fabriken gegangen. Deshalb war Arbeit für Marc, der hier aufgewachsen ist, immer etwas, das mit Handwerk und Herstellung zu tun hatte. Erst in den letzten 30 Jahren ist der Dienstleistungssektor dominant geworden.

Wo die Wupper noch Wipper heißt

Seine erste Stelle hatte er in einem Betrieb, der Laden- und Betriebseinrichtungen herstellte, Regale aus Metall zum Beispiel, für Supermärkte. Schon sein Opa und seine Mutter arbeiteten in dieser Firma, allerdings nicht zur selben Zeit wie Marc. In der Abteilung, in der Marc gearbeitet hat, wurde viel geschweißt. Wir haben das Material zugeschnitten, das waren Stahlprofile, die wurden geschnitten, gebohrt, geschliffen, alles in klassischer Handarbeit, sagt Marc und ich sehe Marc in einer sehr großen Fertigungshalle mit hohen Decken stehen und schweißen, hämmern und schleifen und an einer Wand sehe ich, wie immer mehr Regale dazukommen und nun sehe ich eine Kette und dann mehrere Regalketten, und plötzlich stehen die Regalketten nicht mehr in der Fertigungshalle, sondern im Supermarkt, im Lidl, denn ich denke bei Supermarkt immer Lidl, weil ich mal neben einem gewohnt habe (Damals als die Verkäuferinnen bei Lidl noch die Preise aller Produkte auswendig wussten, was ich immer bewundert habe.)

Wir sind mittlerweile in Börlinghausen und schauen uns die Quelle der Wupper an, die man vor dem Restaurant „Zur Wupperquelle“ besichtigen kann. Wobei, sagt Marc, dies hier nur die stilisierte Quelle der Wupper ist. Denn die Wupperquelle speist sich eigentlich aus drei Dutzend Mulden auf der anderen Seite des Hauses. Hier in Börlinghausen heißt die Wupper übrigens Wipper, erst ab Wipperfürth-Ohl heißt sie dann Wupper.

Wann hat es aufgehört mit dem Schnee?

Wir sprechen über den Schnee. Auf den Aufnahmen, die ich von unserem Gespräch gemacht habe, kann man das Knirschen unserer Schritte auf den gefrorenen Wegen hören. Müllenbach war mal ein Wintersportzentrum, erzählt Marc, es gab Skilifte, es gab sogar eine Sprungschanze hier, aber das war noch vor meiner Zeit, sagt Marc, in den 1920er Jahren. Ich weiß nicht genau, wann es endgültig aufgehört hat mit dem Schnee, sagt Marc. Anfang der 1990er Jahre kaufte man noch eine neue Pistenraupe, aber schon bald schneite es nur noch selten. Und dann noch seltener. Der Skilift ist inzwischen abgerissen.

Wir suchen die richtige Abzweigung, um zur Brucher Talsperre zu gelangen, ich kenne das hier ja seit Jahrzehnten, sagt Marc, aber ohne Bäume sieht alles ganz anders aus. Ich bin ja mit diesen Fichtenwäldern aufgewachsen. Die Fichten nannte man auch Preußenbäume, weil die Monokultur eine Idee der Preußen war.

Naja, immerhin ist jetzt die Aussicht besser. Man kann zwar nicht ganz bis nach Preußen schauen, aber immerhin bis nach Westfalen.

Der Arbeitsvorbereiter, Teil II lesen Sie hier

Weiterführende Links zur Straße der Arbeit

Die Straße der Arbeit III von Müllenbach nach Wipperfürth-Ohl
Übersichtskarte (Sauerländischer Gebirgsverein, Bergisches Land)

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