Gewebe einer Kulturlandschaft

Ort: Bauerschaft Schmedehausen, jetzt aber wirklich | Datum: So, 09.07.2017 | Wetter: sonnig, 24°C

Hohlweg, das klingt nach Mutproben bei Neumond, dem Ruf eines Uhus und sich im Schutz der Nacht anschleichenden Räubern. Hinter dieser Wallhecke oder jenem Erdwall könnten sie gelegen haben. Gleich neben dem Sandweg, leicht erhöht, verborgen hinter Brombeerranken oder üppigen Maisstangen. Lauernd auf die Händler, die mit ihren Packtieren auf dem Weg in die Niederlande an der Eselsfüchte Halt gemacht haben. Oder auf die Wallfahrer, die entlang der Hofkreuze durch die Wald-und Felderlandschaft gen Telgte zogen. Und noch heute ziehen. Eine Kulturlandschaft, die, so Hubert, an anderen Stellen des Münsterlandes aufgrund von Flurbereinigung verschwunden ist.

Flurbereinigung, die: „Zusammenlegung und Neueinteilung von zersplittertem landwirtschaftlichem Grundbesitz.“ Sagt Duden. Auf meiner Karte heißt das: gelbliche Linien, wie mit dem Lineal gezogen. Ein Setzkasten aus weißen und hellgrünen ordentlich-rechteckigen Feldern. Das gibt es hier nicht. Ich bin in der Bauerschaft Schmedehausen bei Greven, „Wo vorbei an alten Höfen / Sich die Glane schlängelt hin“. Oder die schmalen Landstraßen. Hubert, hier in der Gegend aufgewachsen, hat mich vorgewarnt: Selbst mit Navi finden hier Viele nicht mehr heraus, geschweige denn hinein.

Hier gibt es sie noch, kleinparzellige landwirtschaftliche Flächen, gerahmt von Wällen und Waldstücken. Und Geschichte(n). Hubert Brockötter zeigt mir beides. Während unserer Tour über Wirtschafts- und Forstwege füllt sich meine Karte sowohl mit Eindrücken als auch mit Erzählungen. Ich überschreibe die zweidimensionale Karte der Region auf meinen Knien. Blasse Linien werden farbig. Vernetzungen von einem Ort zum anderen tun sich auf.

Spuren- und Fährtenlesen mal anders.

Die Wallhecken und Erdwälle markierten früher die Besitzverhältnisse. Bis hier her ist es mein Stück Land, da drüben kannst du walten. Hubert erzählt, dass in seiner Kindheit dann die Bundeswehr hier Manöver geübt hätte. Und die Kinder von den umliegenden Höfen natürlich alle hin und gucken. Heimlich. Die Dorfjugend traf sich bei den Pümpelbänken. Holzbänke, mitten in der Schonung aufgebaut. An einer Bank befand sich eine Kiste mit einem kleinen Büchlein, zum Unterschreiben, Nachrichten hinterlassen. Wie das Zettelchen-Schreiben in der Schule. Oder die Messenger-App. Es gibt sie wohl noch, aber sie werden nicht mehr aufgestellt.

Der Gertrudensee – „Angeln, Baden und Lagern für Unbefugte verboten!“ – gehört dem ASV-Greven 1933 e. V. Was heute ein See ist, war früher Lehmgrube. Mit einer Lorenbahn wurde der Lehm damals in Richtung Kanal transportiert. Da in der Nähe wurden dann die Ziegel gebrannt. Viele der umliegenden Höfe sind aus dem typisch gelben Backstein gebaut. Heute liegt der Lehm unter der grünspiegelnden Wasserfläche, in zehn Metern Tiefe. Munkelt man. Genau kann man es schließlich nicht wissen.

Wir haben heute die Bauernschaft Schmedehausen, Bockholt und die Haselheide durchquert. Sind sogar an der Grenze zum Kreis Warendorf gewesen. Sagt meine Karte. Und in natura? Da ist die Grenze nur sichtbar, wenn der eine Kreis den Grünstreifen an der Landstraße ein paar Tage später mäht als der andere. Wir fahren an einem Stück Staatswald entlang. Auch hier suche ich vergeblich einen schwarz-rot-goldenen Schlagbaum, einen Zaun oder ein offizielles Siegel. An den liegengelassenen Baumstämmen erkenne ich stattdessen den Übergang von Holz, Rinde und Blättern zu Humus, spinnenvernetztes Gewebe und schwarz-schillernde Bewegung.


Hubert Brockötter ist, wie sein Vater, Zimmermann mit Meisterbrief. Im Nebenerwerb ist er Landwirt. Schon sein Großvater bewirtschaftete den Hof in der Bauerschaft Schmedehausen, allerdings noch an anderem Standort. Den Fremdenführer gibt er nur in Ausnahmefällen. So beispielsweise, um auf die ihm gut bekannte Kulturlandschaft aufmerksam zu machen. Der Bau von mehreren Windenergieanlagen hätte viele der Wege und Orte, die wir heute besucht haben, verschwinden lassen. Mit den Münsterland-Safaris kann man diese Orte geführt besuchen. Oder einfach auf eigene Faust – zu Fuß oder mit dem Rad.

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