Mandala-Malen mit Salzkristallen
15. September 2015
Man betritt den Kirchenraum und hört rhythmisches Ratschen. Was zeitweise wie eine musikalische Darbietung klingt, ist das akustische Nebenprodukt der Arbeit buddhistischer Mönche, die in der Citykirche St. Nikolaus derzeit ein Salzmandala auslegen. In der Mitte des Kirchenschiffs sitzen die acht Mönche aus dem Kloster Sharchukul im indischen Ladakh an einer Holzplatte, auf der das Mandala vorgezeichnet ist. Am zweiten Tag haben sie schon den Mittelpunkt des kreisrunden Motivs mit dem Salzstaub nachgezeichnet. Dabei arbeiten sie achtsam und konzentriert mit zwei geriffelten Röhrchen. Das kleinere ist mit der Farbe gefüllt, die aus im Mörser zerstoßenem und mit Farbpigmenten vermischten Salzkristallen besteht. Durch kurze und rhythmische Streichbewegungen fallen die bunten Kristalle auf das Holzbrett. Das Mandala ist Avalokiteshvara, dem Buddha des Mitgefühls, gewidmet. Er wird in der Mitte des Mandalas durch eine Silbe repräsentiert und diesen Kern umgeben jeweils die sechs Anfangssilben seines Mantras. Wie im Kern des Gemäldes hat jede Kammer, jedes Ornament und jede Farbe des kreisrunden Bildes ihre Bedeutung: Naturgewalten, Gottheiten, wunscherfüllende Bäume.
Das Sandmalen sieht mühelos aus, ist aber höchste Präzisionsarbeit und braucht viel Übung und Konzentration. Das finde ich später an einem separaten Tisch heraus, an dem ich mich selbst mal am Mandala-Malen mit den kegelförmigen Röhrchen ausprobieren kann. Es ist ganz und gar nicht einfach, die vorgegebenen Ornamente präzise mit Farbe zu füllen. Schon die kleinste Ablenkung kann dazu führen, dass man eine Linie übermalt. Aber man kommt auch schnell in eine Art Trance, schaltet ab und vergisst die Zeit. Das Geräusch und der konzentrierte Blick auf den feinrieselnden Salzstaub bewirken, dass man alles andere ausblendet und sich nur auf die Farbe und das Muster konzentriert. Die Mönche sind so gekonnt in ihrem Umgang mit der Farbe, dass sie sich nebenbei unterhalten können. Immer wieder schauen sie auf ihr Tablet, auf dem das Vorbild des Mandalas farbig abgespeichert ist. Das finde ich amüsant und es hat mich schon ein wenig verblüfft, dass buddhistische Mönche ihr Mandalamuster auf dem „iPad“ mit sich tragen. Aber warum eigentlich nicht? Die Kopie des Originals soll am Ende so getreu wie möglich sein. Das ist das Ziel des Rituals. Der Höhepunkt der Zeremonie ist jedoch nicht der Moment der Fertigstellung – so wie das in unserem Kulturkreis der Fall wäre – sondern dessen Auflösung. Einige Kinder fragen die Mönche, warum sie das Mandala nicht so malen, dass man es an die Wand hängen kann. Es gehe dabei darum, die Vergänglichkeit der Dinge zu zeigen, loszulassen und den Dingen nicht anzuhaften. Im buddhistischen Glauben sei gerade das Auflösen des Bildes der Moment, in dem die Harmonie und das Mitgefühl und alle guten Eigenschaften des Mandalas in den Betrachter übergehen. Das Mandala wird verwischt und mit Wasser aufgelöst. Was übrigbleibt, darf in kleinen Glasbehältern zur Erinnerung mitgenommen werden.
Die Mönche sind noch bis Donnerstag in der St.-Nikolaus-Kirche bei ihrer meditativen Arbeit anzutreffen. Um 16 Uhr erfolgt dann die Abschlusszeremonie mit der Auflösung des runden Salzgemäldes.